Das KaDeWe und die Rosinenbomber-Vita

Wessis Demokratie-Dünkel, großkotzige Vopo-Geschichten und Altachtundsechziger-Romantik. Mathias Wedel über alles, was er an Westberlinern nicht leiden kann. Und an Schwaben

Wenn das KaDeWe – für die Westberliner: der Palast der Republik – geschlossen würde, das wäre schön. Noch schöner wäre es, es würde eines Nachts – sagen wir in der Nacht vom 16. zum 17. Juni, wenn keine Seele mehr im Hause ist, alle Nachbarn und Passanten gewarnt sind und der Verkehr weiträumig umgeleitet wurde – geräuschlos und feinstaubarm in sich zusammenfallen wie das Kölner Stadtarchiv. Es müsste dabei natürlich so puffartig angestrahlt und beleuchtet sein wie immer.

Das KaDeWe ist das Symbol der Frontstadt, ein anderes hat sie nicht (im Osten haben wir den Fernsehturm und das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park). Wenn es zusammenfiele, würde ich mir ein Lächeln spendieren, zumindest nicht verkneifen. Das KaDeWe steht für alles, was ich an den Westberlinern – unter anderem an denen, mit denen ich notgedrungen zu tun habe, wobei wir stumm neben­einander her arbeiten, „nett“ zueinander sind, so tun, als hätte es die Mauer nie gegeben, und selbst leiseste Anspielungen auf unsere unterschiedliche, ja gegensätzliche geografisch-politische Herkunft zwanghaft vermeiden – nicht mag: Ihren ­Demokratie-Dünkel, ihre Rosinenbomber-Vita, ihr „Wir waren eingemauert“-Syndrom, ihre großkotzigen Vopo-Geschichten, ihre Altachtundsechziger- und K-Gruppen-Romantik, ihre Kirchgängerei, dass sie „Viertel vor Zehn“ sagen, dass sie immer noch Harald Juhnke nachtrauern, dass sie mich Ostdeutschen nicht leiden können, dass sie mich nötigen, ihnen Honecker-Witze zu erzählen (aber langsam, damit sie sich alles merken können), und dass sie so riechen wie das KaDeWe. Die ganze Ku’dammgegend riecht wie das KaDeWe. Mit Menschen, die sich über Jahrzehnte auf einer „Feinschmeckeretage“ aufhielten und diese – neben dem RIAS-Symphonieorchester und den Festivals amerikanischer Militärblasmusik – für den Gipfel der Menschheitskultur hielten, möchte man so wenig wie möglich zu tun haben.

Die Schwaben, standesgemäß entrückt

Ich frage mich, warum 20 Jahre Deutsche Einheit vergehen mussten, wenn mich die Westberliner – ausgenommen Michael Ringel von der Taz, der Veleger Klaus Bittermann und eine eindrucksvolle Dame, die ich hier nicht dekuvrieren möchte – immer noch so anöden. Oder gar noch mehr, denn alle Neugier auf sie hat sich verloren. Doch noch idiosynkratischer ist mein Verhältnis zu den Schwaben, die auf dem Mauerstreifen an der Bernauer Straße ihre mediterran bunten „Townhouses“ errichten lassen, während drüben auf Westberliner Seite arme Menschen, zumeist Türken, wie leblos aus Fensterhöhlen starren oder Flaschenbier in Hauseingängen einnehmen. Ich meine die Schwaben, die in Ost-Berlin jede Lücke, durch die noch Sonne schien, zubauen, damit sie in Dachterrassenwohnungen residieren, von monströsen, palmenbestückten Aussichtsplattformen auf die Torstraße herabstarren und in Dachterrassenpools planschen können. Sie sind zwar in Berlin, jedoch standesgemäß entrückt, ­darüber!

Die Westdeutschen haben in Ost-Berlin in 20 Jahren so blutige Architekturverbrechen begangen (man denke nur an die Verhunzung der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden!), dass die auch nicht durch noch so viele Schließungen Westberliner Repräsentativbauten gesühnt werden können. Apropos Sühne: Wenn ich an müßigen Tagen in Westberlin auf der Wilmersdorfer Straße flaniere oder auf dem Markt am Winterfeldt-Platz ­dicke, türkische Bohnen kaufe, höre ich oft, dass die Ostdeutschen nicht genug für die Zumutungen der Wiedervereinigung gebüßt hätten. Als Ostdeutscher sehe ich das genau umgekehrt und sinne auf Vergeltung. ­Immer wenn wieder eine Westberliner Musicalbühne schließt, sage ich mir: Es gibt doch noch eine Gerechtigkeit. Das ist ­natürlich dumm und unpolitisch und ändert gar nichts an den Klassen-
und Herrschaftsverhältnissen. Aber schön ist es doch.

Mathias Wedel ist Publizist und Buchautor

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