Das Gemeinsame ist der Geldbeutel

Gastbeitrag Verteilungsfragen stechen Identitätsfragen: Wenn die LINKE in diesem Wahljahr wieder zweistellig werden möchte, muss sie mehr Materialismus wagen
Linke Politik muss zusammenführen. Die Malocher, die wahren Leistungsträger: den Fahrradkurier und die DHL-Fahrerin
Linke Politik muss zusammenführen. Die Malocher, die wahren Leistungsträger: den Fahrradkurier und die DHL-Fahrerin

Foto: David Gannon/AFP/Getty Images

Unter dem Eindruck und den Verheerungen der Corona-Pandemie wurde in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Wahlsaison eröffnet. Die Ergebnisse wecken Phantasien über eine Zeit ohne Angela Merkel, gar über eine Bundesregierung ohne Union. Andererseits sind die Ergebnisse der LINKEN in beiden Abstimmungen ungeeignet, um in diesen arithmetischen Farbenspielen vollmundig mitzumischen. Gleichwohl kamen die Ergebnisse mit Ansage.

Die Pandemie ist auch eine Krise der Widersprüche. Am sichtbarsten wird dies auf dem ökonomischen Feld. Die Börsen sind im März 2020 in den Schockmodus verfallen. Der Dax, der Dow Jones – alle haben harte Verluste erlitten. Seitdem geht es steil bergauf, von Rekord zu Rekord. Aktienmärkte profitieren von dem Geld, das die Regierungen zur Stützung der Wirtschaft bereitstellen, den Anleihekäufen der Zentralbanken und dem Geld der Sparer, die angesichts wegradierter Zinsen keine Alternative sehen. Während die einen nicht wissen wohin mit dem, was sie nicht brauchen, kommen die anderen kaum über die Runden.

Rekorde an den Börsen und mehr Milliardäre. Rekorde bei Kurzarbeit, steigende Arbeitslosigkeit und zigtausend aufgeschobene Insolvenzen. Diese Krise treibt Menschen vor allem im unteren Teil der Einkommensskala in die Verzweiflung. Dies bildet sich aber nicht in den Ergebnissen vom Sonntag ab. Drei Prozent der Arbeiter haben die LINKE gewählt – und das in der größten ökonomischen Krise der vergangenen Jahrzehnte. In der Bankenkrise und im darauffolgenden Bundestagswahlwahlkampf 2009 war dies deutlich anders.

Die Mieterhöhung schert sich nicht um Hautfarbe

Von Marie Curie stammt das schöne Zitat: „Man merkt nie, was schon getan wurde, man sieht immer nur, was noch zu tun bleibt.“ Ohne auf die Unfähigkeit von Merkel, Spahn oder Altmaier bei der Pandemiebekämpfung einzugehen, folgt daraus ein Auftrag an die LINKE, in den Erfolgsmodus umzuschalten. Dafür muss sie in das Schaufenster ihrer Politik die Themen stellen, die eine Mehrheit in diesem Land attraktiv findet. Die attraktivste Währung in der Politik ist: Sicherheit! Materielle Sicherheit und die begründete Hoffnung: „Es wird besser!“

Wolfgang Thierse hat in der Esken-Kühnert-SPD eine heftige Debatte über Identitätspolitik ausgelöst: „Große Teile der Arbeiterschaft haben wir schon verloren.“ Uns soll es an dieser Stelle nicht um einen weiteren Aufguss gehen. Die Grundfragen wurden auch bei uns vielfach gestellt. Jetzt geht es um einen Lösungsvorschlag mit Blick auf die Bundestagswahl. Die LINKE muss mit einer Politik für den Geldbeutel verbunden werden – und zwar für all diejenigen, denen Angst und Bange wird, wenn sie an den Lohn, die Miete, die Stromrechnung oder an das Alter denken – völlig unabhängig von Identitätsfragen.

Wo die Frage nach der Identität, das ständige Auf- und Abwerten die Milieus entzweit, führt (monetäre) Anerkennung und Sicherheit zusammen und kühlt die kulturelle Polarisierung runter. Die Mieterhöhung schert sich nicht um Hautfarbe oder sexuelle Orientierung und kommt ohne Gendersternchen in den Briefkasten. Existenzangst ist gemeinsame Identität.

