Frankreich guckt in die Luft
Bekanntlich lautet die wichtigste Frage für Menschen, die in Berlin leben, aber nicht von hier stammen: Welche Haltung nehme ich zu den Touristen ein? Verachten geht gar nicht, das dürfte sich herumgesprochen haben. Touristen toll finden, ist theoretisch zwar eine gute Sache, praktisch in den einschlägigen Bezirken aber nicht zu realisieren. Bleibt eine Art skeptische Solidarität („Wir alle sind Touristen, fast überall)“.
In diesem Geist sehe ich auch das Buch Qui a Besoin de Berlin – im Untertitel: Ein Reiseführer, nicht wie die anderen – weniger streng, als ich es vielleicht müsste. Ich verstehe also, dass junge Französinnen und Franzosen es toll finden, durch die „princiale rue de la Prenzlauer Berg“ zu schlendern, im Schwarzsauer einen Latte zu trinken und zu denken: Wie Recht doch mein Reiseführer hat, der nicht wie die anderen ist; die Kastanienallee ist wirklich eine der schönsten Straßen Berlins „mit seinen Bäumen und seiner Straßenbahn“. Ich will aber nicht verschweigen, dass man das auch anders sehen kann. Zum Beispiel wenn man die Kastanienallee täglich mit dem Fahrrad fährt, weil sie der kürzeste Weg zur Arbeit ist.
Die Kastanienallee wirkt dann sehr eng und gefährlich: Obzwar als Fahrradstraße ausgewiesen, muss man den Autos ausweichen und läuft Gefahr, durch die Straßenbahnschienen zum Sturz zu kommen oder in eine dieser unsäglichen Touristengruppen zu rasen, die nicht links, nicht rechts schauen, sondern in die Luft gucken, hoch zu diesen von der Miniermotte zerstörten Bäumen, und sich dabei kaum halten können vor Begeisterung: Berlin! historie! unique dynamisme! Michael Angele
Qui a besoin de … Berlin? Un guide pas comme les autres Franck Sabattier, 17 €. Weitere Städte: quiabesoinde.fr
Schweden will die Stadt erobern
Für die trendsensiblen Schweden ist Berlin zurzeit die It-Stadt. Billiger als London, urbaner als Kopenhagen, ungefährlicher als das ansonsten hochgehandelte Warschau, besser erreichbar als Beirut. Das Problem: Es sind schon zu viele Schweden dort.
Man erkennt schwedische Touristen daran, dass sie beiläufig durch die Fenster der im Lonely Planet als „cool“ beschriebenen Bars/Galerien/Läden linsen, um zu erfahren, ob schon andere Schweden dort sind/waren. Der moderne Schwede ist, ganz im Geiste der Wikinger, ein Eroberer. Er will der Erste an einem Ort sein. Waren schon andere Touristen dort, ist die „Authentizität“ des Ortes ruiniert. Will man einem Schweden gefallen, sollte man ihn an einen Ort führen, der nicht im Internet gelistet ist und dazu sagen: Hier sind nie Touristen. Die wüstesten Weddinger Absturzkneipen werden ihn mehr beeindrucken als, sagen wir, eine Nacht im „Franken“ (Oranienstr. 19).
Als das renommierte schwedische Reisemagazin RES (Imperativ von reisen: „Reise!“) sich unlängst der deutschen Hauptstadt widmete, war der Zugang, wie soll man sagen, sehr schwedisch. Neben den üblichen Verdächtigen hatten sich die Rechercheure und Schreiber alle Mühe gegeben, Lokationen zu finden, an denen wenig andere Schweden vorzufinden sind. Ein paar Auszüge aus dem Kapitel Kreuzberg/Neukölln: „Hamburger Heaven“ (Gräfestr. 94), der Köfteladen „Gel Gör Inegöl“ (Kottbusser Damm 80), das obskure „Ohne Ende“ (Dieffenbachstr. 36). Gleichzeitig warnte man vor eben diesem „skandinavisierten“ Nord-Neukölln und empfahl (antizyklisch) den Prenzlauer Berg und vor allem das alte Charlottenburg (Restaurant Lubitsch, Bleibtreustr. 47).
