Obwohl die Bundesregierung mit ihrem Armuts- und Reichtumsbericht 2008 klar ausweist, dass hierzulande 13 Prozent der Bevölkerung – etwa zehn Millionen Menschen, darunter besonders viele Kinder und Jugendliche – arm oder armutsbedroht sind, lässt dieses Problem die meisten Beobachter kalt. Woran liegt es, dass der angeblich massenhafte Missbrauch von Sozialleistungen die Öffentlichkeit erheblich mehr erregt als die zunehmende Verarmung, teilweise auch Verelendung in Deutschland?
Es hängt offenbar damit zusammen, dass unser Armutsbild noch immer maßgeblich von Not und Elend im Mittelalter beziehungsweise in den Entwicklungsländern geprägt ist, was viele Bürger hindert, analoge Erscheinungen „vor der eigenen Haustür“ auch nur zu erkennen. Außerdem beschränkte sich Armut lange eher auf gesellschaftliche „Randgruppen“, vorzugsweise „Nichtsesshafte“, Trebegänger, Wohnungslose und Drogenabhängige, die weder Einfluss auf die öffentliche Meinung noch als Wählerpotenzial für die Parteien nennenswerte Bedeutung haben. Ein dritter Grund, warum Armut leicht „übersehen“ wird, liegt in den von Reichen, die über viel Geld, Macht und medialen Einfluss verfügen, aus nahe liegenden Motiven unterstützten oder gar lancierten sowie finanzierten Bemühungen begründet, die Schuld dafür den Betroffenen selbst zu geben, die angeblich „faul“ sind, „saufen“ oder „nicht mit Geld umgehen“ können. Mit der Armut und den Armen hat zudem kaum jemand gern zu tun, weil selbst der Umgang damit stigmatisiert und die Betroffenen nach eher negativen Erfahrungen selten zu denjenigen Menschen gehören, die Freunde und Sympathie finden können. Auch glaubt man irrtümlich, „richtige“ Armut herrsche nur in der so genannten Dritten Welt, wo viele Menschen am Straßenrand verhungern.
Tatsächlich nimmt die Armut in München andere Erscheinungsformen an als in Magdeburg – und dort wieder ganz andere als in Mumbai oder Mombasa. Aus diesem Grund unterscheidet man in der Fachliteratur zwischen absoluter, extremer oder existenzieller Armut einerseits und relativer Armut andererseits. Von „absoluter Armut“ spricht man dann, wenn Menschen die für ihr Überleben nötigen Dinge fehlen, also ausreichend Nahrung, Wasser, Kleidung, Obdach, Heizung und medizinische Versorgung.
In Deutschland handelt es sich zwar vornehmlich um relative Armut, die sich auf einem hohen Wohlstandsniveau verfestigende Ungleichgewichte in der Einkommens- und Vermögensverteilung widerspiegelt. Daraus abzuleiten, deutsche Transferleistungsempfänger jammerten „auf hohem Niveau“, wie dies häufig geschieht, ist gleichwohl falsch. Einerseits ist auch die Bundesrepublik von absolutem Elend keineswegs frei, denkt man beispielsweise an in kalten Wintern erfrierende Obdachlose. Andererseits kann Armut in einem reichen Land sehr viel deprimierender und demoralisierender sein als jene in einem armen.
Ebenso alt wie die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Armut ist der Streit darüber, ob es sich bei Letzterer wirklich um „richtige“ Armut oder nur ein missverständliches Synonym für soziale Ungleichheit handelt. Was in der Armutsforschung bereits seit langem zum Grundkonsens gehört, die Tatsache nämlich, dass Armut nicht in sämtlichen Ländern über den gleichen Leisten geschlagen werden kann, sondern dass unterschiedliche Maßstäbe nötig sind, um dem jeweiligen sozio-ökonomischen Entwicklungsstand angemessen Rechnung zu tragen, stört Kommentatoren, die den Begriff „Armut“ am liebsten so eng fassen würden, dass in der Bundesrepublik kaum noch davon die Rede sein könnte.
Wirtschaftslobbyisten, neoliberale Publizisten und Politiker der etablierten Parteien missbrauchen die soziale Relativität des Armutsbegriffs zur Relativierung der Wohlstandsarmut. So erklärte Altkanzler Helmut Schmidt im Zeit-Magazin Leben vom 18. Oktober 2007: „Manches, was man heute als Armut beklagt, wäre in meiner Kindheit beinahe kleinbürgerlicher Wohlstand gewesen.“ Niemand vergleicht seine eigene Lebenslage freilich mit jener früherer Generationen, sondern alle interessieren nur die sozialen Verhältnissen von Zeitgenossen – es handelt sich um direkte Nachbarn, um Kollegen, Verwandten, Freunde und Bekannten, an deren Status man sich messen lassen muss.
Nach dem gleichen Muster wie Helmut Schmidt verfuhr der Ökonom Hans-Werner Sinn, nur dass dieser nicht die Zeit-, sondern die geografische Achse als Vergleichsmaßstab wählte und verschiedene Länder in Beziehung setzte. In einer Kolumne in der Wirtschaftswoche vom 18. Dezember 2006 monierte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung (unter der Überschrift Geld fürs Nichtstun), dass die EU-Kommission kein absolutes, sondern ein relatives Armutsmaß benutzt. Dass man mit einem Verdienst, der in Luxemburg zum Leben nicht ausreicht, in Litauen durchaus wohlständig sein kann (womit zwei EU-Länder miteinander verglichen werden, in denen die Einkommensunterschiede beachtlich sind), weiß jeder. Diesen wichtigen Umstand unberücksichtigt zu lassen, hieße natürlich, auf einen realistischen Armutsbegriff zu verzichten.
Hans-Werner Sinn mokierte sich zudem darüber, dass Menschen als von Armut bedroht gelten, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens erreichen: „Wer in einer Steuerenklave, in der der Durchschnittsbürger eine Million Euro verdient, nur über ein Jahreseinkommen von 590.000 Euro verfügt, ist nach dieser Definition arm.“ Das reichlich konstruiert wirkende Beispiel kann bloß dann zur schönen Wirklichkeit für wenige Superreiche und zum Schrecken für die vielen Daheimgebliebenen werden, wenn sich die von Sinn befürwortete Politik der größtmöglichen Bewegungsfreiheit für das Kapital durchsetzt. Ansonsten verweist es nur auf die Notwendigkeit, bei der relativen Armut die „richtige“ Relation zu wählen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angemessen zu berücksichtigen.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble behauptete in einem Interview, das die Zeit am 17. Juli 2008 veröffentlichte, durch härteren Wettbewerb würden die Unterschiede hierzulande größer, wohingegen die globalen Unterschiede abnähmen: „Natürlich ist die Spanne zwischen denen, die bei uns nicht ruhig schlafen können, weil sie für ihr ererbtes Millionenvermögen Steuern zahlen müssen, und denen, die mit Hartz IV auskommen sollen, gewaltig. Aber wenn wir uns anschauen, wie die Lebenschancen für Chinesen, für Inder oder für Südamerikaner sind, relativiert sich das.“ Hier irrte Schäuble, denn das Privatvermögen der beiden reichsten Deutschen: Karl und Theo Albrecht (Eigentümer der Discounter-Ketten Aldi Nord und Süd), war 2007 mit 50 Milliarden Dollar ungefähr 100 Millionen Mal so groß wie das monatliche Transfereinkommen von Arbeitslosengeld-II-Beziehern, die auch nur ein geringes „Schonvermögen“ besitzen dürfen und besonders in Ostdeutschland häufig gar keins haben. Dagegen fallen die Einkommens- beziehungsweise Vermögensunterschiede zwischen einem deutschen Durchschnittsverdiener und Bewohnern solcher Metropolen wie Schanghai, Mumbai oder Johannesburg sehr viel geringer aus.
