Zehn Monate sitzt Udo Albrecht bereits wegen mehrerer Banküberfälle in Untersuchungshaft, als der Rechtsterrorist Ende Juni 1981 vor der Staatsanwaltschaft auspackt. Den Ermittlern gibt er zwei Waffenverstecke seiner sechsköpfigen Nazihorde „Wehrsportgruppe Ruhrgebiet“ preis, in München und Dortmund. Und er erzählt etwas von einer Panzerfaust, die in einem dritten Depot nahe der innerdeutschen Grenze an einer Bahnlinie versteckt sei.
Während die Polizei in den ersten beiden Depots Waffen und Sprengstoff sicherstellt, kann sie das dritte Versteck nicht finden. Schließlich gehen die Ermittler auf das Angebot Albrechts ein, wonach er sie unter Bewachung dorthin führen würde. Am 29. Juli fährt der Neonazi mit einem ganzen Tross von J
ross von Justiz- und Polizeibeamten an den Grenzabschnitt mit der Bahnlinie. Die Bewacher nehmen ihm die Handschellen ab und drücken ihm eine Schaufel in die Hand. Als ein Zug kommt, läuft Albrecht plötzlich über die Gleise Richtung Grenzzaun. DDR-Grenzer öffnen eine Tür, der Rechtsterrorist springt hindurch. Als seine Bewacher ihm folgen wollen, werden sie von den DDR-Soldaten mit vorgehaltener Waffe gestoppt.Die filmreife Flucht von Albrecht, der eine der maßgeblichen Kräfte in der rechten Terrorszene Westdeutschlands war und Kontakte zu Nachrichtendiensten hüben und drüben der Mauer pflegte, gehört zu den vielen bis heute rätselhaft gebliebenen Vorgängen im deutsch-deutschen Geheimdienstkrieg. Mehr als drei Jahrzehnte später könnte nun aber ein wenig Licht ins Dunkel kommen. Die Bundestagsfraktionen von Linke und Grünen haben jetzt eine gemeinsame Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Mit ihr wollen sie erreichen, dass die Bundesregierung darüber Auskunft geben muss, welche Informationen V-Leute deutscher Geheimdienste über den Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980 hatten. Ob auch Udo Albrecht ein V-Mann war oder seine Informationen von einem Spitzel abgeschöpft wurden, ist allerdings nicht bekannt – seit einer Reise in den Libanon vor rund 30 Jahren gilt der Rechtsterrorist als verschollen. Es kann sein, dass er damals in den Untergrund ging oder von einem Geheimdienst mit einer neuen Identität ausgestattet wurde.Bei dem schwersten rechtsterroristischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik waren 1980 in München 13 Menschen getötet und 211 weitere verletzt worden, zum Teil schwer. Bis heute hält die Bundesregierung Akten von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zurück, die Informanten und V-Leute im Umfeld des bislang offiziell als Einzeltäter geltenden Bombenlegers Gundolf Köhler betreffen. Begründet wird die Blockade damit, dass die Offenlegung solcher Informationen „das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden“ könnte. Dabei hat die Bundesanwaltschaft im vergangenen Dezember neue Ermittlungen in dem Fall aufgenommen und geht nun dem Verdacht nach, dass Köhler Komplizen oder Auftraggeber gehabt haben könnte.Vermutet werden mögliche Mittäter insbesondere unter Mitgliedern und Kontaktleuten der 1980 verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG), einer bewaffneten und extrem gewaltbereiten Nazihorde, der auch Köhler zeitweise angehört hatte. Deutsche Nachrichtendienste führten innerhalb der 1973 gegründeten Vereinigung eine bis heute unbekannte Zahl an Spitzeln. Nur ein früherer WSG-Mann, Walter Ulrich Behle, bekannte sich später dazu, V-Mann des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gewesen zu sein. Behle war auch einer von zwei WSG-Angehörigen, die eine Beteiligung der Wehrsportgruppe Hoffmann am Oktoberfestattentat behauptet haben sollen. Neben Behle haben nach Recherchen eines Opferanwalts mindestens vier weitere Quellen des Verfassungsschutzes Hinweise zum Hintergrund des Oktoberfestattentats geliefert.Auch die Stasi hat AktenAuch der Bundesnachrichtendienst interessierte sich für die Wehrsportgruppe Hoffmann, insbesondere wegen deren Verbindungen in den Libanon und zur Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Im Bundesarchiv ist seit vergangenem Jahr eine BND-Akte einzusehen, die Berichte über die WSG aus den Jahren 1980 und 1981 enthält. Hinweise auf das Oktoberfestattentat finden sich in dieser – unvollständigen – Akte jedoch nicht.Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass Linke und Grüne nun mit Karlsruher Hilfe eine Offenlegung der Geheimdienstakten zum Attentat erreichen wollen. