Die bestehenden internationalen Institutionen sind nicht in der Lage, das ökologische System Erde in seiner Substanz zu erhalten und zu bewahren. Es ist daher höchste Zeit, ein neues globales Gremium einzurichten, das sich mit den gravierenden ökologischen Problemen beschäftigt, die wir Tag für Tag unbeeindruckt verursachen.
Frankreichs Premier Lionel Jospin hat vor kurzem dafür plädiert, eine Weltumweltorganisation - eine Global Environmental Organization (GEO) - zu gründen. Nachdem er die derzeitige umweltpolitische Architektur als unzureichend charakterisiert hatte, sprach er sich für eine Umstrukturierung der vorhandenen globalen Kapazitäten zur Kontrolle der Umweltverschmutzung und zum Management der gemeinsamen, grenzüberschreitenden Ressourcen aus. In Anlehnung an ähnliche Ideen des früheren WTO-Direktors Renato Ruggiero, von Helmut Kohl, des britischen Parlamentariers Sir Leon Brittan, aber auch mehrerer Wirtschaftsführer (besonders solcher mit weltweit agierenden Unternehmen), brachte Jospin die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der globalen UmweltPolitik auf den Punkt - aus der lange dahin dämmernden Idee wurde ein Top-Thema, das umweltpolitische Dornröschen wach geküsst.
Die globale ökologische Interdependenz ist das neue Faktum
Der Aufruf provoziert jedoch diverse Fragen: Bedarf es überhaupt zusätzlicher umweltpolitischer Anstrengungen auf globaler Ebene? Warum kann nicht das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) dafür aufkommen? Schließlich: Wie würde, wie sollte eine Weltumweltorganisation GEO denn aussehen?
Viele Umweltprobleme sind per se global oder zumindest ubiquitär; sie können nicht von nationalen Regierungen und lokalen Gruppen allein angegangen werden. Von der Zerstörung der stratosphärischen Ozonschicht, dem Verlust an Biodiversität, dem Treibhauseffekt bis zur Übernutzung der Fischbestände in den Weltmeeren sind wir von globalen Herausforderungen umstellt. Zugleich signalisiert der Erkenntniszuwachs der ökologischen Wissenschaften weitere Bedrohungen der global commons, die eine neue, größere Aufmerksamkeit reklamieren - vom Ferntransport von Quecksilber, der Ausbreitung anderer persistenter organischer Verbindungen (sog. POPs) bis zur Belastung und Zerstörung der hydrologischen Systeme. Schärfere nationale Umweltgesetze und lokale Umweltprogramme sind nützlich und sinnvoll, verpassen aber das eigentliche Problem: Die globale ökologische Interdependenz ist das neue Faktum! Und die zentrale Frage ist, ob wir diese Interdependenz sorgsam, explizit und effektiv handhaben (können).
Das Problem ist nicht nur ökologischer Art. Grundlegende ökonomische Gesetze besagen, dass nicht-regulierte gemeinsame Ressourcen von Übernutzung und grenzüberschreitende Umwelteffekte vom Freifahrerproblem (free rider) bedroht sind. Die Fischbestände der Meere können rasch zu Ende gehen, wenn viele Fischer eine maximale Ausbeute anstreben. Ähnlich ist es mit der grenzüberschreitenden Verunreinigung wie bei saurem Regen und bei der Flusswasserverschmutzung. Werden diese Effekte nicht kontrolliert, werden sie zu nicht-internalisierten externen Effekten, mit allen Auswirkungen, die das haben kann. Solche Marktfehler führen zu allokativer Ineffizienz - zu reduzierten Gewinnen aus Handelsbeziehungen und zu sozialen Wohlstandsverlusten. In einer ökonomisch zunehmend interdependenten Welt muss kollektives Handeln diese Externalitäten auf der Ebene angehen, auf der sie entstehen - damit wird ein funktionierendes globales Umweltregime zu einer ökologischen wie ökonomischen Notwendigkeit.
