Das Worst-Case-Szenario scheint für Kanzlerin Angela Merkel vorerst vermieden worden zu sein, die unwiderrufliche Abwahl der CDU in Hessen hat nicht stattgefunden. Die Propheten können trotzdem triumphieren: Die herben Verluste, die CDU und SPD im Vergleich zur letzten hessischen Landtagswahl kassiert haben, zeigen: Sie haben sich nicht geirrt.
Eine Landtagswahl findet als Bundespolitikum statt. Die Große Koalition hat bei der Wahl in Hessen um die 20 Prozentpunkte verloren. Solange die Lage in Berlin so ist, wie sie ist, solange die Mehrheiten für die Koalition aus CDU/CSU und SPD schwinden, werden derartige Voten zur plebiszitären Gelegenheit umfunktioniert. Es ist von einem „Denkzettel“ die Rede, und der dürfte die SPD noch tiefer ins Tal der Tränen stürzen: Sie hat in Hessen ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit 1946 erreicht.
Zwar war über einen Landtag zu entscheiden, doch die Bundesregierung war gemeint – oder zumindest mitgemeint. Der Demokratie kann das nicht zugute kommen, wenn die Wähler nur bedingt meinen, wofür sie stimmen. Diesem Dilemma ließe sich entgehen, würde man sich endlich dazu durchringen, zwischen den Bundestagswahlen bei höchstens zwei Terminen die Landtage aller Bundesländer zu wählen. Es ließe sich dem Modus des permanenten Wahlkampfs entgehen. Sollte die Große Koalition im nächsten Jahr noch regieren und sich an ihrem Personal nichts Wesentliches geändert haben, dürfte diese Umwidmung auf die Spitze getrieben werden: Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September und in Thüringen am 27. Oktober.
Schwelender Richtungsstreit
Für die Strategie, die die Union im Umgang mit der AfD wählt, ist weiterhin nichts entschieden. In Bayern wurde die CSU für ihre Imitation der Rechtsaußenpartei abgestraft, in Hessen hat eine CDU, die sich liberaler gibt, massiv an Grüne und AfD verloren. Bei der SPD dürften die Rufe nach einem Ausstieg aus der Großen Koalition in Berlin nach diesem Wahlabend in Hessen noch lauter werden. Und es werden sich die Stimmen mehren, die darauf hoffen, dass mit einem Abschied von Horst Seehofer als Innenminister das Regieren mit der Union weniger störanfällig macht. Das dürfte angesichts des schwelenden Richtungsstreits in der Union, bei dem der SPD die undankbare Rolle des Zaungasts zukommt, ein Trugschluss sein. Eigentlich will die SPD ihren Verbleib in der Großen Koalition nach der Hälfte der Wahlperiode überdenken, so sieht es der Koalitionsvertrag vor. Mittlerweile muss man sich fragen, ob es nach den Wahlen in Ostdeutschland dafür nicht längst zu spät sein könnte.
Auf jeden Fall ist der Wähler kein Mysterium, wie das Meinungsforscher gerne behaupten, sondern um Auskünfte nicht verlegen. Nur noch 27 Prozent für die CDU in Hessen (2013: 38,3). Damit ist Ministerpräsident Volker Bouffier in der Wählergunst heftig nach unten durchgereicht, aber nicht derart eklatant abgestraft worden, wie das zuletzt den Anschein hatte.
Schicksalswahl?
Die Grünen liegen bei knapp 20 Prozent (2013:11,1) und lieferten sich in den Hochrechnungen lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD um Platz 2. Sie konnten in dem Maße zulegen, wie die Christdemokraten verloren haben, obwohl beide Parteien das Kabinett in Wiesbaden in gleicher Weise – wenn auch mit verschiedenen Anteilen – getragen haben und das nicht selten als gemeinsame Erfolgsgeschichte hofiert haben. Auch in Hessen wurde damit der Bundestrend bestätigt: Die Grünen profitieren von der Schwäche der Konkurrenz – neben der CDU, vorrangig der SPD. Das Verhaltensmuster der Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck – ein bisschen mit- und dazwischen reden, ansonsten abwarten – hat sich ausgezahlt und wird sich weiter auszahlen, wenn Kanzlerin Angela Merkel an der Regierungs- und Andrea Nahles an der SPD-Spitze in stoischer Selbstbehauptung verharren.
Wenn diese Hessen-Wahl eine Schicksalswahl war, dann eher für die SPD. Tatsächlich kann Volker Bouffier mit den Grünen wohl weiterregieren, wenn auch nur mit knapper Mehrheit.
Denkbar wären ebenso Allianzen aus CDU und SPD, ebenfalls mit einer hauchdünnen Mehrheit, oder ein Jamaika-Bündnis. Letzteres hätte eine komfortable Mehrheit. Die AfD zieht mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag in Wiesbaden ein, sodass die Rechtsaußen-Partei nun in allen Landtagen der Bundesrepublik vertreten ist.
Nahles unter Druck
Neben allen eilfertigen Spekulationen über die Konsequenzen für Berlin sollte daran erinnert werden, dass die Kanzlerschaft von Angela Merkel die Bedingung der SPD war, sich an dieser Koalition überhaupt zu beteiligen. Entfällt die, wäre das ein Grund, die ungeliebte Regierungsallianz zu verlassen. Nur kann CDU und CSU kaum daran gelegen sein, durch einen Kanzlerinnensturz für den Sturz der Regierung zuständig zu sein. Schwer vorstellbar, dies bei Neuwahlen honoriert zu bekommen. Vor allem – mit wem an der Spitze? Am kommenden Wochenende wird eine Klausurtagung der CDU-Führung stattfinden, dazu ein Spitzentreffen der SPD. Die CDU will ihren Wahlparteitag im Dezember vorbereiten, bei dem Merkel, wie man seit Anfang der Woch weiß, nicht erneut als Parteivorsitzende kandidieren will. Die SPD-Führung will einen Fahrplan für ihre Präsenz in der Großen Koalition vorlegen, sie könnte damit Bedingungen stellen, die ihrem Regierungausstieg den Weg bereiten.
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