Es ist unsinnig, die Armut daran zu messen, wie viel schlimmer die Zustände früher waren oder woanders noch immer sind. Die deutschen Armen leben hier und heute, wo sie auch ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, weshalb es ihnen überhaupt nichts nützt, dass Menschen zu anderen Zeiten und in anderen Ländern noch schlechtere Verhältnisse erdulden mussten oder müssen. Umgekehrt muss man die Armut daran messen, wie viel besser die Lage der sozial Benachteiligten sein könnte, wenn die Gesellschaft ihre hehren moralischen Ansprüche einlösen und den Reichtum gleichmäßiger verteilen würde.
Armut hat viele Gesichter, weil sie nie unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen existiert, die sie umgeben. Dazu gehört in der Welt von heute ein früher unvorstellbares Maß an Wohlstand und Reichtum. Mit der einzigen Ausnahme jener extremen Mangellagen, die zum Tod des Betroffenen führen, ist Armut immer relativ. Auch die zerlumpten Bewohner der Slums von Nairobi erscheinen uns nur deshalb als arm, weil wir nicht dort, sondern in anderen, meist sehr viel besseren materiellen Verhältnissen leben.
Vor allem Kinder und Jugendliche sind in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren einem starken Druck der Werbeindustrie wie ihrer Umwelt unterworfen, durch das Tragen teurer Markenkleidung oder den Besitz immer neuer, hochwertiger Konsumgüter „mitzuhalten“. Für ein Kind ist es viel schlimmer, von seiner Clique ausgelacht zu werden, etwa weil es im Winter Sommersachen und Sandalen trägt, als ohne Abendessen ins Bett gehen zu müssen. Empathie und Solidarität erfahren die von Armut betroffenen Menschen hierzulande in einem eher geringeren Maße, als dies dort der Fall ist, wo kaum jemand ein großes (Geld-)Vermögen besitzt. Zu ihrer Ausgrenzung trägt nicht zuletzt das Vorurteil zahlreicher Mitbürger bei, dass es sich bei der Armut in einem reichen Land letzten Endes nur um eine Chimäre handeln könne.
Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln. Zuletzt erschien von ihm das Buch Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird
Kommentare 51
ach, die armut hierzulande und anderswo ist noch tausendmal größer als in dem artikel deutlich gemacht. die etymologen glauben die ursprüngliche bedeutung von "arm" als 'vereinsamt, verlassen' nachweisen zu können. danach ist die armut hier nicht nur die kulisse für verschwenderischen reichtum, sondern darüber hinaus ein begriff für alle die allein gelassenen kinder, alten, obdachlosen etc. das psychische elend ist schätzungsweise doppelt so groß wie das materielle, wobei sich beide bereiche weitgehend überlappen.
eine gesellschaft, die nach dem leitkulturschema lebt: "eines schickt sich nicht für alle, sehe jeder, was er treibe, sehe jeder, wo er bleibe, und wer steht, dass er nicht falle", ist erbärmlich arm. vom grundsatz her und ganz real.
Verehrter Professor Butterwege, ich halte Ihre Perspektive ehrlich gesagt für grundfalsch, denn sie macht sich die unsinnigen Standards einer auf Dauer unhaltbaren Konsumgesellschaft zum Maßstab. (Vielleicht auch, weil Sie selbst ja genug verdienen und das wie die meisten für "angemessen bis eigentlich zun wenig" halten?) Die ewigen Wachstumsneurosen und Must-have-Trends der Industrie brauchen keinen staatlichen Anspruch auf Erfüllung. Natürlich ist Armut relativ und so mancher in diesem Lande wird tatsächlich krank von diesem Problem. Dennoch genügt es, wenn die Allgemeinheit "nur" für die grundlegende Existenzsicherung des Einzelnen sorgt und sein Überleben sichert, egal wieviele Dinge ihm/ihr dann relativ zur Umgebung noch zum erwünschten Status- und Glücksgefühl fehlen! Denn das Grundlegende ist in der Tat bereits ein Luxus, den bislang nur wenige Staaten auf diesem Planeten gewähren und garantieren (und es sich auch leisten können). Ansetzen muss die Veränderung nicht dabei, unseren "relativen" Armen in ihrem Unglück über die Ungleichheit von Staats wegen mehr Geld bzw. höheren Wohlstand zu geben. Man kann ja neben dem Hartz-IV-Satz durchaus auch die Glücksdefinition mancher "Durchschnittsverbraucher" in Frage stellen! Die Grundsicherung für Nahrung, Wohnung, Kleidung genügt. Der Rest ist Verhandlungssache der Einzelnen, nicht Pflicht der Gemeinschaft. Ansetzen muss man in Deutschland bei der Ungerechtigkeit: Den Löhnen, der Besteuerung, der fehlenden Verantwortung der großen Masse der gut Situierten und vor allem der unverdient Reichen. Das ZU VIEL desd oberen Drittels ist das Problem, nicht das "zu wenig" der anderen.
Schon die Unterscheidung in eine "Allgemeinheit", eine "Gemeinschaft", die gegenüber den einzelnen Empfängern von Hilfen verpflichtet oder auch nicht verpflichtet ist, spricht Bände.
Es geht nicht um "Must-have-Trends" und "Status", ja nicht einmal um Glücksgefühle. Es ist psychisch schlichtweg das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann, wenn er nicht mehr zur Gesellschaft dazugehört, wenn er aus allen Zusammenhängen, in die er vielleicht einmal eingebettet war, herausfällt. Daran muß man denken, wenn man begreifen will, wie Armut Menschen bricht. Und wie Armut Menschen prägt, wenn sie so aufwachsen.
"Verhandlungssache der Einzelnen" - wie habe ich mir das ganz konkret vorzustellen ? Gibt es da auch so Seminare á la "Strategien für Gehaltsverhandlungen": Wie verhandle ich um mein Existenzminimum ?
Was ist eigentlich ein "verdient" Reicher ?
Sehr klug, sehr reich an Wissen - über Armut. Danke.
Armut ist relativ - ja, eine Banalität, ein fragwürdiges Umgehen mit objektiv sichtbarer, erfahrbarer Armut im Exportweltmeisterland. Das ist also blank Kapitalismus. Wer darüber nicht reden will, soll auch über Armut schweigen.
Der Hatz4Satz wurde angesprochen: Ich denke da immer an Georg Schramm, der in seinem Programm "Thomas Bernhard hätte geschossen" sinnvoll-kabarettistisch fordert: die Grundversorgung mit 1500 Euro. Hört Euch das an, auf You Tube, oder leiht bei mir die CD, da kriegste erklärt Armut warum, und wie weg.
wenn die existenzsicherung zum luxus erklärt wird, kann die zukunft nur besser werden als die gegenwart.
Es ist schon richtig, der Lebensstandard in diesem Land ist zu hoch, um für alle Menschen der Welt gelten zu können. Damit es gerecht zugeht, muss er also herunter, was ich nicht zu unserem Schaden sein muss und wird (solange es bewusst geschieht).
Mit diesem absenken allerdings bei dem Unteren Einkommen/nicht Einkommen zu beginnen ist schon der Gipfel des Zynismus (oder einer davon).
Oder ist das alles ein großer Plan und man hofft auf ein umgekehrtes trick-down sozusagen Trickle-up-and-down?
Leid ist nicht objektivierbar.
Das stimmt nur bedingt. Natürlich können wir nicht 100%ig wissen, wie sich für jemand anderes ein bestimmter Schmerz tatächlich "anfühlt", weil wir nur in unserer eigenen Haut stecken. Auf der anderen Seite konnte der Mensch sich nur als solcher entwickeln, weil er z.B. mit Fähigkeiten wie Einfühlung ausgestattet ist, bzw. die Entwicklung des Menschen ging einher mit der Entwicklung dieser und ähnlicher sozialer Fähigkeiten. Das eine ist nicht ohne das andere denkbar.
