Das Erreichte ist bedroht

FRAUENFORSCHUNG Jeder Ruf an eine andere Universität und jede Emeritierung, aber auch die Einordnung in die Genderforschung gefährdet Erhalt und Ausrichtung der hart erkämpften Lehrstühle

Die neue Frauenbewegung begründete in der Aufbruchsphase der siebziger Jahre die Frauenforschung als eigenständige Forschungsrichtung. Während sie sich professionalisierte und institutionalisierte, entpolitisierte sich die autonome Bewegung. Diese Wende von der außerparlamentarischen Bewegung zur institutionellen Forschung von Frauen markiert einen Wendepunkt: An die Stelle öffentlicher Aktionen trat vermehrt die äußerst effektive aber weniger medienwirksame Bildung von Projekten, Netzwerken und Vereinigungen von Wissenschaftlerinnen -wie der »Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie«, der »Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen von NRW« oder der Kongress »Frauen in Naturwissenschaft und Technik«. Mit dieser bewegten Vernetzung als Institutionalisierung der Frauenforschung ging die Verberuflichung oder Akademisierung der Frauenforschung einher. Institute wurden gegründet: »Frau und Gesellschaft« in Hannover oder beispielsweise das »Interdisziplinäre Frauenforschungszentrum« an der Universität Bielefeld. Die Institute schu fen qualifizierte, in der Regel jedoch zeitlich befristete Arbeitsplätze. Projekte wurden gefördert und Begleitstudien zu frauenspezifischen Fragestellungen erstellt.

Frauenforscherinnen stießen zunächst außerhalb, dann mehr und mehr innerhalb der Institution 'Hochschule und Wissenschaft' einen Institutionalisierungsprozess an, der in den achtziger Jahren Früchte trug. So wurde zum Beispiel auf Initiative engagierter Wissenschaftlerinnen 1986 das »Netzwerk Frauenforschung NRW« von der damaligen Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) geschaffen. In einem mehrjährigen Prozess richtete NRW über 40 Professuren zur Frauenforschung ein. Es ist das größte Netzwerk der Frauenforschung auf Landesebene, dem andere Bundesländer, zuletzt Baden-Württemberg, gefolgt sind.

Bundesweit soll es derzeit 115 entsprechende Professuren geben, die großenteils jedoch nur eine Teildenomination in der Frauen- und Geschlechterforschung haben. Immer, wenn die Denomination ergänzt wird durch die Formel »unter besonderer Berücksichtigung frauenspezifischer Aspekte«, ist Vorsicht geboten. Zu häufig hat sich in der Praxis erwiesen, dass dieser Zusatz für die jeweilige Professorin eine (Zeit-)Falle bedeutet, da sie wegen grundlegender Lehrveranstaltungen und Prüfungsleistungen in ihrem Fach Frauenforschung nur mit zusätzlichem Engagement durchführen kann. Doris Lucke hat den Anteil von Professuren mit der ausdrücklichen Denomination »Frauen- bzw. Geschlechterforschung« errechnet und spricht von »homöopathischen Dosen«. Nur 0,4 Prozent aller C2 bis C4 Professuren beschäftigen sich auch mit Frauen- und Geschlechterforschung. Nun wissen wir, dass die Homöopathie im menschlichen Körper und die Frauenforschung innerhalb des Wissenschaftssystems eine hohe Wirksamkeit zeigen.

Dennoch ist die weitere Entwicklung kritisch zu bewerten. Frauenforscherinnen, die eine Institutionalisierung mit hohem persönlichen Einsatz und dem Rückenwind der Frauenbewegung betrieben haben, müssen sich kritisch der Frage nach dem Erfolg der Institutionalisierung von Frauenforschung stellen. Es zeigt sich, dass sie einen Institutionalisierungsprozess angestoßen haben, der weder gradlinig verlaufen noch abgeschlossen ist. Nach wie vor bedarf es einer politischen Unterstützung und einer sozialen Bewegung an und außerhalb der Hochschule, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen und Geschlechterforschung stabil zu institutionalisieren. Die Frauenforschung zählt zwar zur Geschlechterforschung, geht jedoch in ihrem feministischen gesellschaftstheoretischen Profil über diese hinaus.

Das Erstarken der Frauenforschung hat auch Eingang in Studienordnungen gefunden und in letzter Zeit vermehrt zur Institutionalisierung von Studiengängen geführt - bespielsweise den »Gender Studies« an der Humboldt-Universität Berlin oder dem »Zentrum für feministische Studien« an der Universität Bremen. In der BRD gibt es aktuell mehrere Initiativen, weitere Studiengänge dieser Art einzuführen. Diese erste Etablierung als Forschungszusammenhang und die Umsetzung in Studiengänge wie Frauenstudien oder Gender Studies ist nicht unumstritten. Ihre Randständigkeit beziehungsweise ungesicherte Position innerhalb der Hochschulen konnte bisher nur selten überwunden werden. Vielmehr gibt es neben den Erfolgen auch brisante Gefährdungen, da es sich insbesondere bei den Professuren um höchst begehrte, einflussreiche und die Wissenschaftsentwicklung steuernde Positionen handelt, die weitere Ressourcen mobilisieren können.

