Das Ende eines Traums

Räumung Die Liebigstraße 14 war eines der letzten alternativen Wohnprojekte in Berlin. Anfang Februar wurde sie geräumt. Was bedeutete das Haus den Bewohnern? Eine Innenansicht

Im Sommer 2010 besuchte ich zum ersten Mal eine Freundin, die in der Liebigstraße 14 in Berlin-Friedrichshain wohnte. Ich war sofort von der Offenheit des Hauses beeindruckt – den offenstehenden Wohnungstüren, der netten Begrüßung der Mitbewohner, den bunten Räumen voller Gemälde, Graffitis und Poster. Beim Tee in der belebten Küche fühlte ich mich willkommen und als ich mich entschied, im September ein Praktikum in Berlin zu machen, war mir klar, dass dies der Ort war, an dem ich wohnen wollte.

Mit wenig Gepäck kam ich an und bezog zunächst als Gast ein freies Zimmer. Dann stellte ich mich zusammen mit zwei anderen Anwärtern auf dem wöchentlichen Hausplenum offiziell vor. Da dort aber nie alle anwesend sind, dauerte es drei Wochen, bevor ich nach und nach die rund 20 Bewohner persönlich kennengelernt hatte. Das war sowohl mir als auch der Hausgemeinschaft enorm wichtig. Schließlich wurde entschieden, dass ich einziehen konnte.

Ich begann mir mein Zimmer, in dem bereits ein Hochbett, ein Sofa und ein Kohleofen standen, wohnlicher einzurichten. Auch wenn es mir hin und wieder schwer fiel, bei all den neuen Gesichtern, die in der Liebig 14 ein- und ausgingen, den ganzen Partys und Konzerten, den VolxKüchen, Kinoabenden und abendlichen Diskussionen am Küchentisch den Überblick zu behalten, hat die emotionale und politische Verbundenheit untereinander einen starken Eindruck bei mir hinterlassen.

Welche Küche darf's sein?

Egal ob Anarchist, Arbeitsloser, Student oder Künstler – in der Liebig 14 lebten die unterschiedlichsten Menschen mit verschiedenen Nationalitäten friedlich zusammen. Diese Vielfalt spiegelte sich auch in den vier Küchen im Haus wider. Jeder konnte selbst wählen, ob er nun ein gut sortiertes Gewürzregal in einer ruhigen Nichtraucherküche oder einen chaotisch zugestellten Tisch und sich stapelndes Geschirr bevorzugte. Eine Organisation des Einkaufes und Abwaschs gab es selten, so funktionierte dies ohne Absprachen mal besser, manchmal auch schlechter.

Doch trotz aller Freiheiten und einer mehr oder weniger hedonistischen Lebensweise – in einem Hausprojekt zu wohnen, bedeutet auch, am regelmäßigen Plenum teilzunehmen, politische Arbeit zu leisten und sich für gemeinsame Ideale zu engagieren. Manchmal hatte ich bei den zahlreichen Treffen auch das Gefühl, dass sich Diskussionen um scheinbar alltägliche Dinge viel zu lange im Kreis drehten, doch letztendlich kamen wir – trotz vieler Meinungsverschiedenheiten – immer zu einem Konsens, was ich mir mit der Toleranz und dem starken Wir-Gefühl aller Mitbewohner erklärte, welches eine solche Lebensform überhaupt erst möglich macht.

Nachdem die letzten Gerichtsprozesse um ein Mietrecht gegen die Eigentümer des Hauses (ja auch wir haben regulär Miete gezahlt – allerdings verglichen mit den umliegenden Häusern eine günstige) verloren gingen, trafen Anfang Januar die Briefe für alle neun Wohnungen mit Räumungsbescheiden ein. Dennoch verlor im Haus niemand den Willen, hier weiter zu leben und alles nur Mögliche zu tun, den von uns geschaffenen Freiraum zu verteidigen.

Wir wollten keine Gewalt

Dabei allerdings Gewalt anzuwenden, war für uns von vornherein kein Thema. Wir wollten andere Wege gehen: Während die einen Pressearbeit machten oder Banner malten, versuchten andere, auf juristischem Weg noch eine Lösung zu finden oder mithilfe von Handzetteln und Postern die Öffentlichkeit zu informieren. Es wurde ein zweiwöchiges Anti-Räumungsfestival organisiert. Die Unterstützung vieler Sympathisanten von außerhalb und der noch einmal stärker bewusstwerdende Zusammenhalt im Haus spornte uns immer wieder an.

Am Ende hat das alles nichts genutzt. Am 2. Februar wurde die Liebig 14 mit einem Großeinsatz von 2.500 Polizisten geräumt. Doch trotz der anfänglichen Verzweiflung nach der Räumung sind wir alle der festen Überzeugung, dass unsere Gemeinschaft weiterhin bestehen wird. Zurzeit nutzen die meisten Bewohner die angebotenen Gästezimmer anderer Hausprojekte. Wir werden sehen, ob das Angebot der Stadt Wirklichkeit wird, den Liebig-14-Bewohnern ein Ersatzobjekt zur Verfügung zu stellen. Sollte dies nicht passieren, werden wir – davon bin ich fest überzeugt – andere Möglichkeiten finden, an einem neuen Ort wieder zusammenzuleben. Denn die Idee einer offenen und solidarischen Hausgemeinschaft ist zu stark, als dass sie von einem Polizei-Großeinsatz weggeräumt werden könnte.

Johannes Stein, 24, studiert an der FH Hannover Fotojournalismus. Er hat in den vergangenen Monaten ein Praktikum in der Bildredaktion des Freitag gemacht

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