Der Grad von Zufriedenheit in einer Gesellschaft kann recht zuverlässig ermittelt werden, auch, ob er steigt oder sinkt. Je mehr soziale Ungleichheit, desto mehr Unzufriedenheit, übrigens bei allen, auch bei denen, die scheinbar obenauf sind.
Schließlich gibt es noch die Hirnforschung, durch die einiges darüber bekannt ist, was sich im Gehirn leidender Menschen passiert. Es gibt meßbare Veränderungen, die eben dann auch zu Verhaltensänderungen führen. Vereinsamung und Ausgrenzung (wie sie mit Armut einhergehen) wirken sich fatal aus. Deshalb sind auch Appelle an die Armen, sie sollten sich doch mal zusammenreißen und sich gefälligst nicht so gehenlassen, Schwachsinn.
Hier geht es gar nicht darum dafür zu sorgen, dass noch mehr Menschen im dauernden Überfluss leben, denn ich stimme Ihnen zu, diese Überflussgesellschaft ist auf Dauer weder machbar noch vernünftig. Dennoch Geld kauft nicht nur Waren, sondern auch Dienstleistungen, Kultur und Bildung - und geradere die letzteren sind essenziell, um an der Gesellschaft überhaupt teil zu nehmen. Genau darum geht es auch dabei, um möglichst allen einen breiten Zugang dazu zu ermöglichen, weil das auch eine Vorraussetzung ist, um überhaupt ein demokratisches System zu legitimieren. Was passiert, wenn man Menschen gesellschaftlich ausgrenzt, sehen wir nämlich jetzt - die Menschen sind frustriert und beteiligen sich auch selbst immer weniger gesellschaftlich-politisch und da sind auch viele Nichtwähler zu finden, die sich fragen warum sie noch wählen sollen, wenn sowieso niemand für sie Politik macht, die ihren Lebensstandard auch nur ansatzweise verbessern wurde.
@ Nelly:
1. Ab wann gehört denn ein Mensch nicht mehr zu Gesellschaft? Etwa wenn er arbeitslos ist oder Hartz IV bekommt? Ist es Ausgrenzung diesen Leuten Geld zu geben? Um Menschen zu brechen und unglücklich machen bedarf es übrigens beileibe nicht des Armseins (z.B. bestimmte Ausbildungen und Karriererregeln bewirken durchaus ähnliches). Wenn es um Gefühle geht kann der Staat wenig machen. Nicht Regierungsprogramme versagen dann, sondern wir, die konkreten Nachbarn, Freunde, Verwandte etc., die wir diese Gefühle (im gegensatz zu einem Amt) wahrnehmen können.
2. Wenn die deutsche Armut "das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann" ist, warum nur fühlen sich die Slumbewohner von Mubai und Mombasa
laut Butterwegges Artikel dann angeblich nicht so deprimiert? (Und träumen nicht selten davon, bei uns arm zu sein?)
3. Nicht das Unglück der Armut will ich hier anzweifeln, sondern diese bewusste Negierung vom faktischen Unterschied zwischen existenzieller Armut und sozialer Schere (die bei uns absolut ungerecht und zu groß ist und dringend abgebaut werden muss durch eine Verteilung von oben nach unten, wobei der Staat hier absolut handlungsfähig und in der Pflicht wäre)! Professor Butterwegges ignoranter Ansatz, diesen Unterschied zu leugnen, halte ich für wenig hilfreich. Die sozialen Gegebenheiten nur im jeweiligen Staat selbst zu betrachten und die allgemeinen Konditionen unserer globalisierten Gesellschaften außer acht zu lassen, halte ich im Jahre 2009 für eine erschreckend nationalistische Perspektive zugunsten des westlichens Egos.
es bleibt dabei: Armsein in Deutschland ist furchtbar und müsste vor allem nicht sein! Verglichen damit, wie die eine Milliarde auf diesem Globus gleichzeitig lebt, die 1 Dollar pro Tag oder weniger hat, lebt ein armer Deutscher nicht schlecht.
genau, @Nelly!
die frage ist nur: wie kann man das problem lösen? wie kann man dieses leiden beseitigen? porsche für alle? oder porsche für keinen? (letzeres hatten wir schon, hieß real existierender sozialismus, hat leider auch keinen auf dauer glücklich gemacht...)
essen, kleidung, wohnung, bildung, information: dafür kann und soll der staat (das "handlungsinstrument" der allgemeinheit/der gemeinschaft) sorgen und tut es - nicht perfekt, aber in der mehrheit der fälle ganz gut - bei uns auch. für dauerhaftes glück jedes einzelnen aber kann kein staat der welt garantieren. okay, vielleicht sollten wir es ja mal mit dem politischen konzept des "bruttoglücksprodukts" aus dem buthan probieren?
(siehe: www.n-tv.de/wissen/Lektion-aus-dem-Himalaya-article59744.html)
Wenn es gelingt, eine bestimmte Gruppe zu dämonisieren, dann ist diese unterlegen. Egal, was man über sie schreibt oder zu sagen pflegt: Armut wird stets assoziiert mit Krankheit und Schwäche. Im übertragenen Sinn läßt sich sogar ein plausibel klingender Satz bilden: arm an Mut (Adjektiv - Präposition - Nomen). Oder man macht eine Gegenüberstellung der Nomen „Armut“ (feminin) und „Mut“ (maskulin). Wer von beiden steht auf dem Siegertreppchen, obwohl Artikel 3 des Grundgesetzes etwas ganz anderes vermuten läßt?
Wenn es also Jemandem an Mut mangelt, so ist er zu Recht ein Feigling und hat die Armut verdient. Feiglinge oder Mutlose sind in einer vor Selbstvertrauen strotzenden Leistungsgesellschaft ungebetene Gäste. Deshalb müssen sie draußen bleiben, damit wir sie aus sicherheitsverglaster Entfernung bemitleiden können.
Entschuldigung Mike: Wer dämonisiert sie denn, die Armen in Deutschland?
@ marsborn
Alle, die sich vor der Armut fürchten, sie verstecken wollen oder schlichtweg leugnen. Leute wie Du.
Einfühlungsvermögen ist nicht die größte Stärker von Ökonomen.
@Nelly ich verstehe Ihren Kommentar nicht so recht. Ist das Widerspruch? Ergänzung? Zustimmung?
Ich wollte sagen, dass niemand jemandem sagen kann, ihm ginge es doch gut (im Vergleich zu), weil jeder Mensch andere Ressourcen hat, mit Leid umzugehen.
Vielleicht besser: Das Leid des Einzelnen ist nicht objektivierbar.
Lieber Mike, ich weiß nicht, was dir daran liegt mich beleidigen zu müssen. Aber ich kann dir sagen, dass ich mich nicht vor der Armut verstecke, sondern im Sinne dieser Diskussion selbst arm bin. Ich sitze mittendrin und weiß, wovon ich rede. Deine Verbitterung und Unsachlichkeit bringt diese Debatte leider nicht voran.
lieber marsborn, wenn du dich erkühnst, professor butterwegges ansatz "ignorant" zu schimpfen, frage ich dich, wie es mit deiner lesefähigkeit bestellt ist. 'differenziert' ist jedenfalls etwas anderes.