Schweden wollen in Berlin Einzigartiges erleben. Interessanterweise sind sie in Berlin am liebsten unter sich und erzählen, wenn sie zurückgekehrt sind, alle die gleichen Geschichten. Mikael Krogerus
Mikael Krogerus schreibt regelmäßig für den Freitag und ist gebürtiger Finne.
Berlin-Blog des Reisemagazins RES.
Russland liebt den Gegensatz
Paris war einmal. Glaubt man dem Reiseführer aus dem Moskauer Verlag Afisha, ist die neue gesamteuropäische Metropole gerade im Entstehen begriffen, und zwar an der Spree. Im vergangenen Jahr interessierten sich bereits gut 70.000 Touristen aus Russland für die deutsche Hauptstadt.
Den exklusiven Charakter von Berlin begründet das Heftchen – das sich dem ersten Eindruck nach durchaus an betuchte Reisende richtet und verglichen mit anderen Reiseführern relativ teuer ist – nicht allein mit den üblichen „dostoprimetschatel’ nosti“ (Sehenswürdigkeiten). Eher schon argumentiert es mit Vielfalt und Gegensätzen, etwa zwischen „alternativ“ und „etabliert“ oder „arm“ und „reich“, die man zum Beispiel anhand von Kreuzberg und dem Hotel Adlon beobachten könne. Ob ihrer Unfreundlichkeit werden die Türsteher der Reichen und Mächtigen im Adlon allerdings mit Bediensteten des sowjetischen Hotels Intourist verglichen. Inwiefern Kreuzberg anders sei, erkunde man lieber nicht am 1. Mai. Timofey Abalonin
Der Autor ist in Russland aufgewachsen und lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Er arbeitet als freier Autor und Übersetzer.
Afishas Reiseführer, Berlin, 6. Auflage, Afisha Verlag, Moskau 2008
USA besichtigen Nackte
Für amerikanische College-Studenten gehört es zu den wichtigsten Bildungserlebnissen, einmal während des Studiums eine Europa-Tour zu machen. Das bedeutet dann: ein wenig Kultur und Geschichte, viel Alkohol und lange Partynächte. Bevorzugte Begleiter sind die Reiseführer der Let’s-Go-Serie, von Harvard-Studenten geschrieben und genau auf die Zielgruppe abgestimmt – vor allem billig und cool soll es sein. Die Dominanz der Let’s-Go-Führer kann man in Berlin jedes Mal beobachten, wenn eine Bar, in die bisher nur Einheimische gingen, als Tipp neu aufgenommen wird: Man hört dann in den Sommermonaten viel breites Amerikanisch – und das Personal freut sich über großzügigere Trinkgelder.
Berlin, Prag und Budapest fasst Let‘s Go gleich mal in einem Band zusammen, der Transatlantik-Flug soll sich ja lohnen. Die deutsche Hauptstadt schrumpft dabei auf fünf Bezirke zusammen: Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg und Schöneberg. Neben Touristenstandards (Museumsinsel, Checkpoint Charlie, Berghain) finden sich auch originellere Empfehlungen: Der beste Platz, nackte Sonnenanbeter zu sehen, sei im Tiergarten rund um die Siegessäule. (Dass das nicht immer ein schöner Anblick ist, wird allerdings verschwiegen.) Und zum besten Ort, um einen Exilanten-Roman in Berlin zu schreiben, kürt Let‘s Go das Café Bilderbuch, einen verschlafenen Schöneberger Laden mit alten Sofas und Bücherregalen.
Außerdem knüpft Let‘s Go an bereits existierende Berlin-Bilder an und macht Vorschläge, welche bekannten Filmorte man aufsuchen könnte: Einmal über die Oberbaumbrücke sprinten wie Franka Potente in Lola rennt, durch das Brandenburger Tor spazieren wie die Schauspieler in Billy Wilders Eins, zwei, drei oder Bilder vom Alexanderplatz machen und anschließend die Werbetafeln am Computer rausretouchieren – das käme dann Good Bye, Lenin ziemlich nahe. Wim Wenders scheint bei College-Studenten allerdings im Kurs gefallen zu sein, der einst obligatorische Verweis auf den Himmel über Berlin und die Westberliner Staatsbiliothek fehlt. Jan Pfaff
Let’s Go Berlin, Prague Budapest. The Student Travel Guide. 16.99 €. Webseite: www.letsgo.com
Italien würdigt die Bauwerke
Der Italiener nennt die Stadt Berlino und will zunächst über Historisches informiert sein: „Berlin ist die jüngste Hauptstadt Europas. Die ersten schriftlichen Zeugnisse von 1237 berichten von einer kleinen Fischeransiedlung in Cölln … Nach dem zweiten Weltkrieg und dem Waffenstillstand von 1949 war Berlin der Hauptschauplatz des Kalten Krieges. Seit 1991, nach dem Fall der Mauer, ist die Stadt die Kapitale der neuen Föderalen Republik Deutschland“.
