Das Ende des Zölibats rettet die Kirche nicht

Missbrauchsdebatte Eine der Säulen der katholischen Moraltheologie steht zur Disposition. Aber der Forderung nach Abschaffung des Zölibats liegt eine perfide Geschlechtermoral zugrunde

Die Berliner Republik scheint es wirklich ernst zu meinen mit ihrem Bekenntnis zu Modernität und Weltoffenheit. Alle alten Zöpfe, deren Konservierung noch vor nicht allzu langer Zeit vornehmste Aufgabe der christdemokratischen Parteien gewesen ist, werden mittlerweile erbarmungslos abgeschnitten. Wo das Sprachrohr der gesunden Volksvernunft aus Anlaß der Verwandlung von Ratzinger in Benedikt gestern noch „Wir sind Papst“ in die Welt posaunte, will angesichts der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche mit demselben Papst heute niemand mehr etwas zu tun haben. Mit dem Zölibat steht sogar eine der wichtigsten Säulen der katholischen Moraltheologie zur Disposition.

Die Frage, wie es möglich ist, dass eine vorgeblich so einflussreiche Institution wie die katholische Kirche innerhalb weniger Wochen per Konsensprinzip zum kollektiven Feindbild der Nation erklärt werden kann, hat sich merkwürdigerweise bisher kaum jemand gestellt. Dabei könnte ihre Beantwortung einiges über die psychische Disposition einer Bevölkerung aussagen, deren journalistische Leitmedien die Jagd auf „Kinderschänder“ schon immer wichtiger fanden als die Verteidigung eines klerikalen Altherrenvereins, dessen Mitglieder den Bürgern wegen ihrer skurrilen Rituale, ihrer Klandestinität und ihrer Lateinkenntnisse zutiefst verdächtig sind.

All diese Anachronismen scheinen im Zölibat zusammenzufinden, in dem die öffentliche Meinung den wichtigsten Grund dafür zu erkennen glaubt, dass Priester ihren ungestillten Trieb an unschuldigen Knaben ausgelebt haben.

Die Frau als Versuchung

Die Lösung der Missbrauchsfrage scheint dieser Logik zufolge einfach zu sein: Befreit man die Betroffenen von ihrer Versagungspflicht und bietet ihnen qua Ehefrau ein stabiles Objekt sexueller Befriedigung, hat man die wichtigste Ursache des Missbrauchs beseitigt und nebenher ein kirchliches Ornament geschliffen, dessen Fortbestand zum modernen Deutschland ohnehin nie recht passen wollte. Was für eine perfide Geschlechtermoral diesem Lösungsvorschlag zugrunde liegt, scheint niemandem aufzufallen.

Fungiert doch die Frau, deren sündhafter Leib in der katholischen Morallehre als potentielle Versuchung auf verquere Weise immerhin auch eine gewisse Autonomie besaß, in solcher Sexualhygiene nur noch als austauschbares Objekt einer entindividualisierten Triebabfuhr. Dass die bürgerliche Ehe seit ihrer Existenz noch nie ein guter Schutz vor sexueller Gewalt gewesen ist, dass Kindesmissbrauch und Vergewaltigung im Binnenbereich der Kleinfamilie sogar besonders häufig vorkommen, all das scheint angesichts der Möglichkeit, die katholische Kirche als Ansammlung potentieller Triebverbrecher hinzustellen, nicht mehr der Rede wert zu sein.

Als wäre nicht der wichtigste Ort von Versagung gerade die Familie, als wäre die Ehe nicht eine Agentur zur Unterdrückung von Frauen, sondern eine zur Selbstbefreiung des Mannes. Und als wäre der Zölibat einfach eine Negation von Sexualität – und nicht eine, wenngleich kritikwürdige, Form des Umgangs mit dieser. Aber in die Köpfe von Menschen, für die der Sexualtrieb etwas ist, das erledigt werden muss wie ein Stuhlgang, werden solche Erkenntnisse wohl nie hineingehen.

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