@marsborn
der staat bei uns hier sorgt fürs nötige, sagst du und hängst dran: "nicht perfekt". das ist alles, was du zur armutslage der nation zu sagen hast. etwas wenig. etwas arg bescheiden. um nicht zu sagen "nicht perfekt".
lieber marsborn, vielleicht liest du noch einmal nach, was mike geschrieben hat, ehe du von unsachlichkeit und beleidigung redest. es könnte der diskussion hier nützen.
lieber h. yuren und lieber "leute wie du leugnen die armut" mike,
euere beiträge habe ich natürlich sehr genau gelesen. mike behautpet, ich dämonisere die armen in deutschland, führt aber keinerlei nachweise dafür an - was nicht wundert, denn ich tue das gegenteil davon. ich kenne hartz 4 und ärgerlicheres (nämlich "kein anspruch") und ich habe auch einige monate in einem asiatischen slum gelebt/überlebt. daher meine auffassung: das elend anderer zu leugnen oder sogar ganz auszublenden, wie professor butterwegge hier vorschlägt, nur weil es einem selbst schlecht geht, halte ich für eine fatale haltung der entsolidarisierung. ein typisches "mir gehts schlecht, mein elend ist absolut, die anderen haben doch alle keine ahnung"... und andere leute (mich) wegen eines anderen, einem vielleicht unbequemen standpunktes unsachlich zu dissen, halte ich ehrlich gesagt für kindisch. deshalb noch einmal ganz klar: "Armsein in Deutschland ist furchtbar und müsste vor allem nicht sein! Verglichen damit, wie die eine Milliarde auf diesem Globus gleichzeitig lebt, die 1 Dollar pro Tag oder weniger hat, lebt ein armer Deutscher nicht schlecht." und dieser vergleich ist teil des problems und darf deswegen im 21. jahrhundert nicht ausgeblendet werden.
@ h.yuren
Danke.
@ marsborn
Der Begriff „Armut“ ist für Deutsche zu abstrakt, weil wir ihn eher an Zahlen messen als an Menschen. Niemals würde man auf den Gedanken kommen, daß es sich um nichts anderes als um Wesen aus Fleisch und Blut handelt. Es sei denn, die Journallie ließe sich dazu herab, darüber ihren Senf und ihre guten Ratschläge zum Besten zu geben.
So haben diejenigen, die „arm sein“ mit Schaubildern zu relativieren versuchen, leichtes Spiel. Und wir spielen es brav mit. Weil Armut in reichen Ländern weniger am Äußerlichen festzumachen ist, sondern vielmehr im Verborgenen lebt, und nur selten ans Tageslicht kommt.
Wir alle würden Armut nicht erkennen, selbst wenn sie uns direkt gegenüber stünde. Erst sie sich offenbart, im Sinne von: „Hallo, da bin ich! Und nun?“, werden sämtliche Geschütze aufgefahren, um sie ganz schnell wieder verschwinden zu lassen. Dann sind die Medien überhäuft mit Lippenbekenntnissen, Absichtserklärungen, wohlgemeinten Gesten, usw. Und alle haben denselben Tenor: „Wir müssen die Armut bekämpfen!“
Irrtümlicherweise oder gerade deshalb werden Maßnahmen ergriffen, deren vorrangiges Ziel es ist, die ARMEN zu bekämpfen, anstatt die ARMUT. Ungefähr so, als müsse man sie ganz schnell in das tiefe Loch zurückbefördern, aus der sie einst gekrochen kam.
Armut, bleib’ gefälligst unten!
Elend ist immer relativ! Frau Schaeffler, Chefin von Schaeffler/Continental zum Beispiel ist am Boden zerstört, weil sie jetzt neuerdings manchmal Pizza essen muss... Und der deutsche Konzernchef Merckle fühlte sich durch die Finanzkrise so verarmt, dass er sich Anfang des Jahres sogar vor einen Zug warf. Ich zweifle nicht daran, dass sich die beiden genannten tatsächlich elend fühlten! Dennoch können sie kein Maßstab dafür sein, wie wir über Armut reden und sie bekämpfen. Höchstens traurige und absurde Beispiele dafür, dass Prof. Butterwegges Perspektive nicht weit führt. Altersarmut, Kinderarmut in Deutschland müssen bekämpft werden, aber die Medien sind nicht das Problem! Die berichten durchaus darüber (ob zu wenig, darüber lässt sich diskutieren), aber wichtiger ist politisches Handeln. Aber den Blick übern Tellerand darf man dabei nicht verlieren.
Herr Butterwege hat recht! Elend kann schon deshalb nie relativ sein, weil Elend in den Köpfen der Menschen beginnt und da kann man immer noch nicht reingucken, wie elend es einem Menschen ist.
Kosequente Bekämpfung der Armut sollte es auf der ganzen Welt geben. Das ist sehr schwer, denn z.B. der Hartz IV-Empfänger in Deutschland wird ja auch die billige chinesische Waren und preiswerten Kaffee kaufen, in denen sowiel Ausbeutung steckt. Damit ist der Hartz IV - Empfänger oder der Prekarier in Deutschland auch ein Rädchen im System der weltweiten Ausbeutung der armen Staaten, aber er ist in Deutschland eben auch arm! Das ist dieses elende Grau in den Sozialsystemen der hochentwickelten Länder.
Also muss der Reichtum auf der ganzen Welt gerecht verteilt werden. Trotzdem ist der politisch gewollte Hartz IV -Sektor in Deutschland sozial ungerecht und abzuschaffen!
Den armen Ländern auf der Welt muß geholfen werden, den Armen in Deutschland aber auch.
Okay, einverstanden! Aber wie?
Danke! Die Antwort habe ich leider nicht.
Das ist wirklich eine Sache , wie groß der Leidensdruck bei jedem ist. Der Hartz IV -Empfänger hier wird-sofern überhaupt noch politisiert-wohl etwas in der Linken gegen Hartz IV machen. Das ist wie gesagt nur die halbe Wahrheit. Im Prinzip könnte fast jeder was machen, fair gehandelten Kaffee kaufen, sich in Organisationen für die Entwicklungsländer engagieren (z.B Brot für die Welt), womit die Ausbeutungsinstrumente der industrialisierten Staaten wie etwa die Weltbank auch noch nicht abgeschafft sind. Das ist wirklich ein schwieriges Thema. Brecht sagte:" Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" Das finde ich eigentlich, so wie er es gemeint hatte vollkommen richtig, aber im übertragenen Sinn auf unser Problem befürchte ich, dass die Moral schnell zum Teufel gehen kann, wenn mein Bauch satt ist. Das ist ein Widerspruch an dem sich selbst Jutta Dithfurth die Zähne ausbeißt. Diesen Widerspruch den Marsborn angerissen hat, sehe ich auch eher als die Schwäche in Ihrem Buch "Zeit des Zorns" an. Der gleiche gute Mensch, der will, dass es allen Menschen auf der Welt gut geht bin ich auch, aber wie geht das? Vor einem Weltsozialismus einer vereinigten Weltrepublik, in der der Sozialismus funktioniert, würden sich die meisten Einwohner der Welt wahrscheinlich trotzdem bedanken. Was sind dann realistische Handlungsmöglichkeiten? Ich weiß es nicht, aber das Licht am Ende des Tunnels sehe ich da leider ganz weit weg, was die Hilfe für die armen Länder und was die Abschaffung von Hartz IV betrifft.
betrifft. Warum gibt es diese Ungleichheiten in Deutschland und auf der Welt? Ich bin da eher der simple Prekarier, der sagen würde, weil der Starke es mit dem Schwachen machen kann. Ich mache es als armer Deutscher ja auch in der Warenwelt unserer Kaufhäuser und denke ich da an den Arbeiter in Cina, der Buckel dafür krumm machen muß? Und selbst wenn ich anihn denke, hat er dann überhaupt was davon, solange keine konkrete Hilfe für ihn erfolgt? Die Last der ganzen Welt ist mir so schwer, aber wenn das alle Reichen oder relativ Starken das ständig sagen, ändert sich nie etwas, aber trotzdem weiß ich einfach keine Antwort. Ob diese Ungerechtigkeit überall auf der Welt in Ihrer Zukunft jemals überwunden werden wird? Ohne gerechtere politische Systeme wird es nicht gelingen. Wenn es überhaupt gelingen soll, kann nur im Kleinen damit angefangen werden. Wie sagt der Chinese, dass "selbst eine Reise über 1000 Meilen startet mit dem ersten Schritt."
