Die Katastrophe ist die Geburtsstunde des Journalismus. Vor unseren Augen brennt die Welt, und jemand schreibt bereits darüber. Die längste Zeit sah das Verhältnis von Katastrophe und Medienberichterstattung so aus: Einer Fülle von zu enthüllenden Fakten standen einige wenige gegenüber, die sie zu Nachrichten und erläuternden Texten verarbeiteten, und das oft erst im Lauf von Jahrzehnten oder Jahrhunderten.
Doch seit Gaius Plinius der Jüngere seinen Nächsten den Untergang von Pompeji schilderte, haben sich die Relationen von Tatsachen, Zeitzeugen und Niederschrift verschoben. Nicht nur, dass heutige Katastrophenberichterstatter keine Ausgrabungen mehr abwarten müssen – mit Youtube, Twitter und Spiegel-Online scheint sich das Verhältnis von Katastrophe und Berichten über sie endgültig umgedreht zu haben: Die realen Ereignisse geben kaum mehr genug „Infostoff“ her, um die im Minutentakt berichtenden Medien noch zu füllen.
Die Schreiber in den Nachrichtenredaktionen machen aus der Not eine Tugend, wie es so schön heißt, und haben Wege gefunden, stündlich die gleichen Infos in neuem Gewand plus Fotostrecke aufzubereiten. Zwischendurch behilft man sich mit Hitlisten: die zehn größten, die zehn schönsten oder auch die zehn vergessensten Katastrophen. Aus den Stuben des Feuilletons schaut man neidisch auf diese Betriebsamkeit und will in puncto „gesellschaftliche Relevanz“ nicht nachstehen. Nur wie? Schließlich besteht der Beruf der Edelfedern im Deuten und Interpretieren von Artefakten und Fiktionen. Aber nichts leichter als das, lässt sich doch jede Katastrophe „lesen“ – eben wie eine herkömmliche Erzählung, ein aktuelles Drama oder, besonders beliebt, das jüngste Leinwandspektakel.
Die Aufgabe der Filmkritiker
Es gibt immer einen, der mit dem Erdbeben von Lissabon anfängt und über die „erste Katastrophe mit Medienwirkung“ schreibt. Gleichzeitig versucht das Feuilleton jeder Katastrophe ihre Eigenheit zu lassen: New Orleans versinkt in den Fluten? Der Musikkritiker orientiert über die Geschichte des Jazz. Tornados fegen übers Land? Der Architekturkritiker kann seine Thesen zur Verlorenheit amerikanischer Städte recyceln. Für politische Aufstände empfehlen sich Schriftsteller, die man zu Mentalitätsexegeten befördert.
Eine besondere Aufgabe kommt stets den Filmkritikern zu. Denn egal ob Attentate, Flutkatastrophen oder Erdbeben – es gibt kaum eine Unglücksart, die fürs Kino noch nicht verfilmt wurde. „Das Kino liebt die Katastrophe“, heißt es dann, Zuschauer und Leser fühlen genau so, also messe man das Weltgeschehen an dem, was man auf der Leinwand gesehen hat. Vor zehn Jahren, zu „9/11“, ergaben diese Analysen, ganz ungefähr und vorsichtig formuliert, dass die Amerikaner ein solches Attentat in irgendeiner Form, wenn nicht herbeigesehnt, dann doch zumindest herbeifantasiert hatten.
Angesichts von Fukushima kamen jüngst die Spezialisten des asiatischen Kinos mit Blick auf die japanische Manga-Monster-Filmkultur zu einem ähnlichen Schluss. In beiden Fällen kann man übrigens ein Adorno-Zitat unterbringen: „Psychologie weiß, dass, wer das Unheil sich ausmalt, es irgend auch will.“ Also hat „das Kino“ Schuld? Spätestens hier zeichnet sich ab, dass es vielleicht einen Zusammenhang von Kino und Katastrophe gibt, dass es aber nicht so leicht ist, ihn außerhalb von Vulgärpsychologie schlüssig zu schildern. Das Feuilleton, aufgefordert, im Katastrophenfall gesellschaftlich Relevantes zu schreiben, sollte sich jedenfalls hüten, ins Raunen zu geraten.
Barbara Schweizerhof ist Filmkritikerin
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