Die Initiative "Elftausend Kinder" möchte mit einer Ausstellung auf den Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG an die Deportation von 11.000 jüdischen Kindern aus Frankreich nach Auschwitz erinnern. Doch die Bahn untersagt diese Ausstellung. Die Initiatorin Beate Klarsfeld organisiert daher seit einiger Zeit Protestaktionen auf deutschen Bahnhöfen.
FREITAG: Frau Klarsfeld, weshalb ist es so wichtig, dass die Ausstellung in Bahnhöfen gezeigt wird?
BEATE KLARSFELD: Die Reichsbahn hatte eine sehr große Verantwortung für die Deportationen, die zu 99 Prozent mit Bahnwaggons durchgeführt wurden. Dieser Verantwortung muss sich die Nachfolgeorganisation Deutsche Bahn AG stellen, so wie es auch die französische Eisenbahn SNCF getan hat - obwohl die natürlich auf deutschen Befehl und ohne Bezahlung Juden, Jüdinnen und die anderen von den Nazis in die Konzentrationslager deportierten Menschen transportieren musste. Die SNCF hat unsere Ausstellung auf 18 großen Bahnhöfen gezeigt und beispielsweise bei der Eröffnung im Pariser Gare du Nord auch durch höchste Vertreter - Louis Gallois, Präsident der SNCF, hielt eine Rede - unterstützt.
Zeigen Ihre Proteste Wirkung?
Unsere Kundgebungen stoßen auf gute Resonanz, viele Reisende verstehen nicht, warum die Bahn sich weigert, die Ausstellung zu zeigen. Leider gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Bahnvorstand seine Haltung ändern könnte - aber wir werden immer wieder kommen.
Wie beurteilen Sie das Verhalten der Deutschen Bahn gerade vor dem Hintergrund des 60. Jahrestages des Kriegsendes und der Befreiung der Lager?
Die Deutsche Bahn will das Thema aussitzen. Der Versuch, die Ausstellung in das Bahnmuseum Nürnberg abzuschieben, ist nicht akzeptabel. Dort hätten Ausstellung und Gedenken an die deportierten und ermordeten Kinder nur eine sehr begrenzte Wirkung. Wir wollen aber breite Bevölkerungsschichten erreichen und beharren daher auf den Bahnhöfen. Und das Beispiel der SNCF zeigt ja, dass die von der Bahn vorgebrachten Argumente von Zumutbarkeit, Sicherheit, Störung des Betriebes nicht haltbar sind. Die Bahn muss sich ihrer Mitverantwortung stellen.
Können Sie feststellen, ob sich die Aufarbeitung der Vergangenheit in Deutschland verändert hat?
Ich habe ja nicht in Deutschland gelebt und kann Veränderungen daher nicht so genau wiedergeben. Aber es ist sehr viel gute Arbeit geleistet worden. Es gibt Gedenkbücher, Mahnmale, Gruppen wie die "Initiative Stolpersteine", die sich ja auch heute beteiligt haben. Und die Eröffnung des Holocaust-Mahnmals in Berlin ist sicher ein Höhepunkt dieser Entwicklung gewesen.
In letzter Zeit wurden in der politischen Debatte immer wieder Holocaust-Vergleiche eingesetzt. Ist der Umgang mit solchen Vergleichen unbefangener geworden?
Man hat viele Male versucht, den Holocaust zu vergleichen, aber die Vernichtung der Juden ist und bleibt einzigartig. Nicht nur, indem versucht wurde, sie total auszulöschen, sondern in der industriellen Art und Weise, in der das geschehen ist. Der Holocaust ist nicht vergleichbar mit anderen Genoziden, und man muss solchen Tendenzen entgegen treten. Andererseits ist aber in Deutschland, das ist mein Eindruck, seit dem Regierungswechsel 1998 die Gedenkarbeit leichter geworden. Wenn ich nur an Kohls "Gnade der späten Geburt" denke. Das praktische Gedenken mit Mahnmälern, Dokumentationen, Schulunterricht hat natürlich auch Druck auf die Politik ausgeübt. Und schließlich stehen Fischer oder Schröder dem Gedenken an die Nazi-Opfer sicher näher als Kohl. Diese Entwicklungen sind zu begrüßen.
Wie kann eine Erinnerungskultur in Zukunft aussehen?
Ich glaube, wir müssen stärker auf die Erziehung der Kinder und Jugendlichen setzen und das Gedenken dort besser integrieren. Dieser Aufgabe widmet sich die FFDJF in Frankreich beispielsweise, indem wir organisieren, dass Überlebende die Jugendgruppen nach Auschwitz begleiten. Oder die Gedenkbücher, die wir veröffentlicht haben - wir versuchen, die Erinnerung wach zu halten. Dokumentation ist von zentralem Stellenwert, weil der 60. Jahrestag der letzte war, der in dieser Größe begangen wurde. In zehn Jahren wird es keine Überlebenden mehr geben. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist die Initiative für die Verfolgung der Täter und das Gedenken von den Opfern ausgegangen. Wenn es keine Überlebenden mehr gibt, muss Erinnerung anders wach gehalten werden. Wer waren die Opfer, wie kam es dazu? Unsere Aufgabe ist es, der Nachwelt, der jungen Generation, das Gedenken zu erhalten.
Bei Landtagswahlen in Deutschland waren 2004 rechtsextremistische Parteien erfolgreich - macht Ihnen das Sorgen?
Schon in den sechziger Jahren hatte die NPD Erfolge, das ist also nichts Neues. Gefährlich sind solche Gruppierungen schon, erst recht, wenn sie in den Bundestag kämen - was mir aber dank der Fünf-Prozent-Hürde nicht wahrscheinlich scheint. Die heutigen Nazis sind nicht mehr so primitiv wie die in den sechziger Jahren. Sie greifen besser das auf, was im Volk vor sich geht. Bei den Wahlen in Ostdeutschland haben sie, glaube ich, viel gewonnen durch die Instrumentalisierung der Bombenangriffe auf Dresden. Sie wollten die Vertreibung oder die Bombardierungen mit dem Holocaust aufrechnen. Wir haben immer gesagt, dass man beispielsweise die Zerstörung Dresdens thematisieren muss, aber man darf doch nie vergessen, wer begonnen hat.
Das Gespräch führte Martin Brust
Beate Klarsfeld leitet zusammen mit ihrem Mann Serge die Organisation Fils et Filles des Déportés Juifs de France (FFDJF - Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs). Zwar ist das Ehepaar Klarsfeld in Deutschland eher als "Nazi-Jäger" bekannt, weil ihre Namen mit Fahndungserfolgen und Prozessen gegen prominente Täter (zum Beispiel Klaus Barbie) verknüpft sind. Beate Klarsfeld sind aber die Namen und Gesichter der Opfer und das Gedenken an sie "viel wichtiger als die Jagd auf die Täter".
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