Was wir brauchen, sind zeitgemäße praktische Handlungskonzepte für soziale Gerechtigkeit, die eben nicht nur auf den eigenen Nabel schauen. Deshalb erstens: Hohe Vermögen und Einkommen müssen in Deutschland stärker besteuert werden, um damit gezielt die Alters- und Kinderarmut hier zu bekämpfen. Zweitens: Auch ein deutscher Hartz-IV-Prekarier sollte nicht vergessen, dass es gleichzeitig mit ihm/ihr auf der Welt -zig Millionen Menschen gibt, denen es schlechter geht. Das heißt: Wir brauchen eine europäische Armutsbekämpfung. Und Solidarität der Armen untereinander. Die UN müssen gezwungen werden, von ihrem Brandhilfekonzept (d.h. aktionistische Hilfe und immer nur dann, wenn das Kind schon im Brunnen ist) weg zu einem globalen Strukturausgleichs-Instrument werden. Es kann dabei jedoch nur um grundlegende Existenzsicherung gehen, nicht darum, wie elend sich einer subjektiv fühlt. Das wäre schon mehr als genug!
@ poor on ruhr
Geld muß zinsfrei und nicht hortbar sein, sonst ist die Kluft auch nach 1.000 Schritten nicht überwunden.
@Mike: Wie beim Islamic Banking (wo Zinsen prinzipiell verboten sind)?
@ marsborn
Wäre schön, wenn die sich daran halten würden. ;-)
Auch das Christentum war dem Zins nicht wohlgesonnen. Abgesehen vom Glauben halte ich die Einführung der natürlichen Wirtschaftsordnung für machbar. Denke an den Brakteaten oder an den Modellversuch von Wörgl, sowie modernes Regiogeld. Beispiele aus der Praxis gibt es genügend.
Vergleichsbeispiel: auch Sklaven im alten Rom mögen sich mit ihrem Leben teilweise so arrangiert und abgefunden haben, dass sie sich zeitweise glücklich gefühlt haben. Das ändert aber nichts daran, dass sie objektiv Sklaven waren, Diener ihres Herren, ohne Selbstbestimmung, Mitbestimmung, Wahlrechte, Eigentumsrechte usw.
Genau so verhält es sich mit der Armut auch. Sie ist objektiv durch die äußeren Bedingungen und Gewaltmechanismen gegeben, z.B. bei uns durch die angebliche "Sachzwänge" der kapit. Krisenverwaltung.
Man kann dem Problem der Armut nur auf den Grund gehen und es lösen, wenn man einen anderen Blickwinkel einnimmt. Entscheidend ist dabei, strikt wertmäßig zu denken und so die Ursache der Armut zu identifizieren, d.h. man schaut sich das an, worauf unsere gesellschaftliche Reproduktion beruht: die Mehrwertbildung ganz allgemein (und eben nicht spezielle Formen davon wie z.B. Zinsen, wie unten fälschlicherweise in den Kommentaren behauptet). Menschen werden dann als arm erkannt (z.B. definiert als 60% vom Durchschnittseinkommen, was rein willkürlich festgelegt ist), wenn ihnen Einkommen fehlt, um sich Bildung, Kultur, Reisen usw. leisten zu können. Spätestens da beginnt und manifestiert sich die Ausgrenzung. je nach individueller Vorbildung und Bewusstseinsstand wirkt sich das dann natürlich unterschiedlich auf das subjektive Glücksempfinden aus. Diese Subjektivität ändert aber nichts an der objektiven Tatsache der - natürlich immer "relativen Armut". Sich mit Simbabwe oder sonst welchen fremden Verhältnissen zu vergleichen, um sich selbst besser fühlen zu können oder das politisch zu instrumentalisieren (Helmut Schmidt, Hans-Werner Sinn usw.) ist dagegen sozusagen ein ideelles Armutszeugnis und zeigt deutlich an, dass sich diese Herrschaften nicht wirklich dem Problem stellen, sondern es klein und letztlich weg argumentieren möchten.
Sicherlich gäbe es auch in unserer Gesellschaft noch eine menge im Sinne einer gerechteren Verteilung der werte. Dass das nicht passiert, obwohl es sich angeblich alle bürgerlichen Parteien, egal ob christlich, liberal, mittig, rechts oder links des Spektrums an die Brust heften, hat Gründe, die in der Wertgegenständlichkeit unserer Gesellschaft liegen. Es gibt nur eine einzige, vollständig richtig Lösung - sich davon zu verabschieden und dabei bei uns anzufangen, anstatt auf Afrika oder sonstwen in der Welt zu verweisen. wenn wir das Problem in Mitteleuropa auf Basis einer nicht fetischhaften, an Kategorien wie Geld, Markt, Preis, Staat, Arbeit, Wettbewerb, Einkommen usw. gekoppelten Reproduktion lösen, wird der Rest der Welt folgen müssen, weil wir dann quasi jeden beliebigen Preis global unterbieten könnten. Selbst ein Chinese der für 25 Cent arbeitet wäre dann noch zu teuer. Dann gäbe es weder strukturelle Arbeitslosigkeit noch Armut bei uns. Das wäre dann unser wichtigstes Exportgut, dem kein bürgerlich ideologisches Argument mehr etwas entgegenstellen könnte.
Solange man das Problem Armut jedoch systemimmanent diskutiert, wie hier in den Kommentaren, dreht man sich im Kreis. Mein Lesetipp: exit-online.org Jeder hat das Recht sich mit der "modernen Wertetheorie" vertraut zu machen und die Wahrheit für sich zu erkennen. Wie sagte Mulder immer: ...die Wahrheit ist irgendwo da draußen!
Hier haben wir einmal einen gescheiten Beitrag. Das Gegenteil von arm im Geist. Und was überaus immer stimmt: daß wir - selbst als Linke - immerzu in der systemimmanenten Perspektive denken. Weil ihr Zwang so stark ist. Wir müssen stärker sein. Wir müssen das andere denken, das ja schon da ist, für den humanen Geist.
@ Tiefendenker
Tief gedacht, aber nicht weit genug. Wer unter den Zinsen einfach hinwegtaucht, wird am Ende die gleichen Fehler begehen wie seine Vorgänger. Als Ersatz für die freie Marktwirtschaft tritt dann der totalitäre Staatskapitalismus auf der Stelle. Ich bin gespannt, ob „Der Freitag“ seine Mehrwertaneignung unter diesen Bedingungen verteidigen kann.
lieber tiefendenker, du hast so abgrundtief gedacht, dass ich es gar nicht bis auf den letzten daumenbreit ausloten kann. doch bin ich der meinung, dass wir noch immer systemimmanent diskutieren, wenn wir die ökonomisch bedingten probleme ökonomisch zu lösen versuchen. was zur realen armut führt, ist viel komplexer. wir brauchen ein denken, das sich vom system und der tradition des denkens entfernt. der historiker jacob burckhardt hatte objektive gründe, die macht oder das machtstreben für das übel an sich zu halten. ich kann ihm insoweit folgen, dass ich wahn und gewalt als die auffälligsten merkmale aller bekannten gesellschaftsformen das erz-übel nenne, wobei die macht- und besitzverteilung mit wahnvorstellungen und gewalttraditionen zu erklären wäre. die krassen ungerechtigkeiten und unbegreiflichen verschwendungen können durch das alte system allein propagandistisch kleingeredet werden, niemals aber abgeschafft. denkbar ist das meines erachtens überhaupt nur durch einen totalen traditionsbruch. weg vom rechts-links-schema, weg vom oben-unten der klassen und kasten ist für mich nur denkbar durch die inthronisierung des sachverstands auf allen gebieten, sprich: durch abschaffung der willkür, sei es die alte willkür der regierenden über die oppositionen und minderheiten, sei es die demokratische willkür der plebiszite. experten müssen mehr einfluss haben. doch ebenso wichtig ist die gegenseitige kontrolle aller entscheidungen durch grenzüberschreitende gremien in der neuen weltgesellschaft; denn ein land oder eine weltregion allein kann nicht bestehen; alle regionen müssen sich gegenseitig stützen, kontrollieren, austauschen. zum schluss die höchste instanz, vergleichbar den obersten gerichten in den einzelnen staaten bis dato; sie prüft alle gesetzesvorlagen präsidial auf ethische maßstäbe, die globale gültigkeit haben. ein gesetz, das auf ein mehr an wahn oder gewalt hinausliefe, müsste zurückgewiesen werden.
wenn diese denkansätze utopisch erscheinen, kann ich das verstehen, einerseits; andrerseits aber ist nur so oder ähnlich (dies ist nur eine knappe skizze) zukunft noch möglich, zukunft ohne armut. eine andere zukunft gibt es nicht.
