Das Land hat falsch gewählt

Italiens Votum Die Debatte um das Wahlergebnis lässt sich nicht als Hohelied auf die Demokratie deuten. Die Reaktion der "Finanzmärkte" gilt als Maß aller Dinge

Die Italiener haben gewählt, und Deutschland ist entsetzt, empört, und betroffen über so viel Unverstand. Schon reagieren auch die Finanzmärkte und treiben die Zinsen für römische Staatspapiere nach oben. Wer nicht demokratisch und marktkonform wählt, muss eben fühlen. Weil die Deutschen zu den Opfern eines wenig EU- freundlichen Wahlergebnisses zählen könnten, nehmen sich die Politiker, die mediale Öffentlichkeit und die Experten gern das Recht heraus, den unreifen und unbotmäßigen Liegestuhlverleiher jenseits der Alpen Maß zu nehmen. „Italien braucht ein politisches Führungspersonal mit dem man Zukunft verbindet“, tönt Ruprecht Polenz von der CDU. Dass es dabei mitnichten um die Zukunft des arbeitslosen Jugendlichen, Pensionärs und in prekäre Arbeit Gepressten geht, sondern um „unsere“ Zukunft, ist nur allzu klar. „Stabile Verhältnisse“ wollen wir haben, weil das im europäischen, vor allem in deutschem Interesse liegt.

Blitzschnell entsteht so eine Konsens-Erzählung: Die infantilen Italiener wählen disziplinlos und nach Lust und Laune die „Unregierbarkeit“. Sie schaden damit besonders „den Finanzmärkten“, die in ihrer göttlichen Unbarmherzigkeit eben nicht nur die Italiener, die es nicht besser verdienen, bestrafen, sondern auch „uns“ den Dax vermiesen. Ein interessanter Nebeneffekt: Daheim dürfen wir gelegentlich ein wenig skeptisch gegenüber der Macht dieser Märkte sein und auf Abstand zur Idee des Merkelismus von einer „marktkonformen Demokratie“ gehen. Doch im ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis zwischen den EU-Nationen entsteht eine neue Allianz.

So wie in Italien klar ist, dass man nicht mehr aus der europäischen Falle herauskommt – egal, wen man wählt –, dürfte nun ebenso den europäischen Profiteuren des Merkelismus klar werden, dass sie in der Falle italienischer Verhältnisse stecken. Man hat in Wahrheit keine Wahl, weil die Macht eben von Finanzpakten und Finanzinvestoren ausgeht. So ohnmächtig ist der Wähler und zugleich so mächtig, weil ein bisschen Anarchie und Chaos eben schon ausreichen, um das europäische Finanzsystem aufzuscheuchen. Es war die einzige Wahl, die Italiens Wähler wirklich hatten: Europa zu ärgern.

Börsianer und Manager

Und für dieses Vergnügen müssen wir einen hohen Preis bezahlen, auf den die deutsche Presse uns schon einmal einstimmt. Sie findet nichts dabei, dass man nach einer Wahl nicht mehr nach den Menschen, sondern nach den Märkten fragt, und dass sich deshalb genau jene zu den Auswirkungen dieses Votums äußern, die das ökonomische Desaster angerichtet haben. In deutschen Zeitungen haben sich wohl noch nie so viele Chef-Volkswirte von Großbanken, Börsianer und Manager zu Wort melden dürfen, um unvernünftiges Wahlvolk abzukanzeln. So sagt der BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber: „Jetzt kommt es darauf an, schnell für geordnete Verhältnisse zu sorgen, um die Wirtschaft nicht weiter zu belasten und anstehende Investitionsprojekte nicht zu gefährden.“ Ob eine Wahl gelungen ist oder nicht, darüber entscheiden also die Bankiers des EU-Staates mit der größten Richtlinienkompetenz. Ich frage mich, ob nicht längst der nächste Schritt zur marktkonformen Demokratie fällig ist. Lasst doch die Finanzmärkte gleich direkt ihre idealen Regierungen wählen. Diese Märkte sollten das Recht haben, eine Regierung aufzulösen und sich eine neue zu bilden. Das Recht, ein Volk aufzulösen haben sie ja schon.

Georg Seeßlen ist Feuilletonist, Radiomacher und Italien-Freund

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