Das Glücksversprechen des Geldes

Kommentar Ist die Welt voller Zocker und Spieler – wie die Occupy-Bewegung glaubt? Schön wär’s! Verteidigung einer schwer beschädigten Figur

„Ich will mein Geld zurück“ ist eigentlich ein typisch deutscher Satz. Wer das Pech hat, in einem Kundencenter zu arbeiten, bekommt ihn täglich zu hören. Wohl kein Volk der Welt ist ähnlich geduldig und verbissen, wenn es um Warenumtausch und Reklamation geht. Während man in anderen Breiten Dinge erwirbt, um sie zu benutzen oder zu genießen, kauft man sie hierzulande, um Fehler an ihnen zu entdecken, die es erlauben, sie gegen Erstattung des Preises zurückzugeben.

Auch Schadensersatzforderungen stehen bei den Angehörigen der Nation, die es bis heute als Zumutung ansieht, für die eigenen Verbrechen Entschädigungen zu zahlen, hoch im Kurs, Rechtsanwälte können ein Lied davon singen. Ob der Hintermann im Berufsverkehr die Stoßstange beschädigt oder das Hotel am Mittelmeer schmutziger ist als erwartet – immer verlangen die Landsleute Schadensersatz, wo eine Entschuldigung es ebenso tun würde. Inzwischen steht aber auch auf den Plakaten der Demonstranten, die im Rahmen ihrer Proteste gegen „die Börse“ das Areal des zer­störten World Trade Centers umlagern, „I want my money back“.

Wohin es wohl verschwunden sein mag, all das Geld, das keiner mehr hat, aber jeder dem anderen schuldet? Die Antwort darauf hatte manch einer schon ein paar Wirtschaftskrisen früher parat: Es wurde „verzockt“ von „Spekulanten“, die so anmaßend sind, Geld nicht als Besitz zu behandeln, sondern als das allgemeine Äquivalent, als das es tatsächlich fungiert. Deshalb kann sich Geld im Gegensatz zu Gebrauchsgegenständen oder Konsumgütern, die sich mit seiner Hilfe kaufen lassen, gleichsam von selbst vermehren, ohne dass derjenige, der davon profitiert, dafür arbeiten muss. Ein wunderbares Phänomen, von dem ein Glücksversprechen ausgeht, das die bereits von Charles Baudelaire und Walter Benjamin mit Faszination beschriebene Halbwelt der Spieler so attraktiv macht. Wer erfolgreich spielt, verdient sein Geld nicht durch produktive Arbeit, sondern durch zweckfreie Verausgabung, und schlägt noch Lustgewinn daraus, zuzusehen, wie sich mittels des Geldes das Geld vermehrt. Das macht ihn freilich für andere zum Skandalon.

Halluzination

Anders als der produktive Arbeiter, der sich nicht unter Wert verkaufen möchte und es doch ständig tut und darauf pocht, als Kompensation für seine verausgabte Kraft und Lebenszeit „einen Schluck aus der Pulle“ zu bekommen, wie der Gewerkschafter die notwendig unzureichende Lohnerhöhung nennt, riskiert der Spieler aber auch viel. Wenn er nicht weiß, wann er aufhören muss, kann er alles mit einem Schlag verlieren. Doch selbst für diesen Verlust wird er durch die Lust an der Waghalsigkeit entschädigt. Sie entspringt der Einheit von Experiment und Kalkül, die sein Handeln bestimmt. Der Spieler ist kein besinnungsloser Verschwender; er folgt einer eigenen Rationalität, die er der Rationalität des Marktes gegenüberstellt und die doch aus dieser selbst entspringt.

Diese Lust missgönnt ihm das Heer der Sparer und Kleinverdiener, die wütend werden, sobald jemand mehr bekommt, als sie verdienen. Die Übermacht der Zocker, durch die sie sich bedroht wähnen, ist eine Halluzination. Tatsächlich sind die Neider die wahren 99 Prozent. Ihre Wut macht sie blind für die Utopie des Geldes. Dass die freie Welt ein Ort glücklicher Spieler wäre, wo jeder, wirklich jeder, alles bekommt, ohne es sich verdient haben zu müssen, fällt ihnen nicht mal im Traum ein.

Magnus Klaue ist Germanist. Im Freitag schrieb er zuletzt über Dyslexie bei Kindern

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