Dass es hier keinen „Centro Storico“, einen einzigen, historischen Stadtkern gibt, wie es der Italiener von zuhause her gewöhnt ist, fällt ihm sofort auf. Kreuzberg, Tiergarten, Unter den Linden oder Charlottenburg, das ist mehr eine Ansammlung heterogener Zentren. Aber er trifft auch keine bei Deutschen so beliebte Unterscheidung in „mal Westen gewesen, dort mal Osten“. Nur im speziellen Parcours „Die Reste der geteilten Stadt“ auf zwei von über 330 Seiten des Mondadori ist von Mauerresten und Luftbrücke die Rede. Die Betonung liegt vielmehr auf dem, was an Bausubstanz („Geschichte und Kultur“) trotz aller Widrigkeiten gerettet und aufgefrischt wurde und jenem, was etwa am Potsdamer Platz neu hinzugekommen ist. Respekt vor Leistung schwingt da mit, der fast verschämte Hinweis, mit den Architekten Aldo Rossi (Quartier Schützenstraße) oder Renzo Piano (Debis House) dazu beigetragen zu haben, aber auch eine versteckte Beklommenheit: Zum Regierungsviertel heißt es, es stamme aus den Plänen mehrerer Architekten, sei aber „adaptiert worden, um sich an eine globale Idee anzupassen“.
KaDeWe und Lafayette entlocken dem Mailänder, der mit einer Galleria Vittorio Emanuele aufgewachsen ist, ein leises Lächeln. Aber was eine „Kneipe“ ist, muss ihm erklärt werden: „Ein einladendes Lokal, wo Bier (und andere alkoholische Getränke) und auch etwas zu essen serviert wird, wie Buletten oder Soleier, Rollmöpse und kaltes Fleisch“. Beispiel gefällig? Zum Nussbaum, Reingold, Dicke Wirtin.
Es gibt aber auch Menschen wie die in Turin lebende Alessandra Montrucchio, die 2007 ihren Berlinbesuch aufgeschrieben hat und die Stadt beschreibt als „ein Magma, einen Hexenkessel, in den man alles hineinwerfen kann, eine Stadt, die gekennzeichnet ist von Globalisierung und dem Trauma einer noch nicht überwundenen Teilung, eine Stadt im ständigen Transit“. Die schönen Seiten vernachlässigt sie dabei nicht, die kulturelle Dynamik, die Menschen aus aller Welt anzieht.Es ist viel, es ist groß, es ist noch nicht fertig das Bild Berlins in den Augen des italienischen Touristen. ed2murrow
ed2murrow lebt in Italien und in Bayern und bloggt seit knapp einem Jahr auf freitag.de.
Berlino, Le Guide Mondadori, a cura di Malgorzata Omilanowska, Arnoldo Mondadori, Editore, 8. Auflage, 2009
Berlino Alessandra Montrucchio, 2007
Süddeutschland fliegt im Bomber
Eine gute Gelegenheit, um mit einem hartnäckigen Vorurteil aufzuräumen: Schwaben und Bayern kommen nicht nur, um zu bleiben. Sie besuchen sehr wohl als ordentliche Touristen die Hauptstadt. Und zu erkennen geben sie sich nicht nur, wenn sie den Mund öffnen, sondern mit einem speziellen Statussymbol in ihren Händen: dem Baedeker-Reiseführer.
