Das Gehirn ist alles, der Rest Unterstützung

Transplantationsmedizin auf katholisch Ein Gespräch mit dem amerikanischen Kopfverpflanzer Robert White

Mit der zumindest in der westlichen Welt etablierten Hirntod-Definition - Voraussetzung für die Entnahme von Organen - ist das cartesianische Menschenbild, nachdem Geist und Körper in einem streng hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, zur medizinischen Norm erhoben worden. Auch der amerikanische Neuro-Chirurg Robert White glaubt, dass nur dem Gehirn Bedeutung zukommt, während der "Restkörper" ein beliebig nutzbares Ersatzteillager darstellt. Der launige 76-Jährige, ehemals Direktor der neurochirurgischen Abteilung im Metro-Health-Center in Cleveland, ist der erste Kopfverpflanzer der Welt, bislang allerdings nur im Tierversuch. Dass er nebenbei der bioethischen Kommission des Vatikan angehört und den Papst berät, ist für ihn kein Widerspruch, sondern harmoniert, wie er erzählt, aufs vorzüglichste mit seiner eigentlichen Profession.

FREITAG: Mr.White, Sie verfolgen als Transplantations-Mediziner höchst eigenwillige Ideen: Sie wollen menschliche Köpfe verpflanzen oder vielmehr: frische Körper unter alte Köpfe montieren. Wie sind Sie überhaupt auf den Gedanken gekommen?
ROBERT WHITE: Nun, das hat sich aus einer Serie von Tierversuchen heraus entwickelt, die wir in einem Forschungsprogramm unternommen haben. Die erste Stufe war die Isolierung des Gehirns und die Frage, wie man es durch Maschinen am Leben erhalten kann. Die zweite Stufe beschäftigte sich mit dem Problem, wie man das Gehirn in gekühltem Zustand länger aufbewahren und mit ihm arbeiten kann. In einer dritten Stufe sollte das Hirn, nur das Hirn, in ein anderes Tier transplantiert werden. Wir haben dem Tier den Kopf also nicht abgenommen, sondern nur das Hirn transplantiert. Das war die erste Hirn-Transplantation. Schließlich wollte man sich nicht damit zufrieden geben, dass der Stoffwechsel dieses Gehirns funktionierte. Um die totale Normalfunktion des transplantierten Organs zu beweisen, musste man es im Schädel belassen - weil man dann zeigen konnte: es kann immer noch sehen, hören, schmecken, riechen, Schmerz empfinden und indirekt kommunizieren. Also habe ich diese Operation einmal am Zeichentisch skizziert, und wir haben das im Laboratorium dann ausgeführt. Wir wollten sehen, ob dieses im Kopf belassene Gehirn mit neuem Körper funktionieren würde, oder korrekter gesagt, ob wir eine Total-Körper-Transplantation schaffen würden.

Und wie ging das vor sich?
Wir haben einen Affen A und einen Affen B. Dem letzteren nehmen wir den Kopf ab; es verbleibt der B-Körper. Dann entfernen wir dem A-Affen den Kopf mit Hirn und transferieren ihn auf den B-Körper. Wir hatten natürlich einige Misserfolge, was auf Probleme mit der Hirn-Konservierung und der Verbindung der Blutgefäße zurückzuführen ist, aber schließlich konnten wir einen B-Körper mit wachem A-Hirn präparieren. Das wurde richtig gefährlich: der A-Kopf erkannte nicht nur Dinge, folgte mit den Augen, sondern er schnappte auch nach meinem Finger, wenn ich ihn in die Nähe seines Mundes brachte. Er konnte sehen, hören, schmecken und so weiter. Also, es klappte, die Studie wurde veröffentlicht. Und wir fragten uns natürlich: Kann man das auch beim Menschen machen? Wir haben uns jedoch zunächst nicht um Forschungsgelder bemüht, sondern andere Studien vorangetrieben, Versuche mit niedrigtemperierten Gehirnen - das ist später wichtig für Operationen bei Hirn- oder Wirbelsäulenverletzungen.

Wie lange haben die Tiere das überlebt?
Einige der Versuchstiere lebten bis in die zweite Woche hinein. Aber sie bedurften natürlich sehr sorgfältiger Pflege und Quarantäne und wurden ständig von Monitoren überwacht. Aber wir hatten keine Finanzmittel für die Intensivstation, und es war auch gar nicht die Frage, wie lange die Tiere überleben würden. Da würde es dann um Monate und Jahre gehen. Wir wollten aber zunächst nur das Funktionieren des Hirns testen.

