Das Ende des Konsenses

CDU Der Wirtschaftsflügel der CDU setzt Merkel mit einem eigenen Wahlprogramm unter Druck. Darin: Neoliberale Grausamkeiten, denen die Wähler 2005 eine klare Absage erteilten

Die Zauberformel wirkt nicht mehr. Seit nunmehr dreieinhalb Jahren beschwört die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel den Konsens. Der Satz „Ich hoffe wir finden zu einer gemeinsamen Lösung“ wurde zu ihrem Mantra – auch wegen der Großen Koalition, die sie zu einigen Entscheidungen zwang, die sie wohl selbst lieber vermieden hätte. Lange ist sie damit erfolgreich gefahren. Ihre Umfragewerte sind immer noch sehr gut.

Doch die Partei profitiert nicht davon – und das bekommt Merkel jetzt zu spüren. Das halbherzige Aufmucken der Konservativen konnte sie durch offensives Steinbach-Umarmen noch im Keim ersticken, doch der Wirtschaftsflügel der CDU geht nun voll auf Konfrontationskurs. Mit einem eigenen Wahlprogramm setzen die Marktliberalen die Kanzlerin unter Druck. Darin: Einige Grausamkeiten, die seit dem für die Union desaströsen Wahlabend am 18. September 2005 eigentlich ganz tief in der Mottenkiste der Partei lagern sollten.

Staatliche Leistungen privatisieren

Der Wirtschaftsflügel will laut einem Zeitungsbericht weitere staatliche Leistungen privatisieren und Subventionen massiv abbauen. Außerdem sollen die Krankenkassenbeiträge nicht mehr als Lohnnebenkosten von den Arbeitgebern mitgetragen werden. Das klingt nicht mehr nach der sozialdemokratisierten Wohlfühlunion, die in Wirtschaftskreisen so oft gescholten wurde. Das klingt nach Merz und Kirchhof.

Merkel steckt nun in einer verzwickten Lage. Verprellt sie den Wirtschaftsflügel jetzt, wird der Riss durch die Partei nur noch tiefer. Gibt sie ihm nach, dürfte die SPD in den kommenden fünf Monaten viel Spaß im Wahlkampf haben. Denn mitten in der aktuellen Wirtschaftskrise dürften die neoliberalen Ideen des Wirtschaftsprogramms noch weniger Freunde finden, als vor drei Jahren. Schon damals hatten sie Merkel fast die Wahl gekostet.

Trotzdem ist Mitleid mit der CDU-Vorsitzenden nicht angebracht. Merkel hat sich selbst in diese Lage manövriert. Nie hat sie es geschafft, ihre parteiinternen Gegner gut miteinzubinden. Das Konrad-Adenauer-Haus ist heute komplett auf sie zugeschnitten. Und auch die ehemals mächtigen Ministerpräsidenten der Union sind heute weitgehend abserviert: Koch regiert nur noch wegen der Unfähigkeit der Hessen-SPD, Wulff sagt offen, er traue sich das Kanzleramt nicht zu und Oettinger wird den unappetitlichen Rechtsaußengeruch nicht los. Merkel ist in der CDU unangefochten – und trotzdem fliegt ihr der Laden gerade um die Ohren.

Der Kanzlerwahlverein muckt auf

Das ist umso überraschender, als es sich bei der CDU eigentlich nicht um eine Programmpartei handelt. Sie war immer mehr Kanzlerwahlverein – anders als die SPD, die sich gerne auch inhaltlich zofft. Nicht einmal gegen Helmut Kohl wagte die CDU den Aufstand, auch nicht, als er sich 1998 selbstständig und ohne auch nur mit einem Gremium beraten zu haben erneut zum Kanzlerkandidaten ausrief. Dass Teile gerade dieser Partei nun die Vorsitzende provozieren, ist schon bezeichnend.

Ein Grund dafür ist auch, dass die Kanzlerin die Partei zwar als Machtbasis sieht, aber nicht als natürliche politische Heimat. Anders als beispielsweise Helmut Kohl ist sie nicht in der CDU aufgewachsen. Vielleicht fällt es ihr deshalb schwerer, die unterschiedlichen politischen Strömungen der Partei voll zu integrieren. Gerade dem Wirtschaftsflügel hat sie in den letzten Monaten einiges zugemutet, wie zum Beispiel das Gesetz zur Bankenverstaatlichung. Alles haben sie geschluckt – doch dass die Kanzlerin der SPD jetzt monatelang die Wahlkampfbühne fast allein überlassen will, scheint dann doch zu viel gewesen zu sein.

Wie Merkel aus dieser Situation wieder herauskommen will, ist unklar. Den Parteivorsitz wird sie sicher nicht abgeben – das wäre das Ende ihrer Kanzlerschaft. Und auch dass sie ihren Kritikern entgegen kommt, ist unwahrscheinlich: „In Umfragen will eine Mehrheit der Menschen eine sozialere CDU. Ich sage das nur, weil wir oft anders diskutieren", wird sie aus einer Sitzung des Parteivorstands zitiert. Es dürfte für die Kanzlerin also schwerer werden als sonst, wieder zu einer „gemeinsamen Lösung“ zu kommen.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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