„Noch zu haben?“, das ist wohl die am häufigsten gestellte Frage im Nachrichtenbereich dieser Webseite. Und dabei geht es weniger um amouröse Avancen, sondern mehr um die Jagd auf ein ständig wechselndes Warensortiment. Nur ist das gar nicht das Schönste an dem Online-Flohmarkt, der in Wirklichkeit das bessere soziale Netzwerk ist: 100 Prozent Networking-frei. Man muss sich nicht darstellen und erfährt trotzdem etwas über die Welt.
Facebook, Instagram, Twitter? Bitte vergessen! Diese ganzen demokratiezersetzenden Höllenorte, an denen sich Menschen voller Neid falsche Komplimente machen oder sich gerichtlich bestätigt in Niedertracht beleidigen. Wer sozial werden will, der kauft, verkauft oder verschenkt am besten was bei eBay-Kleinanzeigen
inanzeigen.Da kommt man mal raus seiner Bubble, fängt manchmal Brieffreundschaften an, bis der Deal im Kasten ist und der Übergabezeitpunkt gefunden. Man sieht Fotos fremder Wohnungen, nur eben wie sie in echt aussehen. Ungestylt und vollgestellt.Man lernt intime Dinge über die Leute: was sie nicht mehr mögen, ob ihre Kinder im eigenen Bett schlafen, ob sie zugenommen haben. Weil die Menschen denken, sie müssten es auch begründen, wenn sie sich von Beistellbetten und Wintermänteln trennen. Und dann lernt man auch noch etwas über sich. Was man wirklich braucht – und was man nur ästhetisch präferiert; guck dir an, was du kaufen willst, und du weißt, wer du gerne wärst.Angefangen hatte diese intensive Zeit auf eBay-Kleinanzeigen mit den Feiertagen. Die Familien hatten sich zerstreut, die Befindlichkeiten verdichtet, die Bedürfnisse verlagert. Es musste Licht her, es war kalt, die Jacke sechs Jahre alt. Das Bett krachte regelmäßig in sich zusammen, weil die Bücherstapel, von denen es gestützt wurde, vielleicht nicht das tragendste Fundament waren.Auf dem Online-Marktplatz würde man es einfach „shabby chic“ nennen, um es noch mal zu verkaufen. Jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik musste ich eingestehen, dass es kaputt war. Und neu ist zu teuer. Und zu uninteressant. Und wir sollen doch Müll vermeiden.In Berlin-Charlottenburg wollte man ein Bett mit einem sehr interessanten Kopfteil loswerden, das so ein bisschen das Muster von Tennissocken hatte. Zehn Euro. Der Verkäufer verkauft sonst noch ein Paar Schuhe aus der „Kendall & Kylie“-Kollektion – das sind Töchter bei den Kardashians – und schien mir somit sehr vertrauenswürdig. Auf meine Nachricht hat er leider nicht geantwortet. Aber betrogen worden bin ich noch nie. „High-End-Imitate sind das, also keine 100 Prozent originalen Artikel“, schrieb jemand auf Nachfrage, welche Größe denn die Jacke hätte. Das ist zumindest fast 100 Prozent ehrlich.Hurra, alle „Bravo“-Hits!Auch wenn die meisten Waren, denen in der Beschreibung ein „schön“ vorangestellt wird, dies nicht in den Augen jedes Betrachters sind, hier ist alles so schön ungeschönt. So unglamourös. Wie ein Blick in Tantes Keller.Altes Geschirr wird auf Plastiktischdecken serviert, der CD-Turm steht auf Laminat. Spielzeug ist meist rosa und nicht aus Holz. Endlich echtes Leben. Liebevoll auf Schrott gucken als Statement gegen ständige Durchoptimierung. Einmal entdeckte ich eine Lampe mit Michael-Schumacher-Plastikkopf, die in eingeschaltetem Zustand wirklich gruselig aussah. Und wo findet man sonst ziemlich komplette CD-Sammlungen der Bravo-Hits-Reihe?Der eigene Voyeurismus, der dort befriedigt wird, hat einen Ursprung, der nicht auf der Darstellungssucht der anderen beruht, sondern auf der eigenen materiellen Bedürftigkeit. Man stalkt, was man denkt zu brauchen, verliert sich in unendlichen faszinierenden Angeboten. Das hat fast eigentherapeutische Wirkung. Wenn man genug gesehen hat, braucht man es womöglich schon gar nicht mehr.Einmal hielt ich mich für richtig schlau. Ich war in der Kleinstadt, in der meine Mutter wohnt, und dachte, hier gibt es das gute Zeug, das in Berlin-Mitte längst keiner mehr verkauft. Designerlampen aus den 1990ern. Aber das ist vermutlich ähnlich wie bei Tinder-Nutzern, die zu Weihnachten in der Provinz sind und das Dating-Game anschmeißen wollen. Man findet einfach niemanden. Die meisten Anzeigen sind in Berlin aktiv (1,4 Millionen). In Sachsen-Anhalt sind es mit 30 Anzeigen pro 100 Einwohner die wenigsten.Ein anderes Mal sollten 15 Tonnen Knoblauch auf eBay-Kleinanzeigen