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein. Überfällig ist – auch vor dem Hintergrund des viele Parallelen aufweisenden Skandals um den Nationalsozialistischen Untergrund – eine umfassende Untersuchung der Frage, welche Informationen seinerzeit den Geheimdiensten vorlagen und in welchem Umfang sie in die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat einflossen. Der Bundestag könnte mit einer solchen Untersuchung eine unabhängige Historikerkommission beauftragen, die insbesondere die Rolle staatlicher Behörden im Vorfeld und bei der Aufklärung des Anschlags analysieren soll.Einem solchen Gremium müssen dann aber nicht nur die Akten von Bundes- und Landesregierungen sowie der westdeutschen Geheimdienste zugänglich gemacht werden. Auch der umfangreiche Aktenbestand zum westdeutschen Rechtsterrorismus, der sich im Archiv des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen befindet, sollte dann in vollem Umfang der Forschung zur Verfügung stehen.Mit großem Aufwand hatte der Staatssicherheitsdienst der DDR die rechtsextreme Szene in der Bundesrepublik ausgeforscht. Allein in den Jahren rund um das Oktoberfestattentat führte er mindestens ein Dutzend Inoffizielle Mitarbeiter (IM) unter westdeutschen Rechtsterroristen, von denen mindestens die Hälfte auch dem westdeutschen Verfassungsschutz zu Diensten waren. Hinzu kommt die „Feindobjektakte Übung“, in der Informationen über die WSG und andere westdeutsche Wehr- und Kampfsportgruppen gesammelt wurden. Die meisten dieser Akten sind zwar heute öffentlich zugänglich. Allerdings sind darin viele Namen geschwärzt. Sofern diese Akten darüber hinaus Informationen etwa über die Arbeitsweise von Verfassungsschutz und BND enthalten oder Namen von V-Leuten, sind sie für die Einsichtnahme gesperrt. Über eine Freigabe entscheidet das Bundesinnenministerium.Die bundesdeutschen Behörden hatten sich schon sehr frühzeitig für diesen Teil der Stasi-Hinterlassenschaft interessiert. So waren spätestens nach der deutschen Wiedervereinigung umfangreiche Aktenbestände, die mindestens vier Inoffizielle Mitarbeiter in der WSG und ihrem Umfeld betrafen, an Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt zur Auswertung übergeben worden. Dem Protokoll einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestages vom 19. Juni 1991 zufolge handelte es sich insgesamt um mehr als 30 Bände mit Spitzelberichten. Mindestens zwei dieser Stasi-IM waren seinerzeit nachweislich auch V-Leute des Verfassungsschutzes, bei einem Dritten gibt es Hinweise darauf. Die Akten hatten die bundesdeutschen Behörden seinerzeit im Original erhalten, weil sie für Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft benötigt wurden. Anschließend wurden sie an die erst Ende 1991 gegründete Stasi-Unterlagenbehörde zurückgegeben.Im Auftrag von Ost und WestAuch das Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt zwischen in den Jahren 1989 und 1991 auf verschiedenen Wegen Stasi-Unterlagen, die unter anderem terroristische Gruppen in der Bundesrepublik betrafen. Das Material wurde entweder von Überläufern angekauft oder gelangte auf offiziellem Weg zum Verfassungsschutz. In der Innenausschusssitzung vom 19. Juni 1991 wurde bestätigt, dass noch vor dem Beitritt der DDR das Ostberliner Innenministerium die Übergabe von Stasi-Akten an den Verfassungsschutz genehmigte. Ob es sich dabei nur um Akten zur linksterroristischen RAF handelte oder auch um Unterlagen zu westdeutschen Rechtsterroristen, ist unklar.Zu den Spitzeln und Kontaktpartnern der Stasi in der rechten Szene der Bundesrepublik, die gleichzeitig als V-Leute für das Bundesamt arbeiteten, gehörte beispielsweise Peter Weinmann. Er firmierte 1975 als Kontaktadresse einer „Informationsstelle Bonn“ der Wehrsportgruppe Hoffmann und wurde schon 1969 vom Verfassungsschutz als V-Mann „Werner“ angeworben. Die Stasi hatte ihn später als IM „Römer“ verpflichtet. 1995 wurde Weinmann wegen Landesverrats zu einer überraschend milden Bewährungsstrafe verurteilt.Im Prozess hatten Sachverständige des Verfassungsschutzes beklagt, Weinmann habe der Stasi „tiefe Einblicke in Arbeitsweisen und Methoden der Abteilung Rechtsextremismus“ im westdeutschen Geheimdienst ermöglicht. Einblicke, die heute für eine Aufarbeitung des Oktoberfestattentats von Bedeutung sein könnten. Dazu aber wäre eine vollständige Offenlegung auch der Stasi-Akten zum westdeutschen Rechtsterrorismus notwendig.