„Das Ende der Besatzung naht“

Interview Der israelische Friedensaktivist Jeff Halper über mögliche Koalitionen nach den Wahlen und einen Kollaps der Palästinensischen Autonomiebehörde
Ausgabe 11/2015

der Freitag: Seit geraumer Zeit schon kündigen Sie an, ein Ende der israelischen Besatzung sei in Sicht. Was veranlasst Sie dazu?

Jeff Halper: Der Eindruck, dass die Besatzungspolitik mehr denn je in einer Sackgasse steckt und manövrierunfähig ist. Gerade ist die Palästinensische Autonomiebehörde im Begriff, sich auflösen. Sie will die Sicherheitskooperation mit Israel beenden, weil sich die israelische Regierung weigert, den Palästinensern zustehende Steuergelder auszuzahlen. Dadurch sind Präsident Mahmud Abbas und seine Verwaltung zur Ohnmacht verdammt. Gleichzeitig sind gut 3.000 israelische Soldaten zu einem Manöver in der Westbank ausgerückt – als Vorbereitung für den Ernstfall, falls die palästinensischen Behörden kollabieren.

Aber das deutet doch eher auf ein verschärftes Besatzungsregime hin.

Da sollte man sich nicht täuschen. Denken Sie an das Ende der Apartheid in Südafrika oder den Sturz des Schah-Regimes im Iran – das alles kam überraschend. Nicht einmal die CIA rechnete damit, dass die Sowjetunion 1991 so schnell zusammenbricht. Wenn die Palästinensische Autonomiebehörde abtritt, müsste Israel die bisherigen Autonomie-Gebiete besetzen und verwalten. Das wäre für die muslimische Welt, aber auch für Europa nicht hinnehmbar und würde einen großen Druck erzeugen. Das Ende der Besatzung kann insofern schon nach der Wahl fällig sein. Ein Kollaps der Autonomiebehörde zwingt zu neuen Optionen.

Jeff Halper (69), Professor für Anthropologie an der Universität von Be’er Sheva, ist einer der bekanntesten israelischen Besatzungsgegner. Er war im Jahr 2006 für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen

Foto: ICAHD

Wie realistisch ist unter diesen Umständen die Zwei-Staaten-Lösung?

Die Zwei-Staaten-Lösung ist gestorben. Aber wenn sich alles auflöst – erst die Autonomiebehörde und dann die Besatzung – wird die Ein-Staaten-Lösung zu einem durchaus realistischen Ausweg.

Kommen denn die Palästinenser im jetzigen Wahlkampf überhaupt vor?

Bisher so gut wie gar nicht. Kürzlich gab es eine Fernsehdebatte mit allen großen Parteien. Dabei wurde das Thema Westbank und Besatzung lediglich ein einziges Mal von der linksliberalen Meretz-Partei angesprochen. Das Wort Frieden hingegen haben alle vermieden.

Welche Regierung halten Sie nach dem 17. März für denkbar?

Die Arbeitspartei hat sich mit dem Wahlbündnis der Zionistischen Union zwar neu erfunden, doch wird sie keine Regierung zustande bringen, weil ihr die Koalitionspartner fehlen, wenn es darauf ankommt. Wahrscheinlicher ist ein Kabinett der nationalen Einheit, das Netanjahus Likud- und die Arbeitspartei bilden. Netanjahu könnte auf diese Variante zurückgreifen, um sich Naftali Bennett mit seiner Partei Jüdisches Heim vom Leib zu halten. Es könnte aber ebenso gut sein, dass Netanjahu als Wahlsieger auf eine ultrarechte Regierung mit Bennett setzt, um den ganz großen Coup zu landen und etwa 60 Prozent des Westjordanlandes endgültig zu annektieren. Das ist seit langem Bennetts Absicht.

Was wird bei einer solchen Rechtskoalition aus dem bisherigen Außenminister Avigdor Lieberman von der Partei Israel Beitenu (Israel, unser Zuhause)?

Es kann sein, dass Lieberman nicht über die Sperrklausel hinaus kommt. Und selbst wenn das seiner Partei gelingt, dürfte sie nur vier bis fünf Mandate erringen – Lieberman wäre als wichtige politische Stimme und als Minister erledigt.

Sie sind gerade im Aufbruch zu einer Vortragsreise durch Deutschland. Wie lautet Ihre Botschaft an die deutsche Politik?

Es sind zwei Botschaften: Hört bitte auf, U-Boote an Israel zu verschenken oder zu verkaufen, denn die können atomar bestückt werden und dann im Persischen Golf patrouillieren. Wozu soll das in einer der explosivsten Weltregionen gut sein? Und meine zweite Botschaft lautet: Gelingt es, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen, dann können wir uns als nächstes an den Problemen im Nahen Ostens versuchen, die mit dem Islamischen Staat und den vielen Al-Qaida-Ablegern zu tun haben. Ohne Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sind auch diese Herausforderungen nicht zu bewältigen.

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