Kasachstan Touristen lieben das neuntgrößte Land der Erde, weil die Natur dort noch so unberührt ist. Nun aber soll mitten in einem Naturpark ein gigantisches Skigebiet entstehen
Die Bergwelt von Almaty empfiehlt sich zu jeder Jahreszeit als Postkarten-Motiv
Foto: Image-Broker/Imago
Die Millionenstadt Almaty versinkt im täglichen Autochaos und der omnipräsenten Smogwolke. Wenn man in einem alten Daewoo-Bus – katalysatorfrei wie die meisten Autos – aus der Stadt hinaus und hinauf ins Naturschutzgebiet Ile Alatau fährt, werden die monumentalen Gebäudekomplexe jäh weniger – nun zieren Villen die Gegend, idyllische Kurven führen in die Berge.
Eine Legende besagt, dass Vernyj, wie Almaty in seiner Gründungszeit hieß, einst als grüne Oase im rauen Steppenland lag. Auch der heutige Naturpark außerhalb der Stadt ist ein regelrechtes Paradies. Doch es gibt Ärger um dieses Refugium: Im Oktober 2011 schreckte eine Zeitungsmeldung Umweltschützer auf. Es hieß, dass die Wirtschaft diversifiziert und d
iert und deshalb der Tourismus in Kasachstan angekurbelt werden solle. Dafür werde man auf dem Plateau Kok Zhailjau bei Almaty ein Skigebiet mit 500 Kilometern Pistenlänge errichten, das für 30.000 Arbeitsplätze sorgen und eine Million Touristen anziehen werde.Kasachstan ist mit 2,7 Millionen Quadratkilometern das neuntgrößte Land der Erde. Von Ost nach West erstreckt es sich auf 2.800 Kilometer, die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 1.600 Kilometer. Das Land ist so groß, dass Spanien, Portugal, Frankreich, die Benelux-Staaten, Italien, Österreich, die Schweiz, Deutschland, Schweden, Dänemark und Großbritannien auf seinem Territorium Platz fänden. Etwa 95 Prozent der Touristen kommen im Frühjahr und Sommer hierher und interessieren sich vorrangig für Ökotourismus. An Kasachstan reizt das Unberührte – die Weiten der Steppe, die Höhen der Berge und die Artenvielfalt. Dafür nimmt man eine zeitraubende Anreise, hohe Kosten und die aufwendige Visa-Beschaffung in Kauf.Die Deutsche Dagmar Schreiber arbeitet seit 1994 in Kasachstan – sie schrieb den bisher einzigen deutschsprachigen Reiseführer und organisiert Öko-Reisen durch das Land wie in angrenzende zentralasiatische Staaten. Schreiber erinnert sich an die krisengeschüttelten neunziger Jahre, kurz nach der Unabhängigkeit. Damals wurde – direkt vor den Toren Almatys – die Gebirgslandschaft unter Schutz gestellt, sodass der Nationalpark Ile-Alatau entstehen konnte. In ihm lagen die legendären Wildapfelgehölze, die der Stadt – Vater der Äpfel – ihren Namen gaben. Ile-Alatau zog sich über Steppenvorberge und alpine Matten bis zu den Gletschern in 5.000 Metern Höhe. Das Terrain bot Pflanzen- und Tierarten Schutz wie dem vom Aussterben bedrohten Schneeleoparden. Hier konnten sich die Einwohner der Metropole erholen. Schon damals war kontrollierter Tourismus erlaubt und erwünscht, freilich mit der Maßgabe, dass touristische Infrastrukturen nur temporärer Natur sein durften und nach der Saison wieder entfernt werden mussten. So gab es in den Sommermonaten Jurten-Siedlungen, Bistros und Kioske, die im Winter wieder verschwanden.Die Wirtschaft wächstAls die Nationalwährung Tenge Jahre später abgewertet wurde, stimulierte das die Ökonomie und erste Pläne, sich dem Tourismus als Wirtschaftszweig zu widmen. Die Randlagen der Stadt – darunter Täler, die zum Nationalpark gehören – begannen sich zu verändern. Immer mehr