Die Zustimmung von Ruggiero und anderen Wirtschaftsführern zu einer GEO reflektiert diese Einsicht. Neben der Integrität des internationalen ökonomischen Systems sehen sie Effizienz und Legitimität der WTO selbst in Gefahr, wenn sie Entscheidungen treffen soll, die jenseits ihres eigentlichen Mandats liegen. Mit anderen Worten: Während Umweltschützer eine GEO als starkes Gegengewicht zur WTO sehen, klassifizieren Handelsexperten eine GEO als nützliches Instrument, um das internationale Handelssystem von Aufgaben zu entlasten, für die es nicht geschaffen ist.
UNEP, CSD, UNDP, FAO, WMO, OECD - Zersplitterung mit enormen Kosten
Dies führt zu der Frage, ob denn nicht das bereits angeführte UN-Umweltprogramm (UNEP) prädestiniert ist, die anstehenden Aufgaben zu lösen. Die Antwort heißt schlicht: Nein! - Das bisher installierte globale Umweltregime zeitigt eher dürftige Resultate. Seine Versuche, das Klimaproblem zu managen, erscheinen ebenso hilflos wie seine Antworten auf die Frage, wie mit genmanipulierten Produkten umzugehen sei. Einige dieser Defizite lassen sich vielleicht als Managementfehler bezeichnen, andere aber sind struktureller Art.
Grundsätzlich verhindern Struktur und Zielrichtung der UNEP, die internationalen Aspekte der Umweltverschmutzung und des Ressourcenraubbaus voll und ganz wahrzunehmen. Eingeschränkt durch ein enges Mandat, ein bescheidenes Budget und allzu wenig Mitarbeiter (etwa 300), zusätzlich gehemmt durch eine nur begrenzte politische Unterstützung, konkurriert UNEP mit mehr als einem Dutzend anderer UN-Gremien - von der UN-Kommission zur nachhaltigen Entwicklung (CSD), dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), der Weltmeteorologie-Organisation (WMO), der Internationalen Ozeanographischen Organisation (IOC) bis zur Welternährungsorganisation (FAO). Zusätzlich zu dieser Fragmentierung umweltpolitischer Kompetenz und Zuständigkeit gibt es die verschiedenen, unabhängigen Sekretariate mehrerer multilateraler Umweltverträge - vom Montrealer Protokoll (Ozonvertrag), der Baseler Konvention (Abfälle), der Konvention über den Handel mit gefährdeten Arten (CITES) bis hin zu den nach 1992 eingerichteten Klima-, Biodiversitäts-, Meeres- und Wüstenkonventionen, die alle um Aufmerksamkeit und Finanzen der nationalen Regierungen buhlen.
Beispielsweise haben UNEP, CSD, UNDP und WMO, aber auch die OECD und die Weltbank jeweils eigene Klimaschutzprogramme. Koordination oder gar strategische Arbeitsteilung sind aber nicht zu erkennen. Mit Organisationseinheiten in Bonn, Montreal, Nairobi und Genf ist der Fokus dieser Aktivitäten unscharf, die Kompetenz zerstreut, Finanzierung vergeudet, sind Budgets nicht aufeinander abgestimmt - das alles zu Lasten von Verantwortlichkeit.
Diese Zersplitterung hat enorme Kosten zur Folge, die sich vor allem Entwicklungsländer nicht leisten können, was die Treffen, Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen angeht. Doch die Antwort auf Diversität muss nicht unbedingt Unordnung heißen. Ein zeitgemäßes, kohärentes und umfassendes institutionelles Design sollte möglich sein, das die Kernelemente des bestehenden Systems zusammenführt, die modernen Kommunikationstechniken nutzt und die möglichen Synergien aus der Kooperation mit den anderen umweltrelevanten UN-Organisationen ausschöpft.
Theoretisch konkurrieren drei GEO-Modelle miteinander: Erstens - die Aufwertung der UNEP vom Nebenorgan des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) zu einer UN-Sonderorganisation mit eigener Mitgliedschaft und Rechtspersönlichkeit. Zweitens - eine verstärkte Kooperation der UNEP mit allen anderen umweltrelevanten UN-Einrichtungen. Drittens - die Integration aller bisherigen UN-Organisationen mit Umweltbezug zu einer neuen, globalen Struktur.