Und nun wollen Sie das im Humanversuch auch mal probieren?
Ja. Natürlich hat unsere chirurgische Technik Aufsehen erregt, und deshalb stellten mir viele Leute die Frage, wenn Sie die Operation an Tieren durchführen können, dann müsste es auch beim Menschen möglich sein. Warum können Sie nicht jemandem helfen, der ab dem Kopf abwärts gelähmt ist? Irgendwann stirbt der an Multi-Organversagen - seine Lungen, die Leber, die Nieren sind typische Problemfälle. Soll man dem jetzt alle Organe transplantieren? Ich ging zurück in den Operations- und Seziersaal und an den Zeichentisch und schaute mir die Probleme bei einer Körper-Totaltransplantation an. Und ich sah, dass es beim Menschen leichter sein würde als bei den Affen, weil deren Blutgefäße viel kleiner sind. Außerdem haben wir beim Menschen viel mehr Operationserfahrung. Wir haben also das Material und die Technik. Was fehlt, ist das Geld. Ich brauche fünf bis zehn Millionen Dollar, um eine solche Operation auszuführen. Ich werde dafür nicht Klinken putzen gehen, aber ich glaube, dass die amerikanischen Gelähmten-Verbände dieses Geld zusammenbringen werden. Leider befinden diese sich im Moment noch auf einem Irrweg, weil sie an die Regeneration der Spinalnerven glauben und diese Forschung unterstützen. Sie wollen keinen neuen Körper, sondern sie wollen aus ihren Rollstühlen aufstehen. Ich kann den Wunsch gut verstehen, aber es wird in nächster Zukunft nichts geben, was diesen Leuten helfen kann. Eine Körpertransplantation wird aber innerhalb der nächsten zehn Jahre stattfinden, da bin ich ganz sicher.

Die Kopf- oder Körperverpflanzung ist ein Menschenexperiment.
Natürlich. Die gesamte Hirnchirurgie ist ein Menschenexperiment. Und trotzdem ist sie ab einem bestimmten Leidens-Stadium angemessen. Jede Chirurgie, die nach dem Tierversuch auf den Menschen angewandt wird, ist experimentell. Das war bei den ersten Herzverpflanzungen auch so. Jetzt sind Lunge und Niere dazugekommen, und man operiert am offenen Herzen. Ja, es gibt Leute, die daran gestorben sind; in den frühen Stadien, wenn man die Operationstechnik erst entwickelt, ist die Mortalität besonders hoch. Aber wir reden hier über eine Operation für ab dem Hals Gelähmte, deren Organe sukzessive versagen und die eine Lebenserwartung von drei bis sechs Monaten haben. Mit dieser Operation können sie ihr Leben möglicherweise verlängern. Sie können natürlich auch gleich sterben. Es ist ein Experiment, in der Tat. Selbst wenn es schließlich in einer erwähnenswerten Anzahl von Fällen erfolgreich ist.

Es gibt nach dieser Operation dann zwei Personen, die ein neues Individuum bilden: der eine spendet den Körper, der andere gibt seinen Kopf. Wer ist dieses neue Gebilde?
Ich frage Sie mal zurück: Wer ist denn die Person, die ein neues Herz, zwei Lungen, eine Leber und eine Niere von Organspendern erhält? In Pittsburgh pflanzen sie einem Patienten bis zu sechs Spender-Organe ein. Wer ist diese Person? Ich will es Ihnen sagen: das Gehirn ist das Wesentliche eines Menschen. Gegen diese Idee kann man nicht argumentieren. Wenn Sie eine Hand transplantieren, haben Sie dann auch zwei Personen? Gehört die Hand noch dem Spender? Ich glaube nicht. Das Ganze ist ein Problem unserer Vorstellungskraft. Wenn Sie einen Ganzkörper-Transplantierten sehen, dann denken Sie natürlich: wem gehört dieser Körper? Wer ist das? Das ist aber nur der visuelle Faktor. Lassen Sie uns doch zu den Fakten kommen: Sie sind, was Ihr Gehirn (brain) ist. Was Ihr Geist, Ihr Verstand (mind) ist. Die Katholiken sprechen immer davon, dass der Tod eintritt, wenn die Seele den Leib verlässt. Ich frage: geht ein Teil Ihrer Seele mit auf die Reise, wenn Ihre Lungen oder Ihre Niere transplantiert werden? Wacht der Organempfänger mit seiner eigenen Seele und einem Teil Ihrer Seele auf, weil ihm Ihre Leber eingepflanzt wurde? Wissen Sie, wir können mittlerweile ja auch Organe von Lebenden transplantieren. Verlieren die ihre Seele? Vergessen Sie nicht: wir werden Sie für tot erklären, wenn Ihr Gehirn nicht mehr arbeitet. Die Diagnose "Hirntod" ist gleichbedeutend mit dem menschlichen Tod. Ihr Herz kann weiterschlagen, Ihre Nieren weiterarbeiten, aber wenn Ihr Gehirn zerstört ist, wird die moderne Medizin Sie als Person für tot erklären.