prächtige Villen, die nicht als nur temporäre Behausung gedacht sein konnten, bestimmten das Bild. 2004 bescherte Almatys neuer Bürgermeister Imangali Tasmagambetov der Stadt einen bis dato unbekannten Bauboom. An der südlichen Peripherie wurden systematisch die berühmten Apfelplantagen abgeholzt. Das grüne Gesicht Almatys verblasste zusehends, natürliche Luftschneisen wurden verbaut, und die Stadt schaffte es langsam unter die Top Ten der Metropolen mit der höchsten Feinstaubbelastung.Immer im Sommer findet die Alpiniade auf Kok Zhailjau statt. Es gilt, auf einem Wanderweg durch Wald und freies Feld bis zum Plateau auf 3.000 Meter Höhe hinaufzusteigen. Dass ein solches Sportereignis in diesem Jahr auch Protestaktion sein sollte, merkte man an der regen Teilnahme von Journalisten und Almatinern aus allen Altersschichten, die hochmotiviert, mehr oder minder durchtrainiert neben den gestählten Athleten den Berg hochkrebsten. Sie trugen weiße T-Shirts mit der Aufschrift: Retten wir Kok Zhailjau.Im Mai hatte ein Wirbelsturm im Tal der Kleinen Almatinka Zehntausende Bäume vernichtet, besonders die allein in Kasachstan und China wachsenden Tienshan-Fichten. Experten schließen nicht aus, dass diese ungewohnten Windverhältnisse im Tal erst entstehen konnten, nachdem für das neue Skigebiet und seine Seilbahnen erste Schneisen geschlagen worden waren.Erstmals in der Geschichte Kasachstans gibt es seit Herbst 2011 eine Verwaltung, die sich ausschließlich um den Tourismus kümmert. Ihr Vorsitzender ist Bachytshan Zhulamanov. Er hatte zuvor die Almatiner Kommunale Immobilienverwertungsgesellschaft Almaty Zher geführt, die sich durch unsinnige und unsoziale Enteignungen einen schlechten Ruf erworben hat. Zhulamanov, der im Volke gern Zhulik (Gauner) genannt wird, beauftragte die französische Firma Dianeige mit der Entwicklung der Skianlage. Das Unternehmen scheint über die Auflage, nur eine temporäre Infrastruktur in Nationalparks errichten zu dürfen, nicht informiert zu sein. Neben kilometerlangen Skipisten und mehreren Seilbahnen sollen auch zahlreiche Chalets und Golfplätze gebaut werden. Diese brauchen eine eigene Strom- und Wasserversorgung sowie Abwasserentsorgung. Was wird also von der Natur bleiben, die doch bislang die meisten ausländischen Touristen nach Kasachstan lockte?„Millionen Menschen fahren in fremde Länder, um sich zu erholen! Warum nicht auch nach Kasachstan?“, gab Zhulamanov im kasachischen Fernsehen zu bedenken, fügte dann aber zerknirscht hinzu: „Ja, zugegeben, Kasachstan hat keine Meere und keine antiken Denkmäler.“ Was kann man also den Touristen bieten? Einige Megaprojekte liegen nach der Immobilienkrise 2008 auf Eis, etwa das gigantische Casino- und Vergnügungsresort Zhanga Ile, genannt „Kaz Vegas für 200.000 Gäste“. Nur noch die „kasachische Schweiz“ bei Borowoje, 200 Kilometer nördlich der neuen Hauptstadt Astana, wo ein Skiresort entstehen soll, wird im Augenblick wegen der Nähe zur touristisch unterversorgten Hauptstadt forciert entwickelt.Es formiert sich Widerstand. Gruppen von Umweltfreunden sammeln sich um die ökologische Gesellschaft Green Salvation, einer Nichtregierungsorganisation unter Leitung von Sergej Kuratov, der Biologen, Geografen und Juristen angehören. Ein offener Brief an den Präsidenten Nursultan Nasarbajev, an das Parlament und etliche Ministerien wurde inzwischen von etwa 3.000 Personen unterschrieben. „Für einen