Genau. Das ist eine ganz schwere Kiste, aber immerhin hat h. yuren mal ein paar Ansatzpunkte umrissen.
Wie soll sich denn so ein System verändern, wenn nicht von innen her? Wir leben doch nicht in einer anderen Galaxie, wo ein esoterisch angehauchter Mulder von einer "Wahrheit" irgendwo da draussen rumerzählen kann. Mit diesen einfachen Antworten kommt man nicht weiter. Nach meiner Erfahrung gibt es immer ganz viele Wahrheiten auf der Welt, von der die Menschen erzählen. Aber was nützen bei unserem Problem alle Wahrheiten der Welt, wenn nicht das Richtige getan wird?
Armut systemimmanent oder wertneutral zu betrachten ist ein verhängnisvoller Irrtum, der uns zu den gleichen Unmenschen werden läßt, die wir so leidenschaftlich kritisieren.
Vielleicht verstehen wir unter "systemimanent" nicht das Gleiche. Mir geht es doch nicht um die Rechtfertigung der Armut. Das bin ich ja selbst und finde ich nicht gut. Aber hat etwa Marx nicht im bürgerlichen halbfeudalischtischen System des 19ten Jahrhunderts gelebt und neue Betrachtungsweisen geschaffen, die Vorbilder für die großen Gegenentwürfe im 20ten Jahrhundert waren, so erbärmlich diese auch teilweise ausgeführt wurden und die ganz große Chance vertan wurde, was allerdings nicht Marx zuzurechnen ist? Reine Theorie kann nur ein Anstoß sein, aber wird alleine für sich die Welt nicht weiterbringen!
por
@ poor on ruhr
Verzeihung, ursprünglich wollte ich „nicht“ vor „systemimmanet“ setzen, habe es aber vor lauter Erregung glatt unterschlagen. ;-)
Wieso erbärmlich? Sie entsprachen genau dem, was Marx UND die Neoliberalisten als die Mutter aller Werte auserkoren haben: Die individuelle Freiheit. Doch diese Freiheit führt letztendlich zur Unmenschlichkeit, der wir damals wie heute ausgesetzt sind. Weil es unter solchen Voraussetzugen keine gemeinsamen verpflichtenden Werte geben kann!
Erst wenn wir erkennen, das die Vorteile des Einen keine Rechtfertigung für die Nachteile des Anderen sein dürfen, haben wir den ersten wichtigen Schritt getan. Dergleichen gilt auch für die irreführende Behauptung, daß das Leid des Einzelnen auf einer freiwilligen Entscheidung beruht.
Zum „Handeln:...wenn man noch nicht weiss, was richtig ist, ist es oftmals besser nichts zu tun. Langsamkeit kann ein Vorteil ein.
Zur „Wahrheit: ...wenn Wahrheit nur als die subjektiv empfundene Wahrnehmung im Kontext meiner eigenen Weltsicht verstanden werden soll, so sind das objektive daran zunächst nur diese Wahrnehmung und die Weltsicht selbst. Alles andere ist zwangsläufig relativ. Es kann richtig sein, muss aber nicht. Deshalb auch meine Formulierung: „Jeder hat das Recht ... die Wahrheit für sich zu erkennen.“, also quasi seine eigene, weil ich weiß, dass das oft so gesehen wird.
Das ändert aber nichts daran, dass diese subjektiven Wahrnehmungen immer nur einen Teil der objektiven, also der vom Bewusstsein unabhängigen Gegebenheiten und Prozesse, sein kann. Die Schnittmenge unserer aller Individualwahrheiten könnte also einen neuen gemeinsamen Kontext bilden, der dann Grundlage sein könnte, besser zu handeln als unsere Eliten heute.
Zu „Tradition“ und „Denken“: ...Tradition ist im besten Falle nicht das Bewahren der Asche (z.B. alter, eingefahrener Denkmuster, Sichtweisen, Perspektiven, Wahrheiten...), sondern das Weitergeben des Feuers (Begeisterung für neue Denkformen, neue Blickwinkel, neue Bruchstücke der Wahrheit zu erkennen...). Das verhindert, behindert oder befördert und ermöglicht neues Handeln, je nachdem. Handeln selbst ist oft purer Aktionismus (siehe unsere Regierung) und bewirkt nicht selten das Gegenteil von dem, was man damit erreichen möchte. Das Nachdenken deutlich vor das Handeln zu stellen, würde uns allen gut zu Gesicht stehen. In diesem Sinne ist Theorie durchaus ein Anstoß, kann aber auch weit mehr sein als das.
Zur „Machtfrage“: ...ich stimme h.yuren durchaus zu, dass auch Macht damit zu tun hat und Ökonomie natürlich nur einen Teilaspekt darstellt. Dennoch sei die Frage gestattet: Macht in Bezug worauf??? Ich sehe da zwei Aspekte wie folgt:
1. Ich habe die Macht etwas zu tun, also die Fähigkeit, Kompetenz und Möglichkeit zu handeln (also macht primär im Verhältnis Mensch – Natur).
oder
2. Ich habe die Macht andere etwas tun zu lassen, also die Fähigkeit und Möglichkeit andere dazu zu bringen in vorbestimmter oder freier Weise zu handeln (also Macht im Verhältnis Mensch – Mensch).
Letzteres wirft die Frage nach der Autorität auf. Autorität bildet ähnlich wie Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis (Mensch – Mensch). Autorität ist sich im Gegensatz zur Macht ihrer Verantwort bewusst; sie schließt sie mit ein. Autorität bildet sich heraus bzw. wird von den Mitmenschen als solche erkannt und gewährt – und nicht erobert, wie Macht (Krieg, Putsch, Wahlkampf usw.) Autorität ist also ihrem Wesen nach tendenziell positiv ausgerichtet. Wenn jemand hingegen mit offener oder versteckter Gewalt (wie den Mechanismen der kapitalistischen Zwangsverwaltung) nach Macht oder Machterhalt streben muss, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass derjenige seine Autorität längst verloren hat (z.B. unsere Führungseliten hinsichtlich wirtschaftlichem Handeln und ihrer gesellschaftlichen Führungsrolle). Der Schritt zur Gewalt liegt dann meist nahe. Das Potential dazu wird bewusst geschaffen, z.B. durch Aufrüstung (militärisch und innenpolitisch [Gesetzesänderungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inland] inkl. Anschaffung 87 neuer, gepanzerter Wasserwerfer für die Polizei in Deutschland 2009).
Die Frage ist also, wie ich Macht (Einfluss auf mich und andere) im Sinne von Autorität nutze. In der BRD fehlt es deutlich an Autorität, aber nicht an Machtverhältnissen. Das diese nur ganz bestimmte Interessen vertreten, dürfte unstrittig sein.
Wozu wird diese Macht also konkret genutzt? Was steckt dahinter? Ich bin zwar kein Spezialist dafür, vermute aber bei der zweiten Frage: Existenzangst...!!!
Vereinfacht könnte man sagen: Alles im Leben dreht sich um Sex und Geld, eventuell noch um Macht: Letzteres aber auch nur, um an die ersten beiden Dinge heranzukommen.
