In einem Büro des Uno-Sonderbauftragten in Zagreb hing während des bosnischen Krieges der Spruch: "Who understands the Bosnian problem has not yet been fully briefed." Da war wieder ein Bosnien-Versteher da angekommen, wo sie alle enden: in der Paradoxie. Besonders oft werden Grenzgänger die tragischen Helden einer solchen Sinnsuche, Österreicher vor allem, die ja an der Schnittstelle der Kulturen leben. Immer versuchen sie, den Rest der Welt glauben zu machen, sie hätten den Balkan verstanden. Aber soweit sie ihn erklären können, klingt es wie eine Uno-Depesche, und wenn sie wirklich etwas verstanden haben, sind sie Teil des Problems und können nichts mehr erklären. Man weiß es also nicht. Trotzdem sind seit 1995 Regalmeter von Bücher
Uno-Sonderbauftragten in Zagreb hing während des bosnischen Krieges der Spruch: "Who understands the Bosnian problem has not yet been fully briefed." Da war wieder ein Bosnien-Versteher da angekommen, wo sie alle enden: in der Paradoxie. Besonders oft werden Grenzgänger die tragischen Helden einer solchen Sinnsuche, Österreicher vor allem, die ja an der Schnittstelle der Kulturen leben. Immer versuchen sie, den Rest der Welt glauben zu machen, sie hätten den Balkan verstanden. Aber soweit sie ihn erklären können, klingt es wie eine Uno-Depesche, und wenn sie wirklich etwas verstanden haben, sind sie Teil des Problems und können nichts mehr erklären. Man weiß es also nicht. Trotzdem sind seit 1995 Regalmeter von BXX-replace-me-XXX252;chern über den schlimmsten Krieg in Europa seit 1945 erschienen. Nur bemühen sich deren Autoren meistens gar nicht erst um Verständnis. Die einen ordnen viele hoch tönende Abstrakta an einander: Multikulturalität, Identität, Souveränität. Ihnen kann man wenigstens zubilligen, dass sie es gut meinen. Die anderen diskutieren ihre eigenen historischen Verdauungsprobleme am untauglichen Beispiel Bosniens: Da geht es um den Sozialismus, um das Verhältnis der französischen Intellektuellen zu Mitterrand, die Rolle Deutschlands in der Welt oder einfach um Rechts oder Links oder Gut und Böse. Bei Juli Zeh ist es anders, und man darf getrost sagen: nur bei Juli Zeh. Die junge, 1974 in Bonn geborene Autorin, die jetzt in Leipzig lebt, ist einfach nach Bosnien gereist, um "nachzusehen, ob das Land mitsamt der Kriegsberichterstattung von der Erdoberfläche verschwunden ist". Mitgenommen hat sie einen Hund und einen Rucksack. Ihre Reisereportage ist gründlich unverkitscht, gescheit und gedankenreich und in der wunderbar lapidaren und prägnanten Sprache erzählt, die schon ihren Roman Adler und Engel auszeichnet. Zeh schaut genau hin, hört genau zu und vergisst auch nie, sich selbst genau zuzuhören und anzuschauen. Alle bosnischen Zitate sind korrekt! Sogar die Hac?eks und Akzente stehen an der richtigen Stelle! Soviel Ehre hat noch kaum jemand dem Lande angedeihen lassen. Vorurteile hat die Autorin keine im Gepäck, auch keine abgestandenen Kulturtheorien, wie sie andere nach Balkanreisen aus dem Koffer holen und uns als originelles Souvenir andrehen wollen. Zeh ist mit Fragen nach Bosnien gereist, wie sie einfacher und schwieriger nicht sein könnten: Wer hat gegen wen Krieg geführt und warum? Sie ist jungen Bosniern begegnet, einem französischen Presseoffizier und einer amerikanischen Mitarbeiterin des "Hohen Repräsentanten", hat Sarajevo besucht, Mostar, das aus Funk und Fernsehen nicht bekannte Fojnica, Trebinje in der serbischen Ost-Herzegowina und einige "ethnisch gesäuberte" Dörfer am Unterlauf der Neretva. Eine Antwort hat sie nicht bekommen. Vielleicht ist einfach die Frage falsch gestellt. Ein Historiker hat einmal mehr als 900 Gründe für den Untergang Roms zusammengetragen. Er hätte besser fragen sollen, wie ein solches Reich überhaupt über Jahrhunderte Bestand haben konnte. Von den wenigen Fragen, die Zeh sich stellt, quält sie sich vor allem mit einer: Wie soll man das Grün der Neretva beschreiben? Auch das bleibt beruhigender Weise offen. Wer einen Begriff gefunden hat, ist kein bisschen weiter. Die Neretva muss man gesehen, Bosnien muss