Das Leben als Hitliste

IM KINO Steven Frears hat Nick Hornbys Bestseller »High Fidelity« verfilmt

Jetzt ist er da, der Film für die Thirty-Somethings, die in den Siebzigern mit den Fernsehserien der sechziger Jahre großgeworden sind, mit zwölf ihre erste Stereo-Anlage bekamen, ihre Vinylplattensammlung wie eine wertvolle Bibliothek hüten, sich immer noch kein Auto leisten können (falls sie überhaupt einen Führerschein besitzen) und von einer Liebeskrise in die nächste taumeln. Dabei wären sie durchaus fähig, sich auf eine dauerhafte Bindung - Ehe und Kinder nicht eingeschlossen - einzulassen. Nur mangelt es ihnen am nötigen Selbstwertgefühl und beruflichen Ehrgeiz, was sie in den Augen der Frauen mit der Zeit an Attraktivität verlieren lässt. Oder sie verbocken sich's selbst, wenn es in der Beziehung gerade zum Besten steht.

Man sieht schon: mit den Jung-Kapitalisten der bieder-deutschen »Generation Golf« hat das wenig zu tun. Am ehesten ließen sich diese Dreißig-und-irgendwas-jährigen als eine Art Vorgängergeneration der späteren Generation X bezeichnen, die den Sprung in die erwachsenen Verantwortlichkeiten zuerst verweigert und dann verpasst hat und nun mit flauem Gefühl im Magen auf die unvermeidlichen Vierzig zugeht.

High Fidelity ist Stephen Frears originalgetreue Kino-Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Nick Hornby mit dem nicht weiter bedeutsamen Unterschied, dass die Handlung von London ins offensichtlich noch verregnetere Chicago verlegt wurde, da Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Co-Produzent John Cusak dort lebt. Er spielt Rob Fleming, den eben ins Single-Dasein zurückgeworfenen Besitzer des kleinen Schallplattenladens »Championship Vinyl« mit so viel einnehmender Sympathie, dass man sich in diesem Film von Anfang an wohlfühlt wie an traurigen Sonntagen bei der gutbestückten Plattensammlung eines besten Freundes, der uns von seinen missglückten Affären erzählt, die in der zeitlichen Entfernung ihre wahre Komik offenbaren. Dabei stellt er sich (und uns) Fragen, die man sich als glücklicher Musikliebhaber, der schon mehrere weniger glückliche Erfahrungen in der Liebe gesammelt hat, auch schon mal so ähnlich, nur weniger präzise gestellt hat: »Was war zuerst da, die Musik oder das Unglücklichsein? Hörte ich mir Musik an, weil ich unglücklich war? Oder war ich unglücklich, weil ich Musik hörte? Machen mich all diese Platten zu einem melancholischen Menschen? Die Leute machen sich Sorgen, weil Kinder mit Kriegsspielzeug spielen und Teenager Gewaltvideos gucken, wir fürchten, sie könnten einer Kultur der Verrohung anheimfallen. Niemand sorgt sich um Kinder, die Tausenden - buchstäblich Tausenden - von Songs über gebrochene Herzen, Zurückweisung, Schmerz, Leid und Verlust lauschen. Von allen Menschen, die ich kenne, haben diejenigen am wenigsten Glück in der Liebe, denen Popmusik am meisten bedeutet. Ich weiss nicht, ob Popmusik der Auslöser dieses Unglücklichseins ist, aber ich weiss, dass sie schon länger traurige Songs hören, als sie ein unglückliches Leben führen.«