Sex steht dabei stellvertretend für unsere evolutionär geprägte Natur. Geld steht dabei symbolisch für materielle und soziale Sicherheit. Ein Mangel an dieser Sicherheit als Basis lässt sich erfahrungsgemäß durch Machtausübung kompensieren. Denken zumindest viele... Der Stärkere bestimmt den Schwachen, der Kluge den Dumme, der Reiche den Armen. Ein System, welches auf Angst aufgebaut ist, kann aber nie richtig sein. Macht ohne Autorität (Verantwortung, Kompetenz, Menschlichkeit...) führt zu Machtmissbrauch, Unterdrückung und Armut. Das ist Mangeldenken. Das bezeichne ich am heutigen historischen Zeitpunkt als systemimmanent.
Und wozu wird demnach Macht hierzulande benutzt??? Um die Menschen genau diese vermeintliche materielle Sicherheit erarbeiten zu lassen, sprich - sie exakt in den Prozess der Mehrwertbildung einzugliedern! Der Zweck der Macht ist also auf die Form der Ökonomie ausgerichtet. Ja mehr noch – sie wird durch die ökonomische Form bestimmt und gewährt!!! Es ist ein Irrtum, man müsse nur die politische Macht (Klassenkampf) erobern und dann könne man die Ökonomie bestimmen, sondern umgekehrt – die Form der gesellschaftlichen Reproduktion bestimmt letztlich durch ihre Interessenvertreter die Politik. Und die Politik kapitalistischer Länder versuchte in der Geschichte stets die bestmöglichen Verwertungsbedingungen für das Kapital zu erzeugen. Selbst die Demokratisierung ist unter diesem Aspekt zu sehen. Rechte sind Abfallprodukte dieses Eingliederungs- und Konditionierungsprozesses. Stehen unsere Rechte (Streikrechte, Informationsrechte, Versammlungsfreiheit usw.) im Widerspruch zum Zweck (abstrakte Kapitalvermehrung und damit Erhaltung der Macht und materiellen Sicherheit), so werden uns die Rechte leider tendenziell auch wieder genommen.
Eine Revolution mache ich nicht allein dadurch, dass ich gegen etwas aufbegehre, sondern indem ich neue Lösungen bringe! Gefragt ist also eine neue Autorität, die aufzeigt oder zumindest anregt, ökonomische Lösungen zu bringen. DANN können w ir uns gerne über das WIE für deren Implementierung unterhalten. Es geht dabei also keineswegs um eine imaginäre Esoterik, wenn man auf eine objektive anstatt einer subjektiven Wahrheit verweist, sondern um reale Wechselwirkungen gesellschaftlicher Formbestimmungen und Einflussgrößen darauf.
Niemand hat mehr Interesse daran, dass der Kapitalismus funktioniert, als die Kapitalisten selbst. Wir können gerade in Echtzeit mit ansehen, wie sie an dieser Aufgabe scheitern, obwohl sie die größten Supercomputer rechnen lassen, um Lösungen zu finden. Da wird ihnen auch ihre ganze Macht nicht weiter helfen. Die Systemlogik der Marktwirtschaft, basierend auf Angst und Mangeldenken, wird sich nicht ewig reproduzieren lassen. Sie geht historisch ihrem Ende entgegen, wie lange es auch immer noch dauern mag...
Seht Euch außerdem den Werbespot vom FREITAG an...der hat die wirklichen Machtverhältnisse in Bezug auf die Subjekte prima umgesetzt. Macht an sich ist wertlos. Sie steht und fällt mit der ökonomischen Frage. Bei uns genauso wie früher bei den Azteken (s. Film „Apocalypto“), im alten Rom (Sklavenhaltertum), im Mittelalter ( Adel mit seinen Ländereien) oder in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg (Industrialisierung). Im Zuge dessen, dass sich ökonomisch etwas verändert hat, haben sich stets auch die Machtverhältnisse geändert. Leider mangels wirklicher Autorität nicht immer zum Guten...
Hallo, sehr angenehm, aber Deine Beiträge sind zu lang, das liest niemand im Internet, selbst ich nicht, der aus der Gutenberggalaxis kommt. - Kurz draufhalten, abdrücken, ca. 100 Zeichen. Sonst hast du überhaupt keine Chance. Und redest nur ungehört in die Weiten der Serverfinsternis ...
du hast gut reden und kurz schreiben, rainer. die jungs aber müssen sich noch richtig verausgaben, um das gefühl zu bekommen, was gesagt zu haben von gewicht.
und ich fürchte, tiefendenker, der rainer hat mal wieder recht. weniger ist oft mehr. besonders hier im netz.
Lieber tiefendenker und mike,
also Ihr habt mich im großen und ganzen überzeugt. Sorry, falls Einiges von mir vieleicht provoziert hat, aber so war das eigentlich nicht gemeint. Ich schreibe manchmal so wie mir der Schnabel gewachsen ist und das klingt dann vieleicht nicht so feingeistig, wie es bei dieser Diskussion eigenlich der angemessene Stil wäre, aber tiefendenker hat mich überzeugt und mir ist klar geworden, was gemeint ist. Vielen Dank dafür.
por
Lieber tiefendenker,
besonders stimme ich da zu, "dass ein System, dass auf Angst aufgebaut ist, niemals richtig sein kann."
Ihre theoretischen Überlegungen stellen den Menschen ins Zentrum und das finde ich einfach gut. Jetzt ist mir auch klar, dass man die Lösungen nicht aus systemimmanenten Perspektiven entwickeln kann. Ihre theoretischen Überlegungen zielen darauf ab, den Menschen aus der Angst zu befreien und sollte es sein, wenn es gut werden soll! Nochmals danke.
por
Sorry - ich bin es gewohnt sehr lange Texte zu lesen - auch im Netz (allerdings auf einem sehr großen 23" Monitor). Oder ich kopiere sie mir in einen WORD-Datei rein und drucke sie mir in der für mich idealen Schriftgröße aus.
Ich kann auch kurz. :o) Ob das das aber nachvollziehbar ist, dürfte fraglich sein. Ist ja kein einfaches Thema...
Während die Marxisten schmollend in der Ecke sitzen, neue Wege ersinnen, um ihren Karl doch noch unters Volk zu bringen, unentwegt Ränke gegen ihren erklärten Erzfeind Silvio schmieden, sind die Neoliberalisten fleißig dabei, sich ungehemmt und vernunftbegabt auf allen Ebenen auszubreiten, um aus den Extrementen der alten Dichter und Denker einen neuen Menschen zu remixen: den Egoisten.
Ein Wesen, bar jeden Mitgefühls, außer zu sich selbst, bar jeder Verpflichtung, außer zu sich selbst und bar jeden Talents, außer er besorgt es sich von anderen.
Soll das die Autorität sein, wie sie sich für die nächsten 1.000 Jahre darstellt? Nein, danke. Zum Glück ist das Sozialverhalten bei Tieren wesentlich ausgeprägter! Sonst wäre die Schöpfung definitiv ein Fehlschlag, und die Galaxie müßte, früher als geplant, lautlos in sich zusammenfallen.
Oder finden wir rechtzeitig eine gemeinsame Lösung in den sich gut verlaufenden Gesprächen? Vielleicht ein Tor zu einem Paralleluniversum, in das wir die gleichen Fehler transferieren, nur um ein mehrwertfaches brutaler?
D‘rum gehe hin Egoist, sei so frei, tu’ deinem Gewissen etwas Gutes, leiste dir eine Spende, auf das der Arme um sein Dasein ewig bettelt. Denn du bist Gott von Darwins Gnaden.