Der leitet sie nicht nur bildungsbürgertumsgemäß, gerüstet also mit Großheidelberger Pumphosenphilosophentum, durch die „aufregendste Stadt Deutschlands!“ (was sich aufgrund der Mischung aus „repräsentativen Regierungsbauten“, „fantastischen Museen“ und einer „quicklebendigen Szene“ diagnostizieren lässt). Nein, er kümmert sich in seiner Neuauflage 2010 auch um das „andere Berlin“ und versorgt seine beflissenen Schützlinge mit einem „Special Guide“. Dort geht es „gemächlich mit einem Rosinenbomber in die Luft“ oder „abenteuerlich in Gummistiefeln in den Untergrund.“ Wenn sich demnächst in U-Bahnschächten also Szenen wie aus Delicatessen abspielen sollten, hat das alles einen tieferen, identitären Sinn: Deutsche reisen schließlich immer zu sich selbst.
Wer wir sind und woher wir kommen, lässt sich nicht nur in all den „top-sehenswerten“ Museen und Plätzen beantworten, die man selbstredend „gesehen haben muss“ (bevor man beschaulich von der Bühne abtritt). Besonders interessant fällt dieses Reiseprojekt in Stadtteilen aus, die andere eher mit Problemen assoziieren. Der Baedeker kann etwa in Neukölln eine „Blutwurstmanufaktur“ und die Oper empfehlen, sowie eine Dorfkirche mit dem ältesten Berliner Tafelbild. Hach. Augenblick, verweile doch! Susanne Lang
Baedeker Allianz Reiseführer, Berlin Potsdam. Mit Special Guide. Ostfildern, 20. Auflage, 2010
England findet Halbgeheimes
Was waren das noch für Zeiten, als Berlin eine einzige illegale Party war, die Masse von einem besetzten Haus ins nächste tobte und man kaum hinterher kam mit dem Feiern der eigenen Unabhängigkeit. Dass diese wilden Zeiten vergangen sind, und es mittlerweile etwas gesitteter in der Hauptstadt zugeht, muss auch der Online Guide indietravelguide.com einräumen. In der kurzen Einführung über die Geschichte der Szene wirkt Berlin wie ein gezähmtes Ungeheuer, dessen einstige Unberechenbarkeit mittlerweile in marketingtechnisch verwendbare Wege gelenkt wurde.
Für Besucher aus dem englischsprachigen Raum wird dabei eigens hervor- gehoben, dass es in Berlin keine „curfew“ gibt, also keine Sperrstunde. Relevante Informationen, wie die, wo man das beste Schnitzel bekommt und wo man besser früh hingeht, bevor es zu voll wird, sind in Nebensätzen versteckt. Betont wird aber, dass man sein Bier in aller Öffentlichkeit herumtragen und sogar öffnen und trinken darf, selbst in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das ist doch wahrer Rock’n’Roll!
Dafür spricht auch, dass es in dem Guide in Berlin für Indiemusikanhänger doch noch so einiges zu entdecken gibt. Vor allem in der Clubszene lässt sich für Freunde der Gitarrenmusik die ein oder andere Perle finden und auch bei den aufgeführten Bars dürften einige dabei sein, die nicht jeder kennt. Schön ist auch die Sammlung an Plattenläden und hiermit sind tatsächlich Plattenläden im eigentlichen Sinn gemeint, denn der Autor hat sich auf jene konzentriert, in denen die Szenegrößen noch auf Vinyl zu haben sind. Auch die gibt es noch. Und mit dem Antje Oeklesund ist immerhin ein halb geheimer Tipp für die Indieszene vorhanden. Auch wenn die Zeiten der besetzten Hausparties fast vorüber sein mögen, als Fazit bleibt: Berlin ist immer noch ein bisschen old-school und wild. Moritz Piehler
Webseite: howdoesitfeel.co.uk/berlin.html
Spanien feiert katholisch
Böse Zungen in Spanien behaupten, das Land leide auch 35 Jahre nach dem Ende der katholisch-konservativen Franco- Diktatur an erheblichem Nachholbedarf in Bezug auf modernes Leben. Fest steht: Junge Spanier verlassen die Heimat in Scharen, nicht auf der Suche nach Arbeit, wie damals ihre Großeltern, sondern auf der Suche nach der besten Party. Ihr Ziel: Berlin.
