Das ganze Fach fällt mit

Medienwandel Michael Hagners Analyse zum Schwinden des Buchs in den Geisteswissenschaften lehrt einem das Fürchten
Ausgabe 17/2015

Spätestens seit Marshall McLuhan in den 60er Jahren das Ende der Gutenberg-Galaxis ausrief, warten wir auf den definitiven Untergang des gedruckten Worts. Über kurz oder lang werden wohl die digitalen Medien gewinnen. Oder?

In einem rasanten Rundumschlag rollt der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner die Sache des Buches noch einmal auf. Zunächst zeichnet er das Bild vom Kulturkampf zwischen den Verfechtern des Gedruckten und den bücherfeindlichen Technikeuphorikern, die es schon vor dem Internet gegeben hat. Hagner schlägt sich nicht eindeutig auf eine der Seiten. Er will abwägen, lässt sich sehr weit aufs Digitale ein, um die derzeitige Lage des Buchs, genauer gesagt des geisteswissenschaftlichen Buchs, zu befragen. Das hat eine gewisse Dramatik, denn im Gegensatz zu den Natur- und Technikwissenschaften hängen die Geisteswissenschaften an der Monografie als ihrer wesentlichen Ausdrucksform. Der Niedergang des Buchs wäre auch einer der Geisteswissenschaften in der Form, wie wir sie kennen.

Im Wissenschaftsbetrieb haben sich in den vergangenen Jahrzehnten der kurze Journalartikel sowie die Digitalisierung und Onlineverwaltung von Texten extrem schnell und schlagkräftig durchgesetzt. Erkenntnisse sollten frei zugänglich sein – das ist die gut klingende Idee. Was Hagner im zentralen Kapitel seiner Untersuchung über Open Access schreibt, kann einem jedoch die Gänsehaut über den Rücken jagen. Denn er zeigt, wie das, was als Demokratisierung des Wissens verkauft wird, zur gnadenlosen Geschäftemacherei einiger zu Megakonzernen mutierter Verlage verkommen ist.

Insbesondere die Geisteswissenschaften sehen in Konkurrenz zu den Science-Technology-Medicine-Publikationen kein Land mehr. Verlage treiben die Preise maßlos in die Höhe und lassen sich ihre Onlinejournale durch Autoren und Abonnenten fürstlich bezahlen. Die Gewinnspanne des niederländischen Verlagsgiganten Elsevier, so steht es trocken bei Michael Hagner, sei mittlerweile größer als die des US-amerikanischen Erdölkonzerns ExxonMobil. Fette Zuwächse stehen weiter in Aussicht, da sich die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen alle 15 Jahre verdoppelt.

Wie ist es nun aber um das gedruckte Buch bestellt? Für manche Formen des Lesens, für rasches Überfliegen, Scannen, sich Orientieren sei die digitale Form genau richtig, meint Hagner. Doch das hoch komplexe analytische Lesen, ein Lesen „mit zarten Fingern und Augen“, wie Friedrich Nietzsche es nannte, gelinge am angemessensten immer noch mit dem gedruckten Wort. Gedankliche Sorgfalt braucht die Zeitverzögerung durchs Papier.

Zur Sache des Buches öffnet ein ganzes Universum. Auch wenn das Thema Wissenschaftspublikation sehr speziell ist, erfährt man viel über generelle Veränderungen und nationale Eigenheiten im Verlagswesen, die goldenen Zeiten des Buchs, Bildungs- und Lesekulturen, die Mechanismen des Informationskapitalismus. Ohne in kulturpessimistische Klage zu verfallen, hat Hagner ein starkes Plädoyer für die Geisteswissenschaften geschrieben. Dabei führt er am eigenen Text gleich exemplarisch deren alte Tugenden vor, denn sein Buch enthält viel Recherche, ist bewusst komponiert, klug, dicht und exzellent geschrieben. Es enthält genau jenen typischen Schuss artistischer Eleganz, der den bibliophoben Zeitgenossen schon immer ein Dorn im Auge war.

Info

Zur Sache des Buches Michael Hagner Wallstein 2015, 280 S., 17,90 €

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