autokratisch geführten Staat, in dem politisch Andersdenkende wie der gerade aus dem Gefängnis entlassene Regisseur Bolat Atabajev verfolgt werden, ist das ein großer Erfolg“, meint Dagmar Schreiber.Aus nationalem InteresseEinige Medien, Blogs und politische Foren wie das Institut politischer Entscheidungen stellten sich gegen die mächtige, gut organisierte Tourismus-Lobby, die bis in höchste Regierungskreise reiche. Der Widerstand sei auch deshalb so groß, „weil man die Einwohner nie gefragt hat, welchen Tourismus sie überhaupt wollen. Die Entscheidungen werden hinter verschlossenen Türen gefällt“, sagt Schreiber. Skiabfahrt sei zweifellos elitärer Tourismus – die Verpistung der Berge für zahlende Gäste drohe die letzten zugänglichen Gebiete zu erfassen, in denen sich einkommensschwache Kasachen erholen könnten.Green Salvation und die Gegner des Megaprojektes wissen, dass das Skigebiet in jeglicher Hinsicht unrentabel ist. Wirtschaftlich trägt sich das Projekt nicht, weil Kasachstan nach wie vor kein Tourismusland ist. Das harte Klima ist keine Empfehlung für einen florierenden Massentourismus. Hotels und Chalets könnten demzufolge leer bleiben oder irgendwann privatisiert werden. Auch steht für eine künstliche Schneeerzeugung nicht genug Wasser zur Verfügung, sollten die Schneemengen nicht ausreichen. Aus ökologischer Sicht erhöht sich zudem die Lawinen-Gefahr, und das schon hohe Tempo der Gletscher-Abschmelzung in Mittelasien könnte sich noch beschleunigen. Thomas Tennhardt, Vizepräsident des NABU, und Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises, weisen in einem Brief an Präsident Nasarbajev darauf hin, dass man mit den Tourismus-Projekten die Artenvielfalt gefährden werde. Eine Skianlage könne verhindern, dass der Nationalpark Ile-Alatau zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt werde.Bislang bewegt sich der Widerstand streng auf dem Boden des Gesetzes. Doch zeichnet sich eine Radikalisierung ab. Gründe gibt es dafür genug. Da ist zum einen die komplette Ignoranz nicht nur der öffentlichen Meinung, sondern auch offizieller Instanzen. Das Komitee für Forst- und Jagdwirtschaft erklärte Anfang 2012 beispielsweise als Antwort auf den Brief von Green Salvation, dass niemand die Absicht habe, ein Stück Nationalpark für ein Skigebiet zur Verfügung zu stellen.Wenig später jedoch wurde im Parlament eine Novelle des Gesetzes über Naturschutzgebiete beschlossen. Daraus ergab sich, dass bei „touristischen Projekten in nationalem Interesse“ eben doch von der Regelung abgewichen werden könne, nur temporäre Infrastruktur in Nationalparks zu erlauben. Somit ist der Bau von Hotels und Straßen legitim.Für Misstrauen sorgte ebenso, dass im Frühjahr die Regierung umgebildet und das neu geschaffene Komitee für Tourismusindustrie dem Ministerium für Industrie und Neue Technologien angegliedert wurde. Die Verwaltung des Gebietes Almaty – zu ihr gehört der Nationalpark Ile-Alatau formal – erklärte sich zudem damit einverstanden, einen Großteil des potenziellen Ski-Areals unter die Hoheit der Stadtregierung von Almaty zu stellen.Die Legende von Vernyj, wie Almaty in seiner Gründungszeit hieß, besagt, dass derjenige, der einen einzelnen Baum rodete, öffentlich ausgepeitscht wurde. Das galt bis Ende des 19. Jahrhunderts. Was geschieht mit denen, die zulassen, dass ein ganzer Naturpark zerstört wird?
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