Energiepreise Wenn die Kälte kommt, wo wärmen wir uns? Im Café, im Pflegeheim, im Museum? Wer kann sich das leisten – und wer nicht? Besorgte Menschen erzählen
Ich wohne ziemlich idyllisch, auf dem Land, gegenüber einer Bäckerei. Wenn ich morgens aufstehe, dann duftet es nach frischem Brot, dass es eine Freude ist. Aber nicht für mich, ich weiß: Ich kann mir das Brot nicht leisten. Können Sie sich vorstellen, was das mit einem macht? Wenn man jeden Tag diesen leckeren Brotgeruch in der Nase hat, und dann gehe ich zur Tafel und krieg dort zwei Tage alte Brötchen?
Vor einem halben Jahr konnte ich es mir noch locker leisten, mit Freunden mal einen Kaffee zu trinken. Das ist jetzt nicht mehr drin. Oder ich muss es woanders einsparen. Und das geht ja nur noch bei Hygiene oder Lebensmitteln. Man kann sich von fünf Euro am Tag nicht vernünftig ernähren, das funktioniert
n, das funktioniert nicht. Das isoliert. Es macht einsam. Und es macht Angst.Ich sehe schwarz, seit der Ankündigung des Entlastungspakets der Regierung. Für Menschen in der Grundsicherung wie mich gibt es ab dem ersten Januar 50 Euro mehr. Aber wenn wir jetzt schon 30 Prozent Teuerung bei Lebensmitteln haben: Wie soll das gehen? Das kann nicht gehen. Es ist jetzt keine Frage mehr von „Wie kann ich mich einigermaßen gesund ernähren?“, sondern eine Frage von „Wie kann ich mich überhaupt ernähren?“. Ich bekomme 840 Euro Rente, das wird dann nach der Zahlung meiner Miete aufgestockt auf den Regelsatz der Grundsicherung, also 449 Euro im Monat. Wenn ich davon Strom, Internet, Handyrechnung, Medikamente, die Ratenzahlung für meinen Kühlschrank und für mein Kautionsdarlehen abgezogen habe, dann bleiben mir rund 150, manchmal auch 160 Euro pro Monat.2021 gab es keine Erhöhung beim Regelsatz, 2022 gab es drei Euro mehr pro Monat. Da fühlt man sich verarscht, um es ganz deutlich zu sagen. Und jetzt feiern die sich auch noch so dafür, für 50 Euro mehr, wie toll sie sind! Die Preissteigerungen gehen ja weiter, kein Ende in Sicht. Ich bin bloß froh, dass ich diesen Ritt nicht mit Kindern machen muss. Das wäre einfach nur furchtbar.Beate Behrens ist 67, lebt in Schleswig-Holstein und twittert unter @Weltenfrau: „alt, arm, meist fröhlich“ Protokoll: Pepe Egger19 Grad: Das ist zu kalt für die HeimeDie erste gute Nachricht für Pflegeheime: Beschäftigte müssen nach Tarif bezahlt werden. Die zweite gute Nachricht: Pflegebedürftige müssen im Winter nicht bei 19 Grad in ihren Zimmern ausharren. Schützenswerte Einrichtungen seien von den Energiesparvorschriften der Bundesregierung ausgenommen, sagt Nora Roßner, Referentin für Teilhabe und Gesundheit beim Deutschen Caritasverband. Nach fast drei Corona-Jahren und zwei Hitzesommern, die Heimbewohner:innen hinter sich haben, wäre das auch ein fatales Signal. Alte Menschen bewegen sich wenig und frieren leicht: Sie brauchen im Winter eine gute Heizung.Was aber nun an Energiekosten auf die Träger zukommt, so Roßner, sei noch nicht absehbar, „wir können nur spekulieren“. Andreas Wedeking vom Verband katholischer Altenhilfe wird an einem Rechenbeispiel konkret: Ein Heim mit 90 Plätzen hatte 2021 95.000 Euro für Energiekosten aufzubringen. Verdoppeln sich die Gaspreise, können diese zunächst einmal nicht an die Heimbewohner weitergegeben werden, von der Gasumlage, den steigenden Lebensmittelpreisen und Handwerkerkosten ganz abgesehen. „Preiserhöhungen“, sagt Roßner, „sind im Betreuungsvertragsgesetz geregelt und müssen verhandelt werden.“ Allerdings seien nicht nur Kälte, sondern auch Hitze Kostentreiber: „Einrichtungen mit Klimaanlage haben sie diesen Sommer auf Hochtouren laufen lassen.“Die Möglichkeiten, Energiekosten zu senken, sind also begrenzt. Roßner fürchtet, dass die Kosten am Ende doch auf die Bewohner abgewälzt werden: „Die Eigenanteile sind ohnehin schon sehr hoch. Die Deckelung durch die letzte Pflegereform fängt nicht ein, was mit den steigenden Energiekosten nun kommen könnte. Es ist von 50 bis zu 300 Euro pro Monat die Rede.“ Größere Träger können das eine Weile auffangen. Kleinere könnte es in die Insolvenz treiben, mit unabsehbaren sozialen Folgen. Die Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa plädiert für einen Schutzschirm: „Es braucht in allen Sozialgesetzbüchern Bestimmungen, um krisenbedingt höhere Kosten geltendmachen zu können – einen Schutzschirm ohne Löcher.