Für die Entscheidungsverfahren konkurrieren ebenfalls unterschiedliche Ideen. Politisch realistisch, sozial gerecht und ökologisch vernünftig erscheinen nord-süd-paritätische Entscheidungsverfahren, wie sie bereits im Ozonregime und bei der Globalen Umweltfazilität (GEF) praktiziert werden; ergänzt durch eine Beteiligung von NGO, wie sie bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gegeben ist.
Eine Innovation für die Umwelt, für uns und die, die nach uns kommen
Was die Finanzierung einer GEO angeht, reichen die Möglichkeiten von einer gesteigerten Entwicklungshilfe seitens der Industrieländer, über eine Umwidmung der Schuldentitel der Entwicklungsländer bis zu quasi-automatischen internationalen Finanzierungsmechanismen, etwa einer Steuer auf den Luftverkehr, den Devisenumsatz oder die Nutzung von Sendefrequenzen.
Eine effektive GEO einzurichten, muss also zunächst einmal keine große, teure Bürokratie bedeuten. Im Gegenteil: eine von allem Ballast befreite neue Institution würde den derzeitigen Wildwuchs überwinden und könnte, ja sollte durch ein dezentrales, virtuelles Netzwerk von Experten aus Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützt werden. Mit einem "globalen Politiknetzwerk" als Kern und einem modernen organisatorischen Design, das die Vorteile des Informationszeitalters nutzt, könnte eine solche GEO sich schnell auf akute Fragen konzentrieren, komplexe Probleme einer strengen Analyse unterziehen und innovative Strategieempfehlungen und Entscheidungen erarbeiten - alles mit weit geringeren Overhead-Kosten als in den traditionellen Organisationen.
Jeder Versuch der Revitalisierung der globalen umweltpolitischen Architektur muss den Stichworten "Brennpunkt" wie "Priorität" verpflichtet sein. Viele der lokalen Aktivitäten, die heute vom UNEP gefördert oder selbst unternommen werden, könnten besser und sinnvoller von nationalen Regierungen mit Unterstützung der Weltbank durchgeführt werden. Die Prioritäten einer neuen Institution müssten anders gesetzt sein - bezogen auf die inhärent globalen, grenzüberschreitenden Umwelt- und Ressourcenprobleme, auf Klima, Biodiversität, Böden und Meere.
Die Form einer Institution hängt jedoch von den Funktionen ab, die man ihr gibt oder zuschreibt. Unbedingt sollte die Informationslage über ökologisch-ökonomische Interdependenzen verbessert und die finanzielle wie personelle Kapazität zur Behandlung komplexer umweltpolitischer Probleme gestärkt werden. Hierzu müssten auch Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen werden, die in bisherigen vertraglichen und institutionellen Arrangements durchwegs fehlen. Da aber bedingt auch die Möglichkeit, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft für internationale Aufgaben stärker zu motivieren und einsetzen zu können.
Die Logik des Aufrufs von Jospin zur baldigen Gründung einer GEO ist einfach und geradeheraus: Eine sich globalisierende Welt bedarf neuer globalisierter Steuerungsmöglichkeiten. Ohne konzertierte Anstrengung zur Kontrolle grenzüberschreitender Umweltverschmutzung und zum Management gemeinsamer Ressourcen ist nachhaltige, zukunftsfähige Entwicklung für die Welt als Ganzes nicht zu erreichen. Es ist daher an der Zeit, nach Alternativen Ausschau zu halten - besonders auch mit Blick auf "Rio plus 10", das Jahr 2002, wenn der Rückblick auf das seit 1992 Erreichte ansteht und der Blick in die Zukunft institutionelle Innovation einfordern wird. GEO könnte eine solche Innovation werden, für die Umwelt, für uns und die, die nach uns kommen.
Daniel C. Esty ist Direktor des Center for Environmental Law and Policy der Yale University; Udo E. Simonis ist Professor für UmweltPolitik am Wissenschaftszentrum Berlin.
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