Die Böden um das Dorf Saint-Émilion sind Gold wert. Niemand würde an diesem Ort auf die Idee kommen, solch banale Kost wie Kartoffeln oder Mais anzubauen. Jeder Quadratmeter ist mit Weinreben bepflanzt, die sich in langen Reihen durch die hüglige Landschaft ziehen. An einem viel zu warmen Herbsttag, kurz nach Ernte der letzten Trauben, spaziert Remi Couppé in Gummistiefeln über sein Château „Clos Cormey“ – ein sechs Hektar großes Terrain. Von hier aus kann man die Turmspitze der Monolithischen Kirche Saint-Émilion erahnen – Weltkulturerbe wie die Weinfelder auch. Die rot und gelb angelaufenen Blätter von Couppés Reben leuchten in der Morgensonne, einige vergessene Trauben hängen noch und schmecken sü
;ßlich, andere faulen schon. Der Weinbauer deutet gen Osten: „Dort hinten ist das Château Angélus, dort wird selten eine Flasche unter 100 Euro verkauft – sehr traditionell und sehr touristisch.“ Das Gebäude mutet mit seiner Sandsteinfassade und dem Glockenturm tatsächlich wie ein Schloss an. Dann dreht sich Couppé nach rechts und deutet auf ein graues Bauwerk einige hundert Meter hinter seinem Grundstück, das berühmte Château d’Ausone: „Dort kann man tausend Euro für eine Flasche Premier Grand Cru lassen.“ Der Winzer steht etwas nachdenklich zwischen seinen Reben. „Ich glaube aber, mit Weinen ist es wie mit Hosen. Sie kaufen zu 90 Prozent den Namen, kein Wein der Welt ist tausend Euro wert. So gut können sie den gar nicht veredeln.“In Couppés Château Clos Cormey, einem Familienbetrieb, werden Rot- und Weißweine für räsonable acht bis zwanzig Euro die Flasche abgefüllt. Tatsächlich handelt es sich bei dem Château um eine alte Scheune mit fünf großen Gärfässern aus Edelstahl, Couppé ist Teilhaber am Unternehmen einer Tante. Aus den sechs Hektar macht der Familienbetrieb gut 30.000 Flaschen guten Saint-Émilion und Saint-Émilion Grand Cru. Noch läuft das Geschäft, aber der Weinbauer sorgt sich um die Zukunft. Seit Jahren wird es hier im Sommer außergewöhnlich heiß, während die Winter viel zu mild sind.Wie in SevillaDie Erderwärmung lässt auch den Bordeaux nicht unberührt. „Der Wein ist eine empfindliche Pflanze; schon kleine Veränderungen bei Temperatur und Sonneneinstrahlung können im Geschmack viel bewirken“, erklärt Couppé. Die Tante, Joelle Menager, erfahrene Weinbauerin seit 40 Jahren, pflichtet ihm bei. „Mein Vater meinte immer, vor dem 15. Oktober gibt es keine Weinernte – heute ernten wir teilweise schon im September!“Was Laien wie ein nebensächliches Detail vorkommen mag, ist für Weinkenner eine mittlere Katastrophe. Jede sogenannte Appellation, also ein ausgewiesenes Weinanbaugebiet, hat einen bestimmten Charakter – sprich: eine Identität – zu verteidigen. Remi Couppé und Joelle Menager beobachten, wie sich ihre Trauben langsam, aber sicher verändern. „Seit dem Hitzesommer 2003 geht das so“, sagt Joelle. „Ich setze mich bald zur Ruhe, aber für meine Nachfolger wird das nicht einfach.“Die Prognosen der Klimaforscher sagen der Region für die zweite Hälfte des Jahrhunderts einen Anstieg der Durchschnittstemperaturen um mindestens drei Grad sowie lange Trockenperioden voraus mit desaströsen Folgen für den Weinanbau. Bordeaux könnte 2050 ein Klima haben wie das südspanische Sevilla.Placeholder image-1Schon jetzt verschafft der Klimawandel dem Wein einen steigenden Alkoholgehalt. Je mehr Sonne, desto mehr Zucker enthalten die geernteten Trauben und damit mehr Alkohol. „Früher hatten unsere Weine einen Alkoholgehalt von elf bis zwölf Prozent“, erinnert sich die Winzerin Menager. „Heute geht das hinauf bis auf 15 Prozent. Was bleibt da vom Charakter unseres Sortiments?“ Hochprozentige Weine fand man bisher eher im Süden Spaniens oder in Portugal. Für eine Sorte wie den Bordeaux ist das keine Empfehlung. „Bisher zeichnen sich unsere Weine durch eine beerige Note aus, etwas Brombeere, Himbeere und eine kleine Note Vanille“, so Couppé. „Durch frühe Ernten und mehr Sonne könnten unsere Weine bald nach Kirsche und Nuss und weniger fruchtig schmecken. Und wenn die Temperaturen weiter steigen, ist es wahrscheinlich, dass bestimmte Rebsorten gar nicht mehr angebaut werden.