Um Frauenforschungsprofessuren konnten die Hochschulen auf einem 'künstlichen Markt' miteinander in Wettbewerb treten. Bisher wurden ausschließlich Frauen auf sie berufen. Doch der Wind dreht sich. Die selbstauferlegte Zurückhaltung von Männern schwindet. Durch die sich etablierende Männlichkeitsforschung und die Ersetzung von Frauenforschung durch Geschlechterforschung gewinnen Männer erstens ein inhaltliches Arbeitsfeld hinzu, und zweitens führt der Anstieg von habilitierten WissenschaftlerInnen bei gleichzeitiger Abnahme von Professorenstellen zu einer verschärften Konkurrenzsituation an den Hochschulen. Aktuelle Entwicklungen innerhalb des Netzwerks Frauenforschung belegen dies. So gibt es derzeit die Klage eines abgelehnten männlichen Bewerbers auf Gleichstellung und möglicherweise demnächst das erste männliche Mitglied im Netzwerk Frauenforschung.

Dabei sieht das Zahlenverhältnis zwischen Männern und Frauen an den Hochschulen alles andere als rosig aus. Die Quote der Professorinnen in der BRD ist in den letzten Jahren zwar von 6,5 Prozent im Jahr 1992 auf 9,5 Prozent (Ende 1998) gestiegen. Jedoch betrug der Frauenanteil an C4-Professuren lediglich 5,9 Prozent. In absoluten Zahlen stehen sich damit in der Bundesrepublik 3.600 Frauen und 33.900 Männer gegenüber, wahrlich ein asymmetrisches Geschlechterverhältnis.

Nach den Erfahrungen innerhalb des Netzwerks Frauenforschung treten Gefährdungen insbesondere dann auf, wenn die Inhaberin einer Frauenforschungsprofessur einen Ruf an eine andere Hochschule annimmt. So sollte zum Beispiel die Professur »Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung europarechtlicher Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann« bei der Wiederbesetzung ohne Geschlechteraspekt ausgeschrieben werden. Weiter schwebt das Damokles-Schwert über den Frauenforschungsprofessuren bei Emeritierung: So wurde an der Universität Bonn die Stelle »Frauengeschichte«, die mit der renommierten Geschichtswissenschaftlerin und Frauenforscherin Annette Kuhn besetzt war, nach deren Pensionierung nicht wieder ausgeschrieben. Darüber hinaus werden insbesondere Umstrukturierungsprozesse an Fachbereichen und Hochschulen - in NRW im Zuge des »Qualitätspaktes« - dazu genutzt, sich der Frauenforschung zu entledigen, wie dies aktuell insbesondere Frauenforschungsprofessuren an den Universitäten Dortmund, Duisburg und Paderborn betrifft. Generell ist auch durch die Umzentrierung auf die Technik und Naturwissenschaften ein Rückgang der stärker in den Geisteswissenschaften angesiedelten Frauenforschung zu befürchten.

Über das »Veralten der Frauenforschung« referierte Irene Dölling 1995 in ihrer Antrittsvorlesung an der Universität Potsdam. Diese provokante Herausforderung zur Selbstreflexion kennzeichnet die aktuelle Phase der institutionalisierten Frauen- und Geschlechterforschung. Sie wurde unter anderem auch hervorgerufen durch die politische Wende und die Auseinandersetzung zwischen ostdeutscher und westdeutscher Frauenforschung - vor allem aber durch das Hinterfragen universalistischer Konzepte von Frau- bzw. Mann-Sein. Die höchst spannende und notwendige Debatte einer Frauenforschung als Geschlechterforschung, die unter dem Stichwort des Paradigmenwechsel diskutiert wird, gerät auch unter politische Einflüsse, die den politischen Gehalt der Kategorie »Frau« zurückdrängen möchten. Eine begriffliche Änderung in Geschlechterforschung ist nicht ungefährlich, deutet sie doch ein bereits enthierarchisiertes Geschlechterverhältnis an, das angesichts der aktuellen Rücknahme und Bedrohung des bereits Erreichten wie der Schließung des Instituts »Frau und Gesellschaft« in Hannover und der Gefährdungen von Stellen im Netzwerk Frauenforschung von NRW höchst problematisch ist. Diesen Gefährdungen, die das »Verschwinden der Frau« (Mary Maynard) und eine Flaute des gesellschaftskritischen und feministischen Potenzials der Frauenforschung begünstigen, ist nur durch einen reflektierten aber kräftigen Gegenwind zu begegnen.

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