Das Ende der Umweltkunst, wie wir sie kennen

HA Schult Fünfzehn Jahre tourte HA Schult mit seinen Müllmenschen durch die Welt. Jetzt brachte er sie in die Arktis und lässt sie umfallen. Und dann? Wird die Aktionskunst museal

„Wir haben immer gesagt, Politik ist Umweltpolitik.“ Ein großer Satz von einem, dem man ausnahmsweise mal glauben kann. Denn der Künstler HA Schult hat schon Opernsänger auf Müllkippen singen lassen, machte die verschmutzte Luft von Leverkusen zum Kunstobjekt, ließ einen Soldaten tagelang Coca-Cola-Flaschen bewachen und schüttete fünf Tonnen Altpapier in die Münchner Innenstadt. Seit 15 Jahren tourt er außerdem mit seinen Müllmenschen durch die Welt. Ein Umweltkünstler, wie es ihn nicht noch einmal gibt. Mit „wir“ meint er ja Friedensreich Hundertwasser, Joseph Beuys und sich, HA Schult. Hundertwasser und Beuys aber sind gestorben und können nicht widersprechen, HA (niemand sagt Hans-Jürgen, als der er 1939 in Parchim geboren wurde) ist geblieben und fühlt sich den berühmten Kollegen weiterhin verbunden. In diesen Tagen voller Angst vor einer Umweltkatastrophe sowieso.

Dem Schneesturm trotzen, umfallen, festfrieren

Doch Atomkraft ist HA Schults Thema nicht. Oder irgendwie doch, weil alles mit allem zusammenhängt und man – nicht nur als schnell sprechender Künstler – ganz leicht von der Atomkraft zum Vermüllen der Erde, zur Arktis und dem dort schmelzenden Eis samt an­geschwemmtem Müll kommen kann. Und in die Arktis, nach Spitzbergen, hat Schult seine Müllmenschen gebracht. Für ein paar Tage im März, für eine Stunde Live-Schaltung nach Deutschland, für einen Film und Fotos, die auf das Schmelzen des arktischen Eises und den Müll der Welt hinweisen sollen.

Es ist ein schönes, vieldeutiges Bild, wie diese 600 bunten Müllfiguren dem Schneesturm eine Weile trotzen, nach und nach umfallen, mit Schnee bedeckt werden, festfrieren. Irgendwann wird Schult sie abholen und dann werden sie nie wieder so in Reih und Glied auf einem der großen Plätze der Welt stehen. Schults Projekt ist nach 15 „sozialpolitischen Bildern“, für die er seine Müll­menschen auf den Roten Platz in Moskau, auf die Große Mauer in Peking, in den Salzstock nach Gorleben, zum G8-Gipfel nach Syrakus und vor die Pyramiden brachte, beendet.

Aber nicht nur das: Auch die Ära der politisch-kämpferischen Umweltschützer-Künstler geht zu Ende. Die Aktionskunst kommt ins Museum. Schult will ein eigenes gründen. Wo, steht noch nicht fest, Unterstützer werden sicher nicht fehlen. Für seine „Arctic people“ – ein mehr als eine halbe Million teures Projekt – listet er elf Unternehmen und sechs Institutionen auf. Selbst Karin Lochte, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, ist unter ihnen und verließ ­extra für Schults Müllmenschen-in-der-Arktis-Live-Übertragung eine internationale Tagung des Auswärtigen Amtes über „Klimawandel, Völkerrecht und Arktisforschung“ Ende vergangener Woche.

Dass sein Kunstprojekt zu aktuellen Forschungen passt, ist für Schult nicht überraschend: „Ich arbeite am Puls der Zeit“, sagt er. Und: „Ich bin betroffen zu sehen, was auf der Welt passiert, aber ich habe es kommen sehen.“ Auch: „In einigen Jahren werden wir mit ganz anderen Autos fahren als heute.“ Das sind so Sätze voll nervender, liebenswerter Selbstüberhöhung, wie man sie von jüngeren Künstlern niemals hört. Eigentlich schade, denn sie könnten ihrer Kunst nutzen, die allzu oft zu passend, wie vom Stadtmarketing ersonnen wirkt. Doch der Aktionskünstler als Seher und Mahner, der sich und seine Überzeugungen medienwirksam zu inszenieren versteht, scheint eine aussterbende Gattung. Man muss es durchaus bedauern.

Uta Baier schreibt im Freitag über Kunst

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