Phase eins: Nichts geht mehr - Rußland verhandelt trotzdem
Am 25. März setzt Rußland nach Beginn des NATO-Luftkrieges jede Zusammenarbeit mit der NATO aus, sowohl innerhalb der Partnerschaft für den Frieden als auch im NATO-Rußland-Rat. General Viktor Sawarsin, Rußlands ständiger Vertreter bei der NATO, wird abberufen. Am 26. März verläßt Rußland auch die Kosovo-Mission der OSZE, deren 1.400 Beobachter vor Beginn des Krieges aus dem Kosovo nach Mazedonien evakuiert worden waren.
Am 30. März spricht Premier Primakow in Belgrad mit Präsident Milosevic. Der erklärt sich zur Wiederaufnahme von Verhandlungen bereit, sofern die NATO die Luftangriffe beendet. Während die US-Regierung Primakows Belgrad-Reise schon im Vorfeld als »mission impossible« bezeichnet, lehnt Bundeskanzler Schröder (als EU-Ratsvorsitzender) die Vorschläge Milosevicc als »unzureichend und substanzlos« ab, während Primakow noch am 30. März in Bonn darüber informiert. Am 6. April verkündet die jugoslawische Regierung für die Zeit des orthodoxen Osterfestes vom 9. bis zum 11. April eine einseitige Feuerpause, die NATO lehnt es ab, ebenso zu verfahren.
Phase zwei: Die NATO bombt weiter - aber die UNO darf wieder an Bord
Am 10. April wird der sogenannte Fischer-Plan präsentiert, der als Bedingung für einen Waffenstillstand den Abzug aller jugoslawischen Verbände aus dem Kosovo und eine Rückkehr der Flüchtlinge unter internationaler Kontrolle fordert. Weiter heißt es, eine internationale Militärpräsenz im Kosovo solle »mit einem UN-Mandat ausgestattet« sein. Außerdem sei eine aktive Rolle Rußlands bei der Suche nach einer politischen Lösung wünschenswert. In Moskau hat inzwischen Präsidenten Jelzin Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin zum »Sonderbeauftragten für Jugoslawien« ernannt. Er signalisiert, daß Rußland »prinzipiell zur Teilnahme an einer internationalen Friedenstruppe« bereit sei. Voraussetzungen blieben ein Ende der NATO-Luftangriffe und die Zustimmung Belgrads.
Am 13. April treffen sich die Außenminister der USA und Rußlands - Madeleine Albright und Igor Iwanow - erstmals seit Kriegsbeginn. Das Gespräch in Oslo bringt jedoch keinen Durchbruch. Albright: »Im Zentrum einer internationalen Friedenstruppe muß die NATO stehen ...« Das wird von Rußland nicht akzeptiert. Übereinstimmend werden hingegen ein Ende der ethnischen Säuberungen, eine Rückkehr der Flüchtlinge und ein Rückzug der militärischen und paramilitärischen Einheiten Jugoslawiens aus dem Kosovo verlangt.
Ebenfalls am 13. April bietet - auch erstmals seit Kriegsbeginn - Kofi Annan seine Vermittlungsdienste an. Ein am gleichen Tag abgesandter Brief des UN-Generalsekretärs an Präsident Milosevic enthält ähnliche Forderungen, wie sie die NATO an Belgrad richtet: Ende der Vertreibungen, Abzug aller jugoslawischen Einheiten und Akzeptanz einer »internationalen militärischen Überwachungsmission.
Am 18. April sprechen sich die EU-Finanzminister bei einem Treffen in Dresden für einen »Marshall-Plan« auf dem Balkan aus.
Am 21. April präsentiert Rußlands Außenminister Iwanow folgenden Sechs-Punkte-Plan: Stop der NATO-Luftangriffe, Garantien für eine Rückkehr der Flüchtlinge in das Kosovo, Rückzug der serbischen Streitkräfte aus der Provinz, freier Zugang für Menschenrechtsorganisationen, Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen Belgrad und den Kosovo-Albanern über eine Autonomie, internationale Wirtschaftshilfe für Jugoslawien.
