Ich bin vollkommen abgeschlagen. Fühle mich krank. Corona-Virus? „Geh doch zum Arzt“, raten mir meine Kinder. Aber man soll ja wegen des Corona-Virus nicht zum Arzt gehen. Das sagt jedenfalls die Ärztekammer. „Mit leichten Symptomen“ soll man die Wartezimmer nicht verstopfen. Außerdem, was soll ich beim Arzt? Ich gehe nie zum Arzt. Ich bin Freelancer. Eine Krankschreibung könnte ich mir höchstens ins Tagebuch kleben. Nachdem ich den Kindern und mir das klargemacht habe, raffe ich mich noch für einen letzten Programmpunkt auf: „Berlinale- Party“.
Aber Filmparties sind Business, da läuft so ein Vernetzungsding, und ich will mich nicht vernetzen, und beim Film bin ich auch nicht, also sind mein Begleiter und ich nicht lange geblieben. Zu Hause bin ich sofort eingeschlafen und als ich erwachte, da war die Berlinale vorbei und die Jurys hatten alle Preise vergeben.
Fast alle Guten haben was gekriegt, nur der silberne Bär für „herausragende künstlerische Leistung“ für den Kameramann Jürgen Jürges für „Dau. Natascha“ macht ratlos und lässt die anderen Preisentscheidungen seltsam dastehen.
Auf mich wirkt es so, als hätte da der Tarnung halber, eine Bandbreite abgedeckt werden sollen. Vom Abtreibungsdrama („Hidden away“), bis zur Groteske über die Tücken der digitalen Welt („Effacer l`historique“), bis zur deutschen Kunstfilmdarstellerin (Paula Beer in „Undine“) alles dabei.
Ich wittere eine Verschwörung
Vielleicht war es doch falsch, einen Jeremy Irons als Jurypräsidenten zu berufen, der mal sexistische und homophobe Sachen gesagt hat? Vielleicht wollte/sollte/musste man das Medienboard Berlin-Brandenburg gut dastehen lassen, den größten, staatlichsten und regionalsten Filmförderer aus der Hood, vernetzt mit dem rbb und der wiederum Co- Partner der Berlinale? Ich hab Corona, ich blicke nicht mehr durch, ich fange an, Verschwörungstheorien zu entwickeln, ich wittere überall Absprachen, Sexismus und Wirtschaftsinteressen. Das muss aufhören! Vielleicht ist „Dau“ auch kein Fall für #metoo, sonst hätte doch schon längst jemand was gesagt, also außer denen, die schon was gesagt haben.
Ich wurde wegen meiner „Dau“-Kritik auch schon gefragt, was ich denn gegen echten Sex auf der Leinwand hätte? Ich antwortete: natürlich nichts. Ich sei ja nicht spießig oder prüde, aber wenn das doch Laien gemacht hätten, die man unter Alkohol gesetzt habe? Und dann noch die Sache mit der Flasche in der Vagina?
Aber „echte“ Schauspieler seien genauso manipulierbar, vielleicht sogar noch mehr, das sei unter Castorf, Stein, Zadek nicht anders gewesen, wurde mir geantwortet. Ja, meinte ich, stimmt, aber ich kann diese Art von Kunstproduktion nicht mehr so abfeiern, da hat sich bei mir was geändert. Mein Gesprächspartner meinte, aber so, wie die das im Maxim-Gorki-Theater machen, gehts doch auch nicht, wo es nicht mehr wehtun und niemandem mehr wehgetan werden darf.
Ich hätte da keine Lust drauf
Eine andere Gesprächspartnerin meinte, die Problematik mit der Macht und dem Missbrauch, ließe sich doch am besten durch eine rigorose Einführung der Frauenquote ändern, denn dann würden endlich nicht mehr nur A...löcher in Führungspositionen sitzen und alle unterdrücken. Aber Frauen können auch sehr schlimm sein und bei einer Frauenquote kämen ja dann auch nur die stärksten, durchsetzungsfähigsten Frauen an die Macht, also die Alpha- Weibchen sozusagen, meinte ich.
Außerdem können wir ja auch froh sein, wenn es Leute gibt, die unbedingt an die Spitze wollen, weil ich hätte da erstens keine Lust drauf und zweitens wäre ich, einmal ganz oben angekommen, auch ein ziemliches Biest. Meine Exmänner würden das jedenfalls sofort bestätigen, obwohl sie damit natürlich Unrecht hätten.
Die Berlinale ist vorbei, schon ab heute nachmittag kräht vorerst kein Hahn mehr nach dieser Veranstaltung, aber das Spiel um Geld, Macht und Sex, das geht immer weiter. Und insofern ist nach der Berlinale vor der Berlinale. Film ab.
Kommentare 4
++ Aber Frauen können auch sehr schlimm sein und bei einer Frauenquote kämen ja dann auch nur die stärksten, durchsetzungsfähigsten Frauen an die Macht, also die Alpha- Weibchen sozusagen, meinte ich. ++
Aha, dann lieber miese Männer an die Spitze. Fakt