„Lehrerzimmer“-Regisseur İlker Çatak: „Ich will Klischees brechen“
Interview Regisseur Ilker Çatak hat mit „Das Lehrerzimmer“ einen Film über Schule als Mikrokosmos der Gesellschaft gedreht: Vom ersten Moment an liegt hier etwas Drohendes in der Luft. Ein Gespräch über einen Film, der mehr ist als eine Sozialstudie
Es klingt nach Sozialstudie, besitzt aber vom ersten Moment an die Spannung eines Heist-Movies: Die junge Lehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) tritt voll Engagement ihre neue Stelle an einem Gymnasium an. Als es dort zu Diebstählen kommt, wird einer ihrer Schüler verdächtigt. Sie beginnt, dem auf eigene Faust nachzugehen. Dabei gerät sie zwischen die Fronten bornierter Lehrkräfte, aufgebrachter Eltern und aufgeweckter Schüler, die sich nicht alles gefallen lassen wollen. Der Berliner Regisseur İlker Çatak inszeniert atmosphärisch dicht Schule als komplexen Mikrokosmos und Spiegel der Gesellschaft. Das Lehrerzimmer wurde auf der Berlinale mehrfach ausgezeichnet und ist nun in sieben Kategorien für den Deutschen Filmpreis am 12. Mai nominier
Mai nominiert, darunter für Drehbuch und Regie, sowie als Bester Film. Ein Gespräch über die Debattenkultur, Repräsentation und die Kraft des Hinterfragens – auch von sich selbst.der Freitag: Herr Çatak, was bei „Das Lehrerzimmer“ gleich auffällt, sind die präzisen Dialoge ...İlker Çatak: Sprache ist für mich sehr wichtig. Wenn du in der Schule der einzige Schwarzkopf bist, dann suchst du nach Kompensationsmechanismen. Und Sprache ist eine Methode, zu kompensieren, dass du anders bist. Du versuchst, gestochener zu sprechen, als du müsstest, und verwendest unnötig anspruchsvolles Vokabular. Mein Verhältnis zur Sprache hat auch viel mit Artikulation zu tun. Wenn am Telefon das Gegenüber nicht kapiert, dass ich Türke bin, ist das schon mal gut. In der Grundschule war ich Klassenbester. Da waren die Leute total stolz, „das Kind aus der türkischen Familie“ als Bester, so ein positives Framing. Ich glaube, viel von dem, was ich damals ganz unbewusst erlebt habe, hat seinen Weg in die Arbeit gefunden.Sie sind in Berlin-Wedding aufgewachsen und später auf ein deutsches Gymnasium in Istanbul gewechselt. Die Erfahrungen dort inspirierten Sie zu „Das Lehrerzimmer“, richtig?Mein Co-Autor Johannes Duncker und ich waren zusammen in Istanbul auf der Schule und sind noch immer befreundet. Auf einem unserer Wanderurlaube habe ich ihm von einem Vorfall in meiner Familie erzählt. Mein Vater ist inzwischen Pflegefall, und wir hatten eine Putzkraft, die geklaut hat. Er hat sie überführt und die Frau wurde entlassen. Das gab Stress zwischen meinen Eltern, weil meine Mutter ihr noch eine Chance geben wollte. Mich interessierte daran weniger die Tat, sondern vor allem die Dynamik zwischen meinen Eltern. Johannes erzählte mir daraufhin von einem Vorfall an der Schule seiner Schwester, die Mathematiklehrerin ist. Da hatte die Sekretärin was mitgehen lassen, und als sie gestellt wurde, war ihre Haltung: Mir wurde nichts geschenkt im Leben, ich bin alleinerziehend. Wir haben überlegt, was das für eine Schule bedeuten würde. Wir haben lange recherchiert und mit Pädagogen und Psychologen, Eltern und Kindern gesprochen. Und jede*r hat eine Geschichte zu erzählen. Die Probleme gibt es überall.Ihr Film erzählt sehr lebendig von diesem Mikrokosmos, ist zugleich Psychogramm einer Lehrerin und spielt mit Thriller-Elementen …Wir wollten von Anfang an die Geschichte aus Carlas Perspektive erzählen. Beim Schreiben und beim Inszenieren suche ich immer nach mehreren Ebenen, den Ambivalenzen. Das ist ein Prozess des ständigen Sich-selbst-Hinterfragens. Ich bin im Grunde die ganze Zeit mit mir selbst im Krieg, indem ich alles, was ich geschrieben habe, ständig darauf abklopfe, ob es gut genug ist und wie ich es interessanter, vielschichtiger machen kann. Uns war auch von Anfang an klar, dass letztlich gar nicht so wichtig ist, wer die Täterin ist. Interessant ist die Dynamik, die es auslöst.Die Kinder im Film stammen aus der Mittelschicht. Eine bewusste Entscheidung gegen das Klischee, die Geschichte an einer Problemschule zu verorten?Wir wollten nicht diese Welt, auf die das Bildungsbürgertum so gerne herabschaut. Ich fand es interessant, eine Schule zu haben, in der die Schüler alles werden können. Deshalb wollten wir auch, dass der Anspruch und das Niveau dieser Klasse hoch sind. Wir wollten aufgeweckte, aufgeklärte Kinder. Ich will damit nicht sagen, dass es die nicht auch an einer Problemschule geben kann. Eine Lehrerin steht an solchen „besseren“ Schulen aber oft unter größerem Druck vonseiten der Eltern.