man erfahren haben. Die Studentin mit Hund und Rucksack aber weiß, dass sie nur eine bessere Touristin ist - eine Erkenntnis, die man auch vielen Journalisten wünschen würde. Juli Zeh hat Bosnien natürlich nicht erfahren: Sie leidet nicht mit, taucht nicht ein. So gibt es eben keine Antwort. Mitgenommen hat Zeh eine tiefe Skepsis gegen die These, dass "ethnischer Hass" diesen Krieg verursacht hätte. Aber sie hütet sich, aus ihrer Skepsis gleich eine neue Theorie zu machen und lässt sich mit ihrer Anti-These im Gespräch mit einer Journalistin erst einmal scheitern. Zeh sucht nicht nach Schuldigen und kämpft sich nicht zu Formeln vor, sondern geht konsequent in die entgegengesetzte Richtung. Statt im Chaos landet sie bei vielen neuen Fragen und einigen kleinen Erkenntnissen. Ihre knappen Schilderungen zerstörter Kulturlandschaften lassen alles hinter sich, was in den letzten zehn Jahren zum Thema Bosnien erschienen ist. Schon in Adler und Engel, ihrem Roman, hat Zeh das Balkanthema umschlichen. Es gibt der Geschichte die Pointe, und im Zentrum steht eine Reise in das zu Jugoslawien parallel verlaufende Italien, das Land der Engel, nicht der Adler. Der Ich-Erzähler Max, junger Karrierejurist in der Kanzlei eines weltberühmten Völkerrechtlers in Wien, hat sich auf die Probleme des zerfallenden Jugoslawien spezialisiert. Über seine Angewohnheit, Kokain zu schnupfen, begegnet er seinem beruflichen Thema unerwartet auch im privaten Leben. Seine Schulfreundin Jessie taucht in Wien auf, die ausgeflippte und lebensuntüchtige Tochter eines Drogenhändlers, die ihn erst in ihren Bann zieht und sich dann erschießt, während sie mit ihm telefoniert. Max vergisst seine Karriere und gibt sich ganz dem Kokain hin. Mehr von unsichtbarer Hand geführt als recherchierend kommt der passive Max gemeinsam mit einer ehrgeizigen Jung-Journalistin einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur: Jessies Vater hat in Bosnien seine Geschäfte gemacht, in einer Szene, die brutal mordet. Aber der Kopf der gigantischen Verschwörung, die Max´ und Jessies Leben leitet, ist Rufus, der weltberühmte Völkerrechtler. Die Geschichte changiert ein bisschen zwischen Beatnik-Literatur und Tatort-Drehbuch. Es ist vor allem die Sprache, die Zehs Debütroman so lesenswert macht: knapp und sicher, innovativ, aber nie manieriert. Vorbilder wird man dafür kaum finden - am ehesten noch in der klaren "Bauhaus"-Prosa aus dem Wien der Zwischenkriegszeit, in den Geschichten von Ödön von Horvath oder bei Veza Canetti. Logischer Weise hat die Autorin auch zur heimlichen Balkan-Hauptstadt Wien eine besondere Affinität. Die eigentlich "wienerische" Episode ihres Roman, die am Rande der Stadt in einem unheimlichen Schuppen spielt und natürlich mit dem Tod zu tun hat, kämpft allerdings schwer mit der eigentümlichen, morbiden Folklore, die Wien umgibt und es schwer macht, sich der Stadt vorurteilsfrei zu nähern. Die Bosnien-Reise erst führt Juli Zeh ins Zentrum ihres Themas. Die Reihenfolge der beiden Bücher zeichnet einen originellen Gang der Erkenntnis nach. In Adler und Engel schimmert noch blass eine Theorie durch: dass es im Grunde der Westen mit seiner Marktmacht war, der Jugoslawien ins Elend gestürzt hat. Es nimmt sehr für die Autorin ein, dass sie diesen Holzweg nicht weiter beschritten hat und statt dessen erst einmal nach Bosnien gereist ist. Fährt man hin, verschwinden die Begriffe und machen Menschen Platz. Das Land hat Juli Zeh verdient: Sie ist die erste deutsche Autorin, der ideologische Spiegelfechtereien ebenso fern liegen wie die gedankliche Unschärfe und verschwiemelte k, die die Essays vieler "Mitteleuropäer" so unlesbar machen. Zeh hat in Krakau studiert und spricht offenbar polnisch. Da liegt die Hoffnung nahe, dass sie dem Thema Osten treu bleibt.Juli Zeh: Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien. Verlag Schöffling Co, Frankfurt am Main 2002, 264 S., 18,50 EURJuli Zeh: Adler und Engel. Roman. Verlag Schöffling Co, Frankfurt am Main 2001, 445 S., 23,50. EUR
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