FREITAG: Wie beurteilen Sie das neue Linksbündnis, das sich nach jetzigem Kenntnisstand "Demokratische Linke/PDS" nennt?
DETLEF HENSCHE: Wird das bestätigt, was letzter Verhandlungsstand ist, dann ist eine Plattform geschaffen, die vor der anstehenden Bundestagswahl Anziehungskraft entfesseln kann, namentlich auf die, die im Begriff sind, zu resignieren und sich zurückzuziehen. Damit ist jedoch nur eine Seite des Auftrags erfüllt - nämlich die Sperrklausel zu überwinden und in das Parlament einzuziehen. Die andere und im Grunde viel wichtigere Frage ist: Wie gelingt es, aus den beiden Zweigen WASG und PDS eine wirklich neue, Traditionalismen, Verkrustungen und die Enge der PDS überwindende gesellschaftliche und politische Kraft zu schaffen. Diese Frage ist noch nicht gelöst.
Sie haben sich für das "gemeinsame Dritte" - eine so genannte Wahlpartei - eingesetzt.
Wenn sich die Akteure jetzt schon darauf verständigt hätten - also darauf, schon zur Bundestagswahl als neue Kraft anzutreten -, wäre die Frage besser beantwortet. Nunmehr will man sich in den nächsten zwei Jahren zu einer neuen Partei vereinigen. Das gibt Hoffnung, doch noch ist diese Einheit nicht da. Ich habe den Eindruck, dass die Attraktivität eines linken Bündnisses mit dem Versprechen der Einheit steht und fällt. Die Vereinigung verspricht in gleicher Weise gesellschaftliche Breite wie Souveränität, um Zukunftsentwürfe vorzulegen - das ist mehr als eine angstbesessene Verteidigungsposition.
Für die von Ihnen favorisierte Variante "Wahlpartei" sei die Zeit zu kurz gewesen, ist aus der PDS zu hören. Es gäbe zu viele Unwägbarkeiten des Parteien- und Wahlrechts sowie der Parteifinanzen. Zu welchem Schluss kommen Sie?
Ich habe den Eindruck, das Projekt ist derzeit nicht gewollt. Um so notwendiger ist es, den Akteuren in den nächsten zwei Jahren Dampf zu machen. Ohne Druck bewegen sich Apparate nicht. Das Projekt "Wahlpartei" hätte der PDS einen großen Sprung abverlangt. Sie hätte mit Sicherheit vor großen Vermittlungsproblemen nach innen und außen gestanden. Die Zeit wäre kein Hindernis gewesen. Objektiv gab es weder organisatorische noch juristische Hürden, die man nicht hätte überwinden können.
Wahlforscher sagen, 18 Prozent wären für ein Linksbündnis möglich. In welchen Milieus könnten die nötigen Stimmen geholt werden?
Zunächst einmal wäre zu sagen, dass wir eine Wahlabstinenz quer durch die Bevölkerung haben. Es mag sein, dass unter den sozial Schwachen das Desinteresse geringfügig höher ist - doch generell ist die Verdrossenheit über den Politikbetrieb unabhängig vom sozialen Status weit verbreitet.
In NRW hat die SPD nur 64 Prozent ihres Potenzials ausgeschöpft. Der Rest ist nicht automatisch zur WASG oder PDS übergelaufen...
...aus dem Stand 2,2 Prozent für die WASG, das ist respektabel. Im Übrigen ist die WASG doch noch viel zu jung, um bereits ein eigenes Profil zu zeigen, und der PDS ist es in 15 Jahren nicht gelungen, über ihre ostdeutsche Identität hinauszuwachsen. Hier lag doch gerade der wesentliche Anstoß zur Gründung der WASG, weil es im Westen bisher keine wählbare linke Alternative zur SPD gab.
Sozialromantiker mit den Rezepten der Siebziger, unfähig zu moderner Politik, abgehalfterte Gewerkschafter - so schallt es der WASG aus dem Medienwald und der politischen Konkurrenz entgegen.
Wer sich mit der vermeintlichen Alternativlosigkeit neoliberaler Politik arrangiert hat, fühlt sich durch eine linke Alternative in seinem Weltbild gestört. Da mögen die von Ihnen zitierten Klischees von der Last eigenen Nachdenkens befreien. Und was die alten Rezepte angeht: In einer Zeit, in der die Wirtschaft im Rausch entgrenzter Märkte ihre eigenen Grundlagen zerstört, und eine zukunftsblinde Politik die öffentliche Infrastruktur verkommen lässt, sind keynesianische Vorsorge und die Wiederherstellung sozialer Bindungen hochmodern - moderner jedenfalls als der Steinzeitliberalismus des 19. Jahrhunderts.