Ebenso fröhlich wie stimmgewaltig ziehen sie – gerne in Großgruppen – durch die Hauptstadt. Orientierung geben die Erfahrungen bereits Vorausgereister: Onlineportale wie tripadvisor.es, erasmoos.com und berlinturismo.net bieten Geheimtipps von Spaniern für Spanier. Neben zahlreichen Party-Locations finden sich hier Empfehlungen für verkaterte Tage (auf ins Badeschiff oder, „um sich wie ein echter Berliner zu fühlen“, ein Würstchen bei Konnopke), sowie zum berlingerechten Shoppen (beim Kauf von Mauerstücken auf das Echtheitszertifikat achten, auf den Flohmärkten Ausschau halten nach – muy berlinés! – kommunistischen Uniformabzeichen, sowie „Sonnenbrillen, die kein Optiker je empfehlen würde“).
Ungleich komplizierter scheint der Umgang mit den Einheimischen zu sein. Auf tripadvisor.es wird die (Un-)Freundlichkeit der Berliner in einer bereits seit 2007 andauernden Debatte erörtert: „Ruppig“ und „ignorant“ seien sie, aber immerhin hilfsbereit beim Hinuntertragen von Koffern in U-Bahnhöfe – und dies sei wiederum sehr nützlich, da „es in Berlin wenig Rolltreppen gibt“. Auf erasmoos.com wird abgewiegelt: „Die Leute sind keineswegs so kleinkariert, wie es immer heißt, sie sind pünktlich, höflich und als Freunde verlässlich.“ berlinturismo.net schließlich bietet Verhaltensregeln an: Niemals mehr als 15 Minuten zu spät kommen, Männer bitte im Sitzen pinkeln, Vorsicht mit rassistischen Witzen („Deutsche sind da durch die Erfahrung des Nationalsozialismus sehr voreingenommen“), nicht zu laut sein und allgemein körperlichen Abstand wahren.
Dennoch, man ist sich einig: Berlin ist „la hostia!“ und dies ist das maximale Lob, das ein Spanier aussprechen kann. Zu deutsch in etwa „großartig “, bedeutet es wörtlich übersetzt „die Hostie“. Dem spanischen Katholizismus ist eben nicht zu entkommen. Nicht mal in Berlin. Nana Heidhues
Webseiten: berlinturismo.net, erasmoos.com, tripadvisor.es
Motorradfahrer sind selbst Attraktion
Wohl sind die Motorradfahrer kein eigenes Völklein, das demnächst seinen eigenen Flecken einer Landkarte für sich beanspruchen will. Und doch sprechen sie zuweilen eine andere Sprache. Das wird etwa bei einem Blick in den Reiseführer Motorrad fahren in Berlin und Brandenburg klar. Da wird die Region in Links- und Rechtskurven beschrieben, und die Erlebnisse werden anhand des Fahrtwindes bewertet. Die Berliner Eigenart klischiert sich dabei im Reiseführer weniger in der Berliner Schnauze des rüpelhaften Berliner Taxifahrers noch der Currywurst, als vielmehr in der Qualität der Straßen. „Wir werden darauf hinweisen, wo und welche wir unter den Rädern hatten“, kündigt das Vorwort an, schwärmt von regelrechten „Vier-Sterne-Pisten“ im brandenburgischen Flächenland und warnt vor historischem Kopfsteinpflaster.
Die erste Empfehlung im Buch ist auch eine Vorwarnung: „Berlin auf eigene Faust mit dem Motorrad zu erfahren, halten wir für etwas gewagt“ – besser solle man die Hauptstadt großflächig auf einer Route von 250 km umfahren. Näher begründet wird dieses Wagnis nicht, an den Berlinern dürfte es nicht liegen, sondern wohl eher an den zahlreichen Baustellen und stockenden Verkehrsadern, die den „Gerne-Vielfahrer“ bremsen könnten. Sollte sich dennoch ein mutiger Motorradfahrer ins Zentrum vorwagen, „führen fast alle Wege und Straßen“ in die Hauptstadt, beschrieben wird dazu die Anreise per Autobahn (möglichst schnell) und Nebenstrecken (interessanter, aber auch zeitaufwendiger). Wobei der Verwegene vermutlich bereits bei der zweiten Empfehlung hängen bleiben dürfte, dort, wo man die Einheimischen antrifft und wo man auch ohne Umweltplakette hinkommt: Treffpunkt der Berliner Motorradfahrer ist seit über 50 Jahren die Spinner-Brücke A 115 (Avus) bei der Ausfahrt Spanische Allee. Hier treffen österreichische, deutsche und schweizerische Kennzeichen auf Berliner Nummern, hier solle man absteigen und Spaß haben. Beim großen Biergarten treffen sich nach Angaben des österreichischen Wirts „an starken Tagen 500 und mehr Motorradfahrer – vorwiegend Racer/Naked“.