“Was können die Weinbauern tun, um mit einem Klimawandel auszukommen, der für sie zur existenziellen Wasserscheide wird? Sie müssen mit Umweltbedingungen anders umgehen als etwa die Produzenten von Treibhausgemüse. Teilweise lässt sich der Schatten der Blätter nutzen oder die Höhe der Reben verringern, um den Zuckergehalt zu senken. Mancher Winzer greift auf Bewässerungssysteme zurück. Allerdings ist das im Gebiet Saint Emilion verboten, sofern man das Label der Region behalten will.Doch die Bauern sind mit ihrem Problem nicht allein. Schließlich geht es um ein französisches Kulturgut und einen gewichtigen Wirtschaftszweig, für den sich die obersten Wächter des Weins in Bordeaux zuständig fühlen. Sie arbeiten wie Serge Delrot an der Peripherie der Stadt in einem kastenartigen Neubau. Der Mikrobiologe leitet das Weinforschungsinstitut Sciences de la Vigne et du Vin und hat seine Equipe damit beauftragt, den Bordeaux gegen ein sich wandelndes Klima zu schützen.Placeholder infobox-1Delrot bekam diesen Auftrag nicht, weil er sich gut mit Jahrgängen auskennt, sondern weil er die chemische Substanz der Trauben genau studiert hat. Er zieht eine pragmatische Bilanz: Auf lange Sicht müssten die Rebsorten wie der bisher in der Region angebaute Merlot durch südliche Reben aus Portugal und Sorten mit längerer Reifezeit wie beim Cabernet Sauvignon ausgetauscht werden. Das ändere vermutlich den Geschmack, doch dies wäre nicht das erste Mal. „Wein aus den 50er Jahren würden viele Menschen heute sicherlich grässlich sauer finden – der Geschmack verändert sich seit jeher“, meint Delrot. Den heutigen Bordeaux werde es so in 50 Jahren gewiss nicht mehr geben, aber dank seiner Forscher seien neue Sorten denkbar, die den Böden der Region angepasst seien. Dann müssten die Rebstöcke mit den Jahrzehnten ausgetauscht werden.Vor dem Institut sind Versuchsfelder angelegt – mit Rebstöcken aus der ganzen Welt. Stolzer Versuchsweinbauer ist Professor Kees van Leeuwen, der das Verhalten von Reben aus Chile, Portugal, Spanien und Australien beobachtet. „Das hier ist ein spanischer L’Albariño“, erklärt er bei einem Spaziergang durch den globalen Weingarten. „Eine verheißungsvolle weiße Rebensorte für uns, weil sie im Geschmack dem weißen Sauvignon gleicht, aber viel spätere Erntezeiten hat.“ Ein paar Reihen weiter finden wir den Tinto Cão, eine portugiesische Weinsorte, laut ersten Mikroanalysen van Leeuwens ein Kandidat, um ein Bordeaux der Zukunft zu werden.Gleich gegenüber steht ein Treibhaus, das man nur mit desinfizierten Plastikschuhen betreten darf – hier experimentieren die Wissenschaftler mit gentechnisch veränderten Sorten. Nichts wollen die Forscher unversucht lassen, um mit ihrem Wein dem Klimawandel gerecht zu werden. In abgeschirmten Laboratorien werden die Gene von Weinsorten identifiziert, die den Zucker- und Säuregehalt oder die Hitzebeständigkeit der Pflanze bestimmen. „Wir können damit das Gen der einen Weinsorte in eine andere überführen oder in einen Tomatensetzling einbauen, um seine Wirkung zu testen“, erläutert Institutsdirektor Serge Delrot. Tomaten würden schneller wachsen und Früchte tragen – sie seien vorzügliche Versuchspflanzen.Diese Arbeit stößt nicht überall auf Verständnis. Zwei Freilandversuche wurden bereits von Gentechnikgegnern zerstört – und damit mehrere Jahre Forschungsarbeit. Derzeit wachsen die Versuchspflanzen ausschließlich im Treibhaus, in das kein Pollen rein oder raus kann. Jedenfalls lässt es sich der französische Staat einiges kosten, den Bordeaux zu retten. Undenkbar, dass eine Region wie Saint-Émilion den Kampf gegen Hitze und Wasserknappheit verliert und nur noch ein minderwertiges Produkt vorweisen kann – doch es bleibt eine Herausforderung. Während durch steigende Temperaturen weltweit neue Weinanbauregionen hinzukommen, haben die Bordeaux-Weine einen Ruf zu verlieren. Um zu verhindern, dass in hundert Jahren alle zur „Degustation“ in chinesische Weingebiete pilgern, werfen die Forscher alles in die Waagschale.Der Weinbauer Remi Couppé bleibt skeptisch. „Wenn wir in die Bretagne gehen, müssen, um unseren Saint-Émilion anzubauen, können wir von vorn anfangen – es wäre eine Katastrophe.“ Neue Rebsorten oder gar gentechnisch veränderte müssten sich erst bewähren. Und das brauche Zeit, weil neue Reben erst nach fünf Jahren verwertbare Trauben tragen würden. „Den Klimawandel nimmt niemand auf die leichte Schulter, dessen Einkünfte unmittelbar vom Wetter abhängen“, sagt Couppé und schaut besorgt zum Himmel. Während sich die Touristen in Saint-Émilion über das milde Herbstwetter freuen, fürchtet er sich vor einem warmen Winter und einem noch wärmeren Sommer.
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