Doch sagen auch Linke, wegen der Globalisierung könne man nicht mehr national argumentieren.
Das tut die WASG gerade nicht! Da rate ich doch, in ihr Programm zu schauen.
Der Wahlsieg von Angela Merkel scheint sicher, und schon hören wir, in der Opposition rücke die SPD wieder nach links. Allein deshalb sei das Linksbündnis obsolet.
Früher lernte ich, die Reformstunde der SPD schlage, wenn sie an der Regierung sei. Die SPD wird nur dann bereit sein, sich von der Agenda 2010 zu lösen, wenn sie eine relevante Größe links neben sich hat und Druck von außen spürt. Ich sehe allerdings in der SPD weit und breit keine Abteilung und kein Zentrum, die fähig wären, die Partei aus eigener Kraft zu reformieren. Otmar Schreiners Tun ist bewundernswert, doch er ist allein.
Bisher ist der Unterbau der WASG eher bescheiden. Was muss geschehen, damit eine mögliche parlamentarische Vertretung von einer sozialen Bewegung getragen wird?
Wenn sich die WASG beziehungsweise das Linksbündnis darauf beschränken, als Wahlverein 35 oder 40 Abgeordnete ins Parlament zu schicken, hat das Projekt seine Aufgabe verfehlt. Für die erfolgreiche Arbeit im Bundestag braucht die Fraktion eine konfliktbereite, bewegungsfähige, in der Gesellschaft verankerte Basis. Sie muss für den Ausbau eines freiheitlichen Sozialstaates Impulse setzen, ebenso für Themen wie Emanzipation und Geschlechterdemokratie, Ökologie, Friedenspolitik und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.
So gut es ist, dass im Parlament Stimmen gegen den herrschenden Dogmatismus laut werden, so unerlässlich ist es, in der Gesellschaft Augen und Ohren für eine alternative Politik zu öffnen. Dazu bedarf es einer Erneuerung der politischen Kultur. Das hat die PDS bisher nicht geschafft und wird es auch mit ihren traditionellen Bindungen nicht schaffen. Und eine unfertige WASG hat es noch nicht schaffen können.
Die WASG wurde vorzugsweise von Gewerkschaftern gegründet, so dass die soziale Frage Vorrang genießt. Was ist mit anderen Politikfeldern?
Es bilden sich in der WASG momentan verschiedene Plattformen, die sich darum kümmern. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac etwa ist durch Einzelpersonen in der WASG gut vertreten. Das Gespür für Friedenspolitik und die Gefahren der neoliberalen Globalisierung ist bei Attac am weitesten entwickelt. In Menschenrechts- und Bürgerrechtsfragen gibt es bei der WASG gleichfalls Leerstellen.
Haben die Grünen nach dem 11. September 2001 als Anwalt dieser Rechte versagt?
Das ist so. Wenn ich aber gewichten soll, sage ich, alles, was nach dem 11. September an Grundrechten ausgehebelt wurde, ist beängstigend, denken Sie an den gläsernen Menschen, die Überwachung des öffentlichen Raumes, die Missachtung des Datenschutzes und des Rechtsanspruches auf Hilfe in Notlagen, die für einen freiheitlichen Sozialstaat geboten ist. Der Sozialabbau zu Gunsten einer Armenfürsorge beinhaltet zwangsläufig repressive und obrigkeitsstaatliche Bedürftigkeitskontrollen und will Arbeitslose disziplinieren. Wer den Sozialstaat aushebelt, stärkt zwangsläufig den repressiven Staat.
Nur war der Widerstand der Gewerkschaften bisher kaum von Erfolg gekrönt. Wie kommt das Land zu einer mächtigen sozialen Bewegung?
Genau das ist eine der Aufgaben einer neuen politischen Kraft, selbstverständlich bleibt das auch eine Aufgabe für die Gewerkschaften. Dass es derzeit nur punktuellen Protest gegen die Demontage des Sozialstaates gibt, ist unter anderem deren Versäumnis. Vor einem Jahr haben sie gezeigt, dass sie hörbar sind, dann wurde die Sommerpause ausgerufen. Doch eine soziale Bewegung ohne Gewerkschaften - das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Das Gespräch führte Günter Frech
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