Ulrike Herrmanns Entwurf für einen Ausweg aus der Klimakrise beeindruckt durch ihre auf den ersten Blick konsistente und insgesamt systematisch angelegte Argumentation. Grob gesagt, geht das Argument so: Der Kapitalismus ist gar nicht so schlecht wie sein Ruf und hat viel Gutes gebracht. Nun aber wird er gefährlich, weil er, so die längjährige Wirtschaftskorrespondentin der taz, nur mit Wachstum geht. Wachstum aber führt von heute aus gesehen geradewegs in die Klimakatastrophe. Da es kein gutes – etwa grünes – Wachstum geben kann, muss der Kapitalismus weg. Der Ausweg ist eine „Kriegswirtschaft“ – ein solches System schlägt sie als Ersatz vor.
Man sollte diese Schlusskette nicht schon deshalb rundweg ablehnen, weil einem das E
n, weil einem das Ergebnis nicht passt. Die Erzählung vom Aufstieg des Kapitalismus, die Herrmann als Erfolgsgeschichte erzählt, steckt voller interessanter Überlegungen, etwa zu der Frage, warum der Kapitalismus dort entstanden ist, wo es den einfachen Leuten ohnehin schon am besten ging. Da klingt vieles plausibel und gibt Anregung zum Nachdenken. Der Kapitalismus habe Wohlstand geschaffen, ein leistungsfähiges Gesundheitssystem und damit die dramatische Erhöhung der Lebenserwartung gebracht. Er habe Interesse am Frieden, er sei reformierbar und ermögliche die Demokratie. Dank des Kapitalismus lebten wir alle in einem Wohlstand und Komfort, den vor Jahrhunderten nicht einmal die Adligen in ihren Schlössern gehabt hätten.Leider gibt uns die Autorin keinen klaren Begriff davon, was sie im Kern als Kapitalismus bezeichnen will, obwohl das ja eigentlich notwendig wäre, wenn man die Notwendigkeit vom Ende des Kapitalismus erklären will. Die Marktwirtschaft ist es ausdrücklich nicht, und auch die Notwendigkeit von Kapital für wirtschaftliche Investitionen ist wohl nicht das bestimmende Merkmal, denn „der moderne Kapitalismus benötigte anfangs kaum Kapital“. Einiges wirkt da in der Erzählung dann doch unplausibel, wenn etwa die ersten Maschinen so klein und billig waren, dass Kapital nicht nötig war, aber doch so teuer, dass es in Festlandeuropa billiger war, menschliche Arbeitskraft zu bezahlen, als Maschinen zu kaufen.Schrumpfen der WirtschaftHeute, meint die Autorin, müsse jedenfalls Schluss sein mit dem Kapitalismus, denn nun wird er zur Gefahr. Das Wachstum, das all die Segnungen geschaffen hätte, würde nun zum Krebs, der uns umbringen kann. Dass noch längst nicht in allen Weltregionen die Errungenschaften des Kapitalismus wirksam geworden sind, unterschlägt Herrmann zwar nicht, und es ist bemerkenswert, dass sie für ein mögliches Aufholen des Globalen Südens auch nur die Mittel des sozial gezähmten Kapitalismus kennt. Aber darauf, dass viele Menschen noch in Not und Elend leben, kann man keine Rücksicht nehmen, jetzt muss der Kapitalismus scharf abgebremst werden.Auch die Argumentationen, die Herrmann dafür vorbringt, dass der Kapitalismus selbst nicht die Möglichkeiten bereitstellen kann, um die Klimakrise beherrschbar zu machen, sind interessant und bedenkenswert. Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass sie dabei auch mit der ökonomischen Theorie hart ins Gericht geht, denn ihr eigenes Argument von der Notwendigkeit des Endes des Kapitalismus hat sie von einem Ökonomen. Das Konzept des „Wachstumszwangs“ stammt von Mathias Binswanger, der es aus mathematischen Modellierungen gewonnen hat. Dass diese Modellierungen von anderen Ökonomen kritisch gesehen werden, dass die Grundannahmen der Modelle in der wissenschaftlichen Community als fragwürdig angesehen werden, diskutiert Herrmann leider nicht.Das ist schade, denn der angebliche Wachstumszwang des Kapitalismus ist das entscheidende Argument ihres Buchs, dem zufolge der Kapitalismus abgeschafft werden soll. Auf der Suche nach Alternativen kommt die Autorin auf die britische Kriegswirtschaft, die im Zweiten Weltkrieg implementiert wurde: Die Fabriken blieben zwar in Privatbesitz, was und wie viel mit welchen Ressourcen produziert wurde, entschied aber der Staat.Dass so eine Kriegswirtschaft nur während eines überschaubaren Zeitraums funktionieren kann, ficht sie nicht an. Dass es für eine Unternehmerin auf Dauer keinen Sinn ergibt, eine Fabrik zu besitzen, bei der sie nichts entscheiden kann, interessiert Herrmann nicht. Wie sich eine Demokratie zu einer Kriegswirtschaft transformieren ließe, ohne den Geschützdonner des Krieges, verrät sie nicht. Vor allem aber verrät sie nicht, warum all die Katastrophen des Schrumpfens der Wirtschaft ausbleiben könnten, wenn es durch staatliche Vorgaben geschieht. Das Buch verspricht im Untertitel auch Auskunft darüber, wie wir in Zukunft leben werden – außer dass die Gegenstände des täglichen Bedarfs wohl rationiert werden sollen, findet sich dazu aber wenig.Interessant wäre gewesen, wenn die Autorin auf das Wachstumszwang-Argument verzichtet hätte, wenn das Buch, statt der ökonomischen Wissenschaft Versagen vorzuwerfen, auch Theoriesysteme wie die Neue Institutionenökonomik berücksichtigt hätte, wenn es nicht an Vorstellungen von Banken und Versicherungen festhalten würde, die vielleicht vor 30 Jahren noch richtig waren, wenn Herrmann, statt den Kapitalismus im Wesentlichen als Warenproduktionssystem zu beschreiben, den Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft in den Blick genommen hätte. Dann hätte sie aus ihrer Analyse womöglich andere Optionen abgeleitet als eine staatlich geplante Kriegswirtschaft, um mit dem Klimawandel fertigzuwerden. Aber dann hätte das Buch auch nicht diesen wunderbar provozierenden Titel gehabt.Placeholder infobox-1
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