OT: ich will keine Debattenhoheit, ich möchte nicht Recht haben. Ich bin ein Freiwilderer, der Denken anstoßen und nicht unter Mehrwert drücken möchte. ;-)
Lieber Tiefendenkder,
nochmals vielen Dank für die berührenden Zeilen in Ihrem letzten Statement. Auf einen Gott von Darwins Gnaden kann ich auch liebend gerne verzichten, was wohl wahrscheinlich ein Großteil der Menschen auf diesem Planeten ähnlich ergeht. Ich hatte das auch gar nicht so verstanden, dass es um Debattenhohheit oder einen ähnlichen Machtspielchenkram geht. Sie würden es sich wahrscheinlich wohl verbitten, wenn Ihnen jemand um den Bauch pinselt, aber ich hoffe, dass es nicht zu weit geht, wenn ich meine, das neben aller Vernunft in Ihren auf Erkenntnisgewinn und Anstoß geben wollenden Zeilen mir die Menschlichkeit und die Qualität in ihrem langen Text nach meiner Blockade mam Anfang der Debatte dann schließlich doch aufgefallen ist. Ich kann von daher eigentlich nur profitieren, auch wenn es bei einem etwas älteren Mann schon mal ein wenig länger dauern kann, bis der Groschen fällt. ;-) Ich habe mir Ihren langen Text auf USB abgespeichert und wollte ihn mir bei Gelegenheit zuhause nochmals ganz genau vornehmen, dass auch wirklich auf Dauer hängen bleibt.
por
por
Ja, es stimmt wohl, dass die ökonomische Macht im Laufe der Jahrhunderte allmählich die Macht übernommen hat. (Obwohl: Auch das alte Rom, schließlich der 'Urahn' des Abendlandes, war durchaus ökonomisch orientiert.)
Die allgemeine westliche Geschichtsschreibung preist zwar diese Übergänge von absolutistischen Formen zur "liberalen und selbstbestimmten" Bürgerlichkeit; gleichermaßen scheut man sich, strukturelle Macht bzw. Gewalt deutlich zu benennen. Schon in der Bezeichnung "Dritte Welt" wohnt die Arroganz der "Ersten Welt" sowie ein Sich-damit-Abfinden, dass diesen "Drittweltlern" eh' nicht zu helfen ist. Dass sie nach wie vor als eine Art Kolonien für den Westen gelten, wird gern verdeckt.
Bei uns, in der "Ersten Welt", sind es wohl die Reste von dem einstigen Aufschauen des 'gemeinen Volkes' zu den 'Edlen' - man hielt deren Lebensart schließlich für die bessere - welche auch heute die gesellschaftliche Geltung aufgrund von materiellem Vermögen heben soll. Auch wenn die Aufklärung das Vernunftzeitalter eingeläutet haben soll, so hat das prosperierende Bürgertum letztlich kaum mehr daraus gemacht, als den wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmer.
Der Grundstein war gelegt. Ganz wie es hier auch mike richtig schreibt: Der Egoist, der ist es, der aus dem "freien, liberalen, selbstbestimmten Bürger" hervorgeht.
Es wäre wirklich nicht schlecht, wenn es mehr Gemeinsinn gäbe in unserer Gesellschaft. Ist der 'freie Bürger' nicht viel mehr der 'freie Konsument'? Nach dem Motto: "Kaufen sie sich so viel Gesellschaftsteilhabe, wie sie tragen können."
So könnte auch etwa Leiharbeit nicht ständig für die als Statistiken-aufbesserndes Mittel im Hintergrund dienen, für die Menschen nur als eine Verwaltungsmasse gelten, die Folgen für die mentale Befindlichkeit einer Gesellschaft aber nicht gesehen werden (wollen?).
Es ist dabei ja auch ein Skandal, wenn zwischen "absoluter, extremer oder existenzieller Armut" in der Fachliteratur unterschieden wird.
Gibt es eigentlich auch absolute, extreme oder sogar existentielle geistige Armut?
Ja, es stimmt wohl, dass die ökonomische Macht im Laufe der Jahrhunderte allmählich die Macht übernommen hat. (Obwohl: Auch das alte Rom, schließlich der 'Urahn' des Abendlandes, war durchaus ökonomisch orientiert.)
Die allgemeine westliche Geschichtsschreibung preist zwar diese Übergänge von absolutistischen Formen zur "liberalen und selbstbestimmten" Bürgerlichkeit; gleichermaßen scheut man sich, strukturelle Macht bzw. Gewalt deutlich zu benennen. Schon in der Bezeichnung "Dritte Welt" wohnt die Arroganz der "Ersten Welt" sowie ein Sich-damit-Abfinden, dass diesen "Drittweltlern" eh' nicht zu helfen ist. Dass sie nach wie vor als eine Art Kolonien für den Westen gelten, wird gern verdeckt.
Bei uns, in der "Ersten Welt", sind es wohl die Reste von dem einstigen Aufschauen des 'gemeinen Volkes' zu den 'Edlen' - man hielt deren Lebensart schließlich für die bessere - welche auch heute die gesellschaftliche Geltung aufgrund von materiellem Vermögen heben soll. Auch wenn die Aufklärung das Vernunftzeitalter eingeläutet haben soll, so hat das prosperierende Bürgertum letztlich kaum mehr daraus gemacht, als den wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmer.
Der Grundstein war gelegt. Ganz wie es hier auch mike richtig schreibt: Der Egoist, der ist es, der aus dem "freien, liberalen, selbstbestimmten Bürger" hervorgeht.
Es wäre wirklich nicht schlecht, wenn es mehr Gemeinsinn gäbe in unserer Gesellschaft. Ist der 'freie Bürger' nicht viel mehr der 'freie Konsument'? Nach dem Motto: "Kaufen sie sich so viel Gesellschaftsteilhabe, wie sie tragen können."
So könnte auch etwa Leiharbeit nicht ständig für die als Statistiken-aufbesserndes Mittel im Hintergrund dienen, für die Menschen nur als eine Verwaltungsmasse gelten, die Folgen für die mentale Befindlichkeit einer Gesellschaft aber nicht gesehen werden (wollen?).
Es ist dabei ja auch ein Skandal, wenn zwischen "absoluter, extremer oder existenzieller Armut" in der Fachliteratur unterschieden wird.
Gibt es eigentlich auch absolute, extreme oder sogar existentielle geistige Armut?
Es gibt zumindest strukturell bedingte Armut. Das Arbeitslosenheer gehört heute und gehörte auch früher zum System dazu. Es gab nur in der prosperierenden Phase des so genannten Fordismus nach dem 2.Weltkrieg, eine Zeit, die als "Vollbeschäftigung" wahrgenommen wird. Grund: die exorbitant wachsenden Märkte der Massenkonsumprodukte (weisse und braune Ware), mit der flächendeckend die Haushalte ausgestattet wurden - mit entsprechenden Steigerungsraten des BIP. Das brach in den 70ern zusammen. Seit dem gibt es die Sockelarbeitslosigkeit.
Hallo, ein freundliches Hallo für alle,
ich denke, wir wissen zusammen ganz genau, daß Armut in diesem System systematisch produziert wird. Wer arm ist, hat oft klassische Karrieren, die Wege nach unten sind bekannt, wenn sie denn gewußt werden wollen. Scheidung, Berufsverlust, Krankheit: und Aus fürs bürgerliche Leben.
Diese Gesellschaft gehört verboten!
Gleichheit und Gerechtigkeit wären Utopie.
Danke für diesen Artikel.
Es ist alles gesagt und bestätigt von wissenden und fühlenden Lesern. Das systematische Werden und Verschleiern der Armut wühlt mich immer wieder auf, warum 'sehen' die Menschen nicht? Warum gehen sie nicht mit offeneren Augen durch's Land?
Ich finde es gut, dass nicht nur am Anfang beim Dickgedruckten Tacheles geredet wird - nicht verschwurbelt-vernebelnd, sonder kurz und knapp=verständlich, sofort zum Kern. Jeder kann es verstehen ohne Umwege.
Ausschau und Hinweise auf's Elend und Armut anderer Staaten sind m.M.n. auch reines Aplenkungsmanöver, gnauso wie das verblendete Aufschauen und Schönreden auf gewollte heile Welt, die lediglich von eingeredeter 'Eigenverantwortung' und 'persönlicher Flexibilität' abhängig ist/lebt.