Linke Politik muss zusammenführen. Die Malocher, die wahren Leistungsträger! Diejenigen, die sich als DHL-Fahrer oder Pflegerin aufreiben und als Dank im Alter eine Hartz-IV-Rente bekommen. Die immer schon Deutschen und die, die es nie werden wollen. „Verbindende Klassenpolitik“ nennen dies einige, wählen allerdings bevorzugt Aspekte aus Themen, die dazu kaum geeignet sind, weil sie nicht verbinden. Erinnert sei an die Debatten um die Migrationspolitik oder den angeblich strukturellen Rassismus in der Polizei. Ein Maximum an Einwanderung und ein Minimum an Polizei, ist sicherlich keine Position, die verschiedene Milieus zusammenbringt und Stimmen maximiert. Vor allem bei denen nicht, die täglich unter sozialer und kultureller Deklassierung leiden.

Mehr Materialismus wagen

Angela Merkel wurde stets gerühmt dafür, dass sie Politik vom Ende her denke. Aber politische Angebote müssen im Hier und Jetzt liefern. Selbstverständlich können wir den sozialökologischen Systemwechsel begründen. Aber vor dem Systemwechsel – der in der Krise Panik erzeugt – stehen für viele andere Fragen. Dies bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass wir uns anmaßen zu entscheiden, welche gesellschaftlichen Debatten geführt werden, sehr wohl aber, welche Angebote von einer LINKEN gemacht werden müssen und an wen zunächst.

Wir müssen wieder mehr Materialismus wagen! Einen Materialismus, der realistisch und glaubwürdig ist, den uns die Menschen abnehmen. Die Mehrheit in diesem Land verdient zu wenig und zahlt zu viel. Das sollte der Ansatz sein, an dem sich unsere Politik ausrichtet. Die Mehrheit – die Krise verschärft das – hat zu wenig Einkommen (Arbeitnehmer, Selbstständige, Rentner, Sozialleistungsbezieher) und gleichzeitig zu hohe Kosten (Steuern, Abgaben, Miete, Energie, Lebensmittel). Der Geldbeutel dieser Leute – und nicht ihre Identität – sollte die Richtschnur unserer Politik sein, an der sich nahezu alle Themen durchdeklinieren lassen. Er ist der Inbegriff der sozialen und ökonomischen Fragen, die die Basis unserer Politik sein müssten. Der Geldbeutel eint, Identitätsfragen spalten. Da geht es nicht um Lifestyle, sondern um Sorgen, die die Mehrheit teilt – unabhängig von Herkunft und Identität. Eine Mehrheit, zu der „Minderheiten“ gehören, da gerade sie mit Niedriglohn und einem entkernten Sozialstaat konfrontiert sind. Eine Politik, der es um die Portemonnaies der kleinen Leute geht, bedeutet einen materialistischen Zugang zu Themen wie Race, Gender und Klimaschutz, der in vielen Debatten zu kurz kommt.

Warum ist der Lohn so niedrig? Wann gibt es eine Rente, die zum Leben reicht? Wie hoch muss die Grundsicherung sein? Warum sind Steuern und Abgaben für Normalverdiener so hoch? Wann werden die Mieten gesenkt und warum hat Deutschland weltweit mit die höchsten Energiepreise? Das sind die Fragen, die wir für einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf in den Mittelpunkt rücken sollten. Sie betreffen die, die uns brauchen! Mehr Brutto und mehr Netto vom Brutto! Mehr Geld und mehr Sicherheit! Dafür steht DIE LINKE. Das vereint und mobilisiert – welcher Identität auch immer.

Die Grünen setzen vor allem auf einen atmosphärischen Wahlkampf, in dem materielle Fragen kaum eine Rolle spielen. Diese würden auch klare Aussagen verlangen. Ein Wahlkampf, der aber nur um die Frage Habeck oder Baerbock kreist und sich alle Optionen offen hält, ist angreifbar. Wir sollten nicht versuchen, die besseren Grünen zu sein. Gewählt wird stets das Original. Wer mit Söder koalieren würde und sich um materielle Fragen kaum schert, hat keine Kopie verdient, sondern maximalen Gegenwind von links.

Die Nachfrage einer Politik für den Geldbeutel ist groß, das zeigen alle Umfragen. Wir müssen das Angebot dafür verstärken, weil es viel zu sehr Leerstelle der Politik ist, insbesondere für Nichtwähler und diejenigen, die kaum noch etwas aus Berlin erwarten. Die koalitionspolitische Beliebigkeit der politischen Gegner und ein Wahlkampf, in dem wir uns als Anwältin der kleinen Leute neu profilieren, könnten DIE LINKE im Herbst stärker machen als aktuell viele meinen. Wir könnten nach zwölf Jahren wieder zweistellig werden.

Malte Heidorn und Jan Marose sind Mitglieder der Partei DIE LINKE

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