verschenkt werden. Der war gekeimt und deswegen nicht mehr zu verkaufen. In Sachsen stand ein Knast zum Verkauf. Und eine Hamburgerin wollte mal ihren Ehemann verticken. Für 18 Euro. Aber niemand wollte ihn. Das knatternde Simson-Duo aus dem Weimar-Tatort oder ein Auto von Jürgen Klopp wurden ebenfalls auf dem Online-Marktplatz gehandelt.So heißt es zumindest in einer Pressemitteilung der Firma, die nicht unbedingt sympathischer ist als andere aus der Tech-Branche. Jede Minute werden auf der Webseite etwa 500 neue Anzeigen veröffentlicht. So hat eBay-Kleinanzeigen erfolgreich Schwarze Bretter und Lokalzeitungen zerstört. Aber das Portal hat auch Leute zusammengebracht.Man steht dann ja, wenn man etwas gefunden hat, plötzlich in fremden Wohnungen. Ich war mal bei einem jungen Mann, der irgendwas Kreatives arbeitet und sich seit zwei Jahren nicht mit seiner Freundin einigen kann, welche Lampen in den Flur gehören. Was Hoffnung macht. Oder genau umgekehrt. Für die Lampe konnte ich mich jedenfalls auch nicht entscheiden.Ich war bei einem Mann im Keller, der Happy Socks trug. Wenig macht ja aggressiver als Happy Socks. Aber wie er da so den tiptop Barhocker aus seinem aufgeräumten Keller zog, zur Hälfte des Ladenpreises, da ging es wieder mit der Laune. Zur Strafe für die Socken klaute ich ein Bündel Bananen, das im Eingang des Neubaus unter den Briefkästen lag.„Laberlampe“, ernsthaft?Während eBay mit seinem Auktionsstress immer zu aufregend war, setzt seine Kleinanzeigen-Schwester seit 2010 ganz auf die Kommunikation zwischen den Handelspartnern. Fragen werden gestellt, die oft im Beschreibungstext schon beantwortet worden sind. („Ist das der letzte Preis?“) Antworten werden gegeben, nach denen man nicht gefragt hatte („Aus Nichtraucherhaushalt“).Es gibt diese Seite, „Best of Kleinanzeigen“, die skurrile Angebote und Schriftwechsel sammelt, aber sich vor allem über die Schreibeigenarten von Menschen lustig macht, die noch kein perfektes Deutsch sprechen oder schreiben können, was jetzt natürlich auch nicht so lustig ist, sondern nur Alltagsrassismus. Aber man findet da auch lustige Angebote, wie das der „Laberlampe“.Es sind die Kleinigkeiten, die hier glücklich machen: Jemand möchte zwei Tassen der Berliner Flughäfen gegen Gummibärchen tauschen. Man freut sich über diese pragmatische Formulierung in der Kategorie „Beschreibung“: „So wie auf den Bildern“. Oder über Menschen, die etwas verkaufen wollen, es aber nicht schaffen, scharfe Bilder von dem Objekt zu machen. Und ist es nicht fast schon subversiv, wenn die Menschen ganz und gar schreckliche Dinge noch mal dem Warenkreislauf zuführen wollen? Zum Beispiel diese Matratze, die ich neulich entdeckte, die mehr gelbe und braune Flecken hatte als eine überreife Banane. Oder generell alles von Ikea, Möbel, von denen man ja weiß, dass sie nur zweimal auf- und abgebaut werden können.Zeiten großer Bewegungen sind Zeiten, in denen man zusammenrücken sollte und vielleicht mal einen Karussellschrank verkaufen, das sind diese Eckschränke mit so einem Karussell drin. Karussellschränke gehen gut. Viel besser als Kühlschränke. Für meinen großen Schrank gab es drei Anfragen. Für den kleinen Single-Kühlschrank keine. Daran kann man wohl auch was über menschliche Bedürfnisse ablesen.Zu mir nach Hause kam dann jemand – wegen des Karussellschranks. Zumindest hatte ich das Gefühl, ich müsste Freunden Bescheid sagen, dass ich gleich mit einem fremden Mann alleine in meiner Wohnung sein würde.Aber er war harmlos. Ein Rentner, der anderen Menschen beim Küchenbau hilft und dafür gebrauchte Ikea-Eckschränke im Internet kauft, wie er sagt. In diesem Fall einer alten Dame, aber womöglich war das auch geflunkert, um den Preis zu drücken.Die meisten Nutzer hat die Seite eBay-Kleinanzeigen zum Jahresende. Nach der Damenbekleidung sind übrigens Baby- und Kinderkleidung besonders begehrtes Handelsgut. Da schicken Menschen ihre abgelegten Kinderhosen auch mal für zwei Euro quer durchs Land, um sie nicht wegwerfen zu müssen. Um ein bisschen mehr Geld zu haben. Einmal hat mir eine Verkäuferin von Kinderschuhen einen Schokoriegel dazugelegt. Wie schön es sein kann, wenn Menschen miteinander privat Handel treiben. Der Kapitalismus? Noch zu haben, garantiert aus einem Nichtraucherhaushalt.
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