Entsprechend exotisch und verloren sind die ausländischen Motorradfahrer in der Innenstadt. Die zwei Schweizer Motorradfahrer, die eines lauen Berliner Sommerabends in ihrer Lederkluft in der Kreuzberger Bar „Bateau Ivre“ sitzen, betrachten neugierig das vorbeiziehende Volk und stellen ihrem Tischnachbarn viele Fragen. Bis sie sich plötzlich verabschieden, schließlich soll es morgen früh zeitig weitergehen. Gina Bucher
Die schönsten Routen in Berlin und Brandenburg Volker Wahmkow, Motorrad Guide Roadbook, Bruckmann-Verlag, 2007
Türkei hat keinen Reiseguide
2.800.000 Menschen aus der Türkei leben in Deutschland, jährlich besuchen etwa 1,3 Millionen Türkinnen und Türken die Bundesrepublik, viele auch Berlin. Einen Deutschland-Reiseführer aus türkischer Sicht gibt es aber nicht, wohl aber ein sehr kleines Büchlein von Berlitz für Berlinbesucher. Allerdings ist das eine Übersetzung aus dem englischsprachigen Original, es gibt also keinen türkischen Blick auf die Hauptstadt. Wie aber sähe der aus?
Enver Özcar betreibt einen nachtaktiven Zigaretten-, Schnaps-, Käseecken- und sonstwie Gemischtwarenladen, er nennt sich deutschen Ägäistouristen in der Türkei zuliebe Oskar und hat fast 20 Jahre lang in Berlin gelebt. „Uns ging es doch nicht um Schlösser oder Museumsinseln. Wir wollten prima Arbeit, auch Spaß, und irgendwann einigermaßen reich in die Türkei zurück,“ sagt er. Hat aber nicht geklappt, Krise hier, Krise dort. Enver Özcar hat daher eher pragmatische Hinweise im Sinn für einen Berlin-Reiseführer für türkische Touristen.
So auch Leyla Findikcioglu aus Üniye am Schwarzen Meer: „Wie überzeugt man die deutsche Botschaft in Ankara, euer Land besuchen zu dürfen? Für ein Visum werden Nachweise dafür verlangt, wieviel wir verdienen, ob wir Häuser oder Grundstücke besitzen.” Leyla legte alles vor, mit ihrem Mann betreibt sie eine Eisdiele, beide besitzen ein Haus, zwei Grundstücke. Sie reiste mit dem Bus von Üniye rund 400 Kilometer nach Ankara zur dortigen deutschen Botschaft und erfuhr dort, dass sie die Kriterien für ein Visum leider nicht erfüllt habe. „Wie doof ist das denn, wir sind wohlhabend”, stellt Leyla fest, „ich wollte doch nur für zehn Tage nach Berlin, zur Hochzeit meines Neffen!”
Was gehörte sonst so in einen Berlin-Reiseführer für türkische Menschen? Necla Yalin aus Istanbul, 44, reisefrohe Chemielaborantin, leistet sich gelegentlich Wochenend-Reisen, zu ihren Traumzielen, ziemlich weit weg: Paris, London, Frankfurt, Barcelona und andere. Berlin ist eines ihrer Lieblingsziele, „denn die Stadt ist fast wie Istanbul. All diese Nischen, Kulturen, Szenen, Sanssouci, die Mode, die vielen Türken dort. Für all das hätte ich gern einen Reiseführer, auch für alles Schräge.”
Warum kümmert sich niemand darum? Henner Michels
Henner Michels lebt als freier Autor in Turgutreis an der türkischen Ägäis, studierte u.a. in Berlin, kommentiert und bloggt unter dem Pseudonym weinsztein auf freitag.de.
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