„Das Lehrerzimmer“ wurde auf der Berlinale gefeiert und in viele Länder verkauft, ist nun für den Deutschen Filmpreis nominiert. Warum trifft er so einen Nerv?Da kann ich nur raten. Es hat vielleicht damit zu tun, dass es nicht nur um Schule geht, sondern um die Gesellschaft im Kleinen, um Themen wie Cancel Culture, Hierarchien, strukturellen Rassismus. Aber das lässt sich nicht planen, sonst würden es ja alle machen. Auf den Zeitgeist zu spekulieren, halte ich für höchst suspekt. Man muss seinen eigenen Instinkten folgen.Eingebetteter MedieninhaltIn „Das Lehrerzimmer“ gibt es mehrere deutschtürkische Figuren: Hatice, eine Schülerin mit Kopftuch, sowie die Eltern von Ali, der anfangs als Dieb verdächtigt wird. Wie sehr denken Sie bei solchen Charakteren über Repräsentation nach?Mit Hatice wollte ich ein Mädchen mit Kopftuch zeigen, das perfekt Deutsch spricht und kein Opfer ist, im Gegenteil. Ich wollte das Klischee des unterdrückten Mädchens brechen. Die Eltern von Ali lasse ich auf Türkisch diskutieren, damit das Publikum denkt, wahrscheinlich kann der Vater gar kein Deutsch. Und dann antwortet er auf einmal auf Deutsch, und was er sagt, sitzt dann auch. Auf konservative Türken wird oft herabgeblickt, auch von anderen Türken. Dass sie sich nicht integrieren wollen, ihre Religion zu sehr nach außen tragen. Ich hinterfrage diese Szene aber selbst noch immer …Warum das?Ob sie zu deutlich in der Absicht ist. Das ist der Krieg mit mir selbst. Es ist ein ständiges Suchen, ob es gut ist. Und manchmal hört es auch nicht auf, wenn der Film längst fertig ist. Ich versuche Klischees zu brechen, Erwartungen zu unterlaufen. Aber ich glaube auch, dass ich diese Identitätspolitik und inhaltlichen Entscheidungen mit weniger Befangenheit treffe, als wenn ich nur Deutscher wäre oder nur türkisch.Sie wuchsen als Einzelkind auf. Welchen Einfluss hatte das?Der Fokus ist viel größer. Und damit die Erwartung. Meine Eltern haben beide nicht studiert, und als ich dann anfing mit BWL, war das ein Riesending. Aber ich war so unglücklich an der Uni, dass ich zur Jobberatung bin, und der Typ dort fragte mich, was ich gerne mache. Ins Kino gehen. Na, dann mach doch was mit Film. Kurz darauf sagte ich meinen Eltern, ich habe das Studium auf Eis gelegt. Das war für sie unbegreiflich.Aber sie haben Sie machen lassen?Oh, nein. Es gab große Streite und Emanzipationskämpfe. Für mich war Film Emanzipation. Ich beweise euch, dass ich das hinkriege. Und wie es die Dramaturgie des Lebens so will, wurde ich erst mal an allen Filmschulen des Landes abgelehnt. Von 20 bis 28 war eine harte Zeit, eine Absage nach der anderen. Dadurch habe ich jetzt auch eine ganz andere Demut. Ans Filmset zu kommen, ist etwas Heiliges, bis heute. Es gibt nicht viel Sinn im Leben, aber für Kunst zu arbeiten, ist für mich Anlass, morgens aufzustehen.Wann haben das Ihre Eltern verstanden?Mein Vater, als ich einen Kurzfilm über ihn gedreht habe, Als Namibia eine Stadt war. Mit dem wurden wir zum Filmfest Hof eingeladen und mein Vater durfte dort auf die Bühne und bekam Applaus. Da hat er seinen Frieden damit gemacht, dass der Sohn Filme macht. Bei meiner Mutter hat es länger gedauert, sie ist ein Sicherheitsmensch, Bankkauffrau. Bis ich 28, 29 war, hat sie mir noch Stellenanzeigen geschickt.Ab wann hat sie es akzeptiert?Als ich meine eigene Krankenkasse zahlen konnte. Ich verstehe es ja auch. Ihnen war irre wichtig, dass ihr Kind Akademiker wird. Und für mich war die Auseinandersetzung eine gute Schule, weil ich gelernt habe, mich zu behaupten.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1