“Ulrike BaureithelÜberwintern im Museum – für wen?Er hoffe, dass in diesem Winter „ganz viele Leute einfach in den Museen überwintern.“ So wurde Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, kürzlich in der Süddeutschen zitiert. Es sei „ein bisschen unklar“, stand dort aber auch, wie ernst er das gemeint habe. Nachfrage also bei Biesenbach: Museen zu Wärmestuben – ist das sein Ernst? Er erzählt dann vom Winter 1989/90, als er nach Mitte zog, in eine Wohnung ohne Heizung, und wie ihn das nahe Bode-Museum rettete, wo er dank Studentenausweis stundenlang vor einem Tee sitzen konnte. „Ich meine das schon sehr ernst. Ich stelle mir das Museum als einen dritten Ort vor, wie einen Puffer zwischen der Arbeit und dem Zuhause, wo man friert, weil es zu kalt ist. Es ist nicht so gedacht, dass die Leute mit Rucksäcken und Zelten einziehen, aber sie sollen hier mehr Zeit verbringen können.“ Stellt sich die Frage, an wen er dabei denkt: Studenten wie er einst oder auch die Junkies von der nahen Kurfürstenstraße? Die diplomatische Antwort: „Wenn einem das Museum schon etwas bedeutet, dann sollte es einem als Freund in der Not auch helfen.“Was fürchtet er für die Neue Nationalgalerie selbst? Britische Museen rechnen bereits mit 500 Prozent mehr Energiekosten. „Ich habe hier im Januar als Direktor angefangen, im Februar brach der Ukrainekrieg aus. Ich schaue mit größter Sorge auf die Dinge, die ich noch nicht weiß. Ich habe zwei Naturkatastrophen durchlebt. Die eine war Hurrikan Sandy in New York. Damals machten wir am MoMA die Ausstellung Expo 1, es ging um Ökologie. Den Etat haben wir dann in eine riesige geodätische Kuppel gesteckt, mit Wärme, Strom, Wi-Fi und Wasser. Das war soziale künstlerische Praxis. Der erweiterte Kunstbegriff bedeutet, sich solchen Herausforderungen zu stellen.“ Angst vor kostenbedingter Schließung hat er nicht: „Ich habe in den USA immer gesagt, in Europa sieht man Museen wie Schulen und Krankenhäuser als Grundversorgung für die Allgemeinheit an. Deshalb habe ich ja auch die Kunst-Werke, als wir sie vor 31 Jahren in der Berliner Auguststraße 69 gründeten, so genannt – wie Wasserwerke und Gaswerke. Ich habe da Zuversicht.“Christine Käppeler3,50 Euro: das Ende des täglichen CappuccinoDie Spätsommersonne spielt golden auf den Holztischen mit den Lindenblättern, im nachmittäglichen Gemurmel duftet es nach gerösteten Bohnen. Im griechischen Café Myxa wird einem Berliner Rentner ein Americano serviert (2,00 Euro), es wird Dakos serviert für zwei Französinnen (also Tomaten mit Feta, Kapern und Olivenöl auf Gerstenbrot: 6,20 Euro) und Cappuccino für die zwei da vor ihren Laptops (2,80 Euro). Unter drei Euro, das ist selten geworden hier in Berlin Neukölln. „Ich fürchte, wir müssen auch bald erhöhen. Aber ich tue mich schwer damit.“ Der Besitzer des Myxa, Anastasis Giannousakis, spricht über den Balanceakt, das verteuerte Gemüse für Dakos, Spinatreis und Ofengemüse zu zahlen („Verdreifacht!“), seinen 15 Angestellten einen guten Lohn zu bieten („Für die wird das Gemüse ja auch teurer!“) und die eher prekär lebende Kundschaft zu halten. Immerhin, jetzt grinst Giannousakis bitter, sei die Gasrechnung kein Problem: „Unsere Gasheizung ist zum Glück kaputt, seit letztem Jahr! Wir haben elektrisch geheizt. Die Stromrechnung ist gigantisch: 1.500 Euro im Monat, 18.000 im Jahr! Strom kostet uns jetzt so viel wie die Miete.“ Kam natürlich dazu, dass Tür und Fenster im Winter weit geöffnet waren – wegen Corona. Muss auch dieses Jahr so gelüftet werden? Achselzucken. „In der Gastronomie geht es den Leuten jetzt echt an den Kragen.“Drei Straßen weiter, in der Rösterei Kaffeekirsche, kostet der Cappuccino schon 3,20 Euro. „Bis Mai konnten wir ihn für 2,90 Euro anbieten, dann ging es nicht mehr. Wir werden die Preise auch noch mal anpassen, um zehn Prozent“, sagt Inhaber Turabi Kocadag. Also auf 3,50 Euro. Der Rösterei setze die Stromrechnung zu, auch die Kaffeepreise, die wegen Ernteproblemen in Brasilien hochschnellten. „Eigentlich war unser Ziel stets, dass jeder sich täglich einen Kaffee bei uns leisten kann.“ Täglich ein Cappuccino, das wären nach Preis-„Anpassung“ 105 Euro im Monat. Hartz IV sieht, nach der beschlossenen Erhöhung, 173 Euro vor: für Getränke – und die gesamte Ernährung. „Unser Publikum ist noch gemischt, bislang“, sagt Kocadag. „Das wird sich im Herbst wohl langsam aufsplitten.“Elsa Koester
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