Am 22. April wird nach einem Treffen zwischen dem neuen russischen Vermittler Tschernomyrdin und Milosevic bekanntgegeben, Jugoslawien wolle UN-Beobachter im Kosovo akzeptieren und lehne auch eine internationale Militärpräsenz nicht mehr defititiv ab, wenn sie von der UN mandatiert und geführt werde, auch eine Verringerung der jugoslawischen Militär- und Polizeipräsenz wird erstmals in Aussicht gestellt - später allerdings dementiert Belgrad diese Konzessionen wieder. Gleichzeitig beschließt der NATO-Jubiläumsgipfel am 23./24. April in Washington eine neue NATO-Strategie, die Militärinventionen auch außerhalb der Bündnisgebietes und ohne UN-Mandat zuläßt.
Am 2. Mai taucht bei einem Vermittlungsversuch russischer und amerikanischer Parlamentarier erstmals eine »synchronisierte Lösungsvariante« auf: Zeitgleich sollen die NATO-Luftangriffe beendet, die serbischen Truppen aus dem Kosovo zurückgezogen und die militärischen Aktivitäten der UCK beendet werden. Am 3. Mai läßt Belgrad durch Vermittlung des US-Bürgerrechtlers Jesse Jackson drei gefangene US-Soldaten frei, die NATO zeigt sich unbeeindruckt.
Phase III - die NATO bombt wie nie zuvor, auch verhandelt wird wie nie zuvor
Am 4. Mai trifft Tschernomyrdin in Washington mit Präsident Clinton zusammen und verzeichnet »eine gewisse Annäherung«. Zeitgleich einigen sich die G-8-Staaten in Bonn - Rußland eingeschlossen - auf die Formel von der Notwendigkeit »von zivilen und Sicherheitspräsenzen im Kosovo«, bis dahin hatte Rußland stets nur von »internationaler Präsenz« gesprochen. Der als »Erklärung des Vorsitzenden« der G-8-Gruppe (Außenminister Fischer) firmierende Text enthält weiter die Forderung nach einen unverzüglichen und nachprüfbaren Ende der Gewalt im Kosovo, dem Rückzug aller militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte, der freien und sicheren Rückkehr der Flüchtlinge - gleichzeitig soll der Sicherheitsrat eine Übergangsverwaltung für die Provinz beschließen - und dem gesamten G-8-Katalog per Resolution seine Zustimmung geben.
Am 5. Mai erklärt Clinton bei seinem Deutschland-Besuch, er wolle die Luftangriffe »erbarmungslos intensivieren«. (In der Nacht zum 8. Mai bombardiert die NATO die chinesische Botschaft in Belgrad.) Am 9. Mai gibt Jugoslawien einen Teilrückzug seiner Truppen aus dem Kosvo bekannt - die Aktivitäten der UÇK seien beendet. Am 16. Mai schlägt der italienische Premier D'Alema vor, die NATO solle die Bombardierungen aussetzen, sofern Rußland und China im UN-Sicherheit eine Resolution mit dem Forderungskatalog der
G-8 passieren lassen. Die Feuerpause solle genutzt werden, um durch die Dislozierung einer internationalen Streitmacht im Kosovo die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen. D'Alema geht damit als erster Regierungschef eines NATO-Staates von einem Bombenstop der Allianz ohne vorherige Vorleistung Belgrads aus - und plädiert de facto für Bodentruppen. Am 18. Mai verhandelt Tschernomyrdin in Helsinki mit dem finnischen Präsidenten Ahtissaari (den die EU inzwischen als Vermittler benannt hat) und US-Vizeaußenminister Talbott über die Umsetzung des G-8-Planes im Sinne des Vollzugs von vier synchronen Schritten: Ende der NATO-Angriffe - gleichzeitiger Rückzug der jugoslawischen Streikräfte aus dem Kosovo und Nachrücken eines internationalen Militärkorps - Rückkehr der ersten Flüchtlinge. Am 19. Mai erklärt sich Jugoslawien zu Verhandlungen über den G-8-Katalog bereit, den es, wie ein weiteres Treffen Tschernomyrdin/Milosevic in Belgrad zeigt - vorbehaltlich einiger Korrekturen - akzeptiere. Am 20. Mai verhandeln Tschernomyrdin, Ahtissaari und Talbott erneut in Moskau ohne greifbares Ergebnis. Am 24. Mai erklärt Tschernomyrdin nach einem Gespräch mit dem indischen Außenminister Jaswant Singh, es sei ihm gelungen, den Westen von seiner Forderung nach einem vollständigen jugoslawischen Abzug aus dem Kosovo abzubringen. Eine Bestätigung durch US-Vermittler Talbott steht aus.
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