Das Lieben des jungen Autors

Kino Philip Stölzl hat mit „Goethe!“ einen Kostümfilm gedreht, der sich um historische Genauigkeiten wenig schert, dem Dichter als jungem Mann dennoch zur Ehre gereicht

Gesprächsweise sich heutzutage bei links-kritischen Menschen auf Goethe zu berufen, wirkt meist unzeitgemäß und bildungsbürgerlich; es klingt nach Schule und Pflichtlektüre. Hat man Scheu vor Goethe? Haben wir überhaupt eine historisch erklärbare Scheu zuzugeben, dass es Ausnahmemenschen gibt? Wer heute durch Weimars Buchläden stöbert, findet eine erstaunliche Fülle attraktiv aufgemachter Goethe-Titel für jugendliche Leser – vielleicht kommen sie auch im übrigen Deutschland an und helfen, bei Jugendlichen die Scheu vor Goethe zu überwinden.

Der Film von Philipp Stölzl Goethe! könnte dazu beitragen. Zwar handelt es sich um einen im besten Sinne historisierenden „Kostümfilm“ – aber er kommt leicht daher, unangestrengt, beschwingt, auch geistreich und lustig, zugleich ernsthaft, anrührend und menschlich. Dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen jungen Mann zu tun haben, teilt sich mit dem ersten Auftritt unaufdringlich mit.

Erzählt wird die biografische Vorgeschichte des 1774 erschienenen Bestsellers Die Leiden des jungen Werthers. Es ist die Geschichte des jungen Goethe, der in Straßburg so gerade noch einen akademischen Abschluss in Jurisprudenz schaffte, dann ans Reichskammergericht nach Wetzlar ging, sich dort leidenschaftlich verliebte und diese unglückliche Liebe in jenem Briefroman verarbeitete, dessen Helden er im Selbstmord enden ließ: Einige junge Leute der Sturm-und-Drang-Generation nahmen das wörtlich und beendeten ihren eigenen Liebeskummer mit der Pistole, viele kleideten sich nach der Werther-Mode in blauem Rock und gelber Weste, erstmals wurde ein deutscher Roman auch zum europäischen Renner. Aber der berühmte, der Weimarer Goethe liegt weit jenseits des Films, der mit dem dramaturgisch gelungenen Jubeln über die Erstauflage des Werther endet. Der letzte gesprochene Satz ist zugleich der Treffendste über die sehr frei erzählte Geschichte des 24-jährigen Autors: „Sie ist mehr als die Wahrheit – sie ist Dichtung.“

Eine Liebeserklärung

Goethe-Puristen werden viel auszusetzen haben am großzügigen Umgang mit biografischen Details, an frei erfundenen Szenen, an mancher willkürlichen Chronologie, an Goethe-Texten aus anderen Zusammenhängen. Diese Freiheiten dienen aber dazu, eine höhere Form der Wahrheit über den Menschen mitzuteilen. Stölzl und seine Drehbuch-Mitarbeiter dürfen sich das erlauben, weil ihr Film im Ganzen wie in jedem Detail getragen wird von Respekt, von Hochachtung und Empathie für seinen Gegenstand. Der Film lebt nicht nur von der charismatischen Ausstrahlung Goethes, den Alexander Fehling verkörpert, sondern vom Einfühlungsvermögen aller Darsteller: den braven Konkurrenten um die Gunst Lottes (Moritz Bleibtreu als Kestner), die Väter der beiden Liebenden (Burghart Klaußner und Henry Hübchen), den am Leben verzweifelnden Jerusalem stellt (Volker Bruch) und nicht zuletzt die Lotte Buff (Miriam Stein).

Der Film ist eine Liebeserklärung an Johann Wolfgang Goethe, dessen spätere Lebensbotschaften wir weit über den Werther hinaus eingeladen werden, uns zu eigen zu machen. Und damit die Scheu vor der Anerkennung dieser einzigartigen Erscheinung zu verlieren. Goethe hat für den hier exemplarisch vorgeführten unbefangenen Umgang mit Größe das Motto geliefert: „Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe.“

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