Die älteste bekannte Melodie der Welt wurde vor etwa 3400 Jahren im heutigen Syrien auf einer Tontafel notiert. 2009 spielte ein User sie auf der Lyra nach und stellte ein Video davon auf YouTube ein. Ein Professor forderte daraufhin aus Gründen des Copyrights seine Nennung als Transkripteur der Originalnoten. Seine Arbeit werde ohne Erlaubnis ausgebeutet. Im Folgenden bezichtigte ein Syrer den Professor seinerseits der Ausbeutung fremder Kulturen. Schlichtend schlug ein anderer User vor, die Melodie als Erbe der Menschheit zu begreifen. Überhaupt: Kann einem der Sound einer vibrierenden Saite gehören, nur weil man eine Melodie entschlüsselt hat? Wem gehört sie also nun, die älteste Melodie der Welt?
Es ist eben gar nicht so einfach, Urheberschaft zu defin
t zu definieren. Und durch die digitale Revolution der neueren Zeit ist in vielen Bereichen die Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten längst aufgeweicht. An deren Stelle tritt der „Prosumer“, der vielleicht ein Video aus fremden Videoschnipseln zusammenstellt und es dann mit einem Remix fremder Musikwerke unterlegt, um es im Netz zu veröffentlichen– und damit selbst die Grundlage für andere Prosumer legt, die ihrerseits wieder neue Werke daraus kreieren.Und so befinden sich viele kreativ Tätige in einem grundsätzlichen Dilemma: Einerseits wollen sie ihr Werk schon aus ökonomischen Motiven für sich allein beanspruchen, andererseits wird ihr Schaffen durch frei verfügbares kulturelles Material überhaupt erst möglich. Mit eben jenen Spannungen zur Thematik des geistigen Eigentums beschäftigt sich ein neues Buch; Geistiges Eigentum und Originalität. Zur Politik der Wissens- und Kulturproduktion, es besteht aus Vorträgen, die am Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien gehalten wurden.Bürgerliches KonstruktSchon Hegel lehnte eine rechtliche Gleichstellung von materiellem und geistigem Eigentum ab, „weil gedankliche Schöpfungen nicht klar genug gegeneinander abgrenzbar seien“, liest man im Beitrag Kalkulierte Originalität von Mitherausgeber Odin Kroeger. Überhaupt krankt das Urheberrecht an seiner Fixierung auf die originale Leistung des Einzelnen. Eine Folge des bürgerlichen Konstrukts eines ganz aus sich heraus schöpfenden Individuums. Geschützt werden dadurch aber nicht die Interessen des Urhebers, sondern diejenigen der Kulturindustrie, die in Form von Verwertungsrechten an dem geschützten Werk erst die Wertschöpfungskette zu ihrem eigenen Nutzen in Gang setzt. Und der dabei angelegte Verteilungsschlüssel sichert dem Autor keinesfalls ein gutes Auskommen. „Nicht für das Lesen wird bezahlt, sondern für das Buch“, bringt Nikolaus Forgó die ökonomische Gewichtung auf den Punkt.Dass dieses Wertschöpfungsprinzip mit dem Aufkommen digitaler Medien gehörig ins Wanken gekommen ist, weil plötzlich kein physikalischer Träger mehr als Verkaufseinheit „Buch“ oder „Schallplatte“ zur Verfügung steht, hat zu einem verbissen geführten Kampf um die Neuverteilung immaterieller Güter geführt. Der Beitrag von Cornelia Sollfrank, selbst Künstlerin im Spannungsfeld von Kunst und geistigem Eigentum, skizziert Bestrebungen, das Urheberrecht nach und nach vom Urheber zu lösen und „andere am Werk Beteiligte und deren Beiträge – auch wenn sie nicht gestalterischer Natur sind – angemessen (zu) berücksichtigen“.Wo die Grenze von Vorlage und Eigenleistung verschwimmt, da stört der Einzelne, der sein Recht auf Autorschaft einklagt, nur noch das Geschäft. Sollfrank denkt die schwindende Bedeutung des Urhebers weiter und kommt zum Schluss, dass die Medienindustrie sich noch so lange mit ihm wird herumschlagen müssen, „bis eine gesetzliche Regelung gefunden ist, die auf ihn gänzlich verzichten kann“.Wie Künstler ihre eigene Rolle im Kunstmarkt thematisieren können, zeigte die Wiener Künstlergruppe monochrom, als sie das 1985 von Jörg Schlick, Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Wolfgang Bauer ins Leben gerufene Projekt „Lord Jim Loge“ – eine Art Persiflage auf Männerkünstlerbünde – übernahm und zu einer Kunstmarke auszubauen versuchte. Das Konzept von monochrom sah vor, als „aggressives und markenbewusstes Kunstgruppenunternehmen“ aufzutreten, um das Bild eines unabhängig schöpfenden Künstlers zu unterminieren.Freiwilliger VerzichtDie Positionierung am Kunstmarkt wurde in der Folge unter anderem durch eigens in Auftrag gegebene Ölgemälde verstärkt, die die Gruppe von einem Kopisten in China nach vorgegebenen Motiven herstellen ließ. Als Krönung gewann die „Lord Jim Loge“ einen Wettbewerb um das Design einer Sonderedition von Coca-Cola-Flaschen. Die Loge bekam den Zuschlag nur, weil sie in ihrer Bewerbung penetrant die berühmten Namen Kippenberger und Schlick erwähnte. Inhaltliches war völlig egal, „es genügte die Aura der eingestreuten Namen“, wie Frank A. Schneider und Günther Friesinger im lustigsten und subversivsten Beitrag des Readers berichten.Mehr Beiträge wie derjenige über das monochrom-Spektakel hätte dem insgesamt etwas trocken geratenen Reader sicher gut getan. Andererseits bietet das Buch eine gute Informationsgrundlage für den wohl nie endenden Streit um geistiges Eigentum, Originalität und den ganzen gesellschaftlichen Rest. Im letzten Beitrag des Readers versucht Marietta Böning ein Fazit zu ziehen: Den freiwilligen Verzicht des Urhebers auf seine Rechte sieht sie als einzige Alternative zum starren Urheberrecht. So wie der Animationsfilmemacher Hubert Sielecki, der seine Filme frei auf YouTube zur Verfügung gestellt hat. Selbst gegen Plagiate wolle er nicht klagen. Kunststück: Sielecki muss von seiner Filmkunst ja auch nicht leben – seit 1982 hat er eine Anstellung als Lehrbeauftragter an der Universität für angewandte Kunst in Wien.