Der Auslöser solcher existenziellen Grübeleien, die immer wieder direkte Einblicke in die männliche Psyche ermöglichen (was Nick Hornbys in lockerem Plauderton und mit viel Slangwitz erzählte Lebensbeichte eines mehrfach gebrochenen Herzens besonders bei Frauen beliebt machte), ist Laura (Iben Hjejle, die Dänin aus Mifune- Dogma 3), die von seinem Seitensprung erfuhr, als sie gerade schwanger war. Daraufhin hat sie abgetrieben und holt nun nach und nach ihre Sachen aus der gemeinsamen Wohnung. Aber Laura steht gar nicht auf den »ewigen Top Five« seiner »unvergesslichsten Trennungen für die einsame Insel«, die uns Rob in chronologischer Reihenfolge vorführt. Frears geht ohne großen Dekor-Aufwand zurück in die Zeit der Frühpubertät seines Helden und entwirft in wenigen, präzisen Szenen und der entsprechenden Musik ein Bild der frühen Siebziger. Nach den ersten drei Misserfolgen im Umgang mit dem anderen Geschlecht wird's ernst: »Ich lernte Charlie auf der Fachhochschule kennen: Ich hatte Medienkunde belegt, sie studierte Design, und als ich sie zum ersten Mal sah, war mir klar, dass sie die Art Mädchen war, die ich hatte kennenlernen wollen, seit ich alt genug war, Mädchen kennenlernen zu wollen.« Das ist Ende der Siebziger, die Zeit von Punk, Lederjacken und aufgerissenen Jeans. Aber letztlich ist die wunderschöne und intelligente Charlie (Catherine Zeta-Jones) eine Nummer zu groß für einen komplexen Durchschnittsmenschen wie Rob, und als sie mit einem andern durchbrennt, hat er sein erstes fürs Leben prägendes Burn Out, über das er nie ganz hinweggekommen ist. Was darauf folgte - ein Zwischenspiel mit gebrochenen Herzen und schließlich Laura - konnte von der Intensität her mit der ersten großen Liebe nicht mithalten.

Seither - wir schreiben die Gegenwart - hängt er mit seinen Mitarbeitern Dick (Todd Luiso) und Barry (Jack Black), zwei schrägen und völlig konträren Musikenthusiasten, tagtäglich in seinem Plattenladen ab und führt mit ihnen Insider-Streitgespräche. Dick ist ein kahlköpfiger, anämischer, autistisch wirkender Alleskenner, der nur aus Musik zu bestehen scheint; sein Pendant Barry ein dickliches, extrovertiertes Monstrum vom Typ John Belushi, der immer ein Gitarrensolo auf der dicken Lippe vor sich her grölt und für alle Lebensgbiete im Nu eine Top-Five-List erstellen kann (sogar für den Tod von Lauras Vater hat er sofort eine »Laura's-Dad-Tribute-Liste« beisammen, beginnend mit »Leader of the Pack« und »Dead Man's Curve«).

Einen wunderbare kleine Rolle hat Lisa Bonet als alle bezaubernde schwarze Folksängerin und Robs One-Night-Stand sowie, in einem Cameo-Auftritt, Tim Robbins als überkandidelter vegetarischer Kotzbrocken, den sich Laura kurzerhand als Beziehungsersatz aufgerissen hat, bevor sie zu Rob zurückkehrt.

Das englische Kino und die englische Literatur - besser spricht man, wie auch in der Literatur, vom angloamerikanischen Kino, da Leute wie Frears, Neil Jordan (The ButcherBoy) oder Alan Parker (The Commitments, The Snapper und zuletzt mit My MothersAshes) in ihren Literaturverfilmungen zwischen den Kontinenten hin und her pendeln - waren seit je bekannt für ihre realistische, sozialkritische, mal mehr, mal weniger satirische Erzähltradition. Und die Bücher eines Roddy Doyle, Nick Hornby oder Frank Mc Court fordern durch ihre plastische Erzählweise, detailierte Milieuschilderungen und manchmal schon drehbuchhafte Dialogdichte eine Verfilmung geradezu heraus. Da braucht es schon gar keines Script Doctors mehr, sondern nur noch eines Regisseurs, der mit den in der Vorlage geschilderten Realitäten vertraut ist. Bei High Fidelity trifft das alles zu. Man verlässt den Film wie man das Buch aus der Hand legt: Es geht einem besser als davor.

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