Ich hoffe, mein Gehirn funktioniert einigermaßen und Sie lassen mir noch etwas Zeit.
Aber bitte, Sie sind doch ganz gesund. Trotzdem will mir scheinen, dass Ihr Gehirn der physikalische Aufbewahrungsort Ihrer Seele ist. Leider weiß ich nicht, wie sie sich da drin bewegt. Ich bin da Dualist: ich glaube, dass die Seele die physikalischen Möglichkeiten des Hirns nutzt, um menschliches Leben zu begründen. Der Rest Ihres Körpers ist nicht unbedingt notwendig; das sind Ausdehnungen im Raum, die dem Hirn helfen, Dinge besser zu verstehen und ihm zu Dienste zu sein.

Keine Ahnung, wo sich meine Seele gerade befindet. Sie aber sind Katholik und auch schon als Berater des Papstes tätig gewesen. Was hält denn das Oberhaupt der katholischen Kirche von Ihren medizinischen Visionen?
Ja, ich bin Katholik, und es ist eine große Ehre für mich, vom Heiligen Vater in die vatikanische Pontifikal-Akademie der Wissenschaften berufen worden zu sein. Wir haben noch nicht so genau über meine Forschungen geredet; aber ich habe eine Debatte über Organtransplantationen angeregt. Ich habe guten Kontakt zu Paul VI. gehabt, und mit Johannes Paul II. habe ich sogar noch viel mehr Zeit verbracht. Mit dem gegenwärtigen Papst habe ich oft über Molekular-Biologie, Genforschung, In-vitro-Fertilisation oder den Hirntod gesprochen. Auf meine Arbeit an der Hirn-Isolation und -Transplantation sind wir nie gekommen. Aber beide Päpste haben sich bei offiziellen Anlässen sehr lobend über meine Arbeit geäußert; und wenn der Vatikan oder der Papst etwas gegen meine Absicht hätten, eine Totalkörper-Transplantation durchzuführen, dann wüsste ich das sicher.

Was haben Sie als Chirurg vor Ihren Transplantations-Forschungen gemacht?
Alles mögliche. Standardoperationen der Hirnchirurgie, Tumorchirurgie zum Beispiel. Mich haben aber immer die Wirbelsäulenverletzungen interessiert, die mit Lähmung einhergehen. Tetraplektiker zum Beispiel. Leute, die sich ab dem Hals nicht mehr bewegen und nicht mehr fühlen können wie dieser Schauspieler, Mr. Reeve. Diese spinalverletzten Menschen sterben viel früher als normale Leute. Ihr Körper versagt.

Vielleicht wollen sie ja auch sterben. Ihr Leben scheint nicht besonders lustig zu sein.
Sagen Sie das nicht. Die haben endokrinologische Probleme, Organversagen und so weiter. Sie sterben wegen ihres Körpers, nicht wegen ihres Hirns. Solche Leute kommen zu mir und fragen: "Können Sie Ihre Operation auch am Menschen machen?" Aber ich bin nur ein Chirurg. Auch wenn wir mehr Erfahrung mit der Verpflanzung von Hirn- und Nervengewebe haben, brauchen wir immer noch so etwas wie öffentliche Anerkennung und sehr viel Geld. Die Gelähmten-Verbände in den USA setzen leider mehr auf die Forschung, die sich mit dem Rückenmark befasst. Dafür sammeln sie. Sie glauben tatsächlich, dass sie eines Tages aus ihren Rollstühlen aufstehen und wieder laufen werden. Ich wünsche Ihnen das von Herzen, aber ich glaube nicht daran. Einen Teil dieser Gelder würde ich schon gern für meine Forschung haben.

Was haben Ihre Versuchsaffen für Gefühle entwickelt?
Oh, natürlich haben sie gelitten. Aber sie haben nur Schmerzen vom Nacken an aufwärts gehabt; die Partie, an der der Halsschnitt stattfand, war unter Lokalanästhesie, und den neuen Körper können sie sowieso nicht fühlen. Es gibt keine Verbindung der Nervenbahnen, die Spinalnerven sind gekappt. Es wird später auch nur darum gehen, den Blutkreislauf zu regeln und die Organe arbeiten zu lassen. Also, Affen sind intelligente Tiere, sie haben sicherlich ihre Bewegungsunfähigkeit bemerkt. Bei der Sensorik bin ich mir nicht sicher; ich glaube nicht, dass sie das kapieren. Aber ich bin kein Affen-Psychiater, deshalb kann ich darüber wenig sagen. Die Tiere fühlten sich sehr unwohl - wenn man den Finger zu nah an ihre Mundhöhle bringt, dann ist der Finger weg. Sie haben das von ihnen bevorzugte Essen genommen und anderes verweigert, und sie haben Laute ausgestoßen und kommuniziert, indem sie Instrumente benutzten. Bei einer Menschenoperation würden wir darauf achten, dass der Patient dann auch sprechen kann.

In Ihrer Sichtweise ist das Gehirn die gesamte Person.
Das Gehirn ist alles. Der Rest ist nur zur Unterstützung da.

Also, der jeweilige Kopf ist der Überlebende.
Nicht unbedingt der Kopf. Wir könnten Ihnen auch einen neuen Schädel geben und Ihnen nur Ihr Gehirn lassen. Aber das ist äußerst kompliziert, das Hirn ist mit Ihren Augennerven verbunden und so weiter. Es müsste herausgenommen, gekühlt und elektronisch am Leben erhalten werden. Es braucht die Schädelnerven. Wesentlich ist für mich: nur das Gehirn hat die Fähigkeit, sich mit seiner Umgebung in Verbindung zu setzen. Das ist wichtig.

Würden Sie sich für eine Totalkörper-Transplantation zur Verfügung stellen, wenn Sie ab dem Hals gelähmt wären?
Ich würde das nicht tun. Aber nur wegen meines Alters. Alte Leute sind keine guten Kandidaten für so eine Operation, solange die nicht serienmäßig erprobt ist. Man sollte mit jungen Patienten beginnen. Jemand, der 35 ist und in den nächsten Monaten sterben müsste, für den wäre das eine Möglichkeit. Er hat auch eine bessere Überlebens-Chance. Man beginnt immer mit einer schmalen Population von Patienten, und dann verbessert sich die Technik. Die Humantransplantation gibt es erst seit 50 Jahren. Im 21. Jahrhundert werden alle wichtigen Organe durch Kunststoff-Implantate ersetzbar sein, durch Technologie. Man wird auch Tiere genetisch modifizieren und Menschen dann Schweineherzen, -nieren oder -lebern einpflanzen. Ich will nicht sagen, dass die von mir vorgeschlagene Totalkörpertransplantation in einigen Jahren zum Standardprogramm gehören wird. Aber sie wird in den großen Operationszentren in Europa und den USA erfolgreich ausgeführt werden.

Wieso glauben Sie, dass zivilisierte Staaten Ihre Operation erlauben werden?
Wir verlängern Leben. Ich meine, dass das Leben sich auf ein einziges Organ fokussiert, und das ist das Gehirn. Ihre Kognitionen, Ihre Erinnerungen sind nicht in Ihrem Finger oder in Ihrer Niere. Sie sind woanders. Manche Leute weigern sich, die Hirntod-Defintion zu akzeptieren. Das ist natürlich Unsinn. Selbst wenn Ihr Herz nicht mehr schlägt - Sie sterben daran, dass Ihr Gehirn nicht mehr mit Blut versorgt wird. Tatsache ist doch: In intaktem Zustand kontrolliert Ihr Gehirn alles, was Sie tun. Wenn Sie sich jetzt entscheiden, dieses Mikrophon auszuschalten, dann ist es Ihr Gehirn, das diese Entscheidung fällt. Die Hände haben damit nichts zu tun, sie sind nur Instrumente.

Gut, dann beenden wir also dieses Interview.
Das war Ihr Gehirn! Gott segne Sie. Ich hoffe, Sie können mit dem Zeug was anfangen.

Das Gespräch wurde geführt und aus dem Englischen übersetzt von Christian Gampert.

Zum Weiterlesen: Christian Jungblut: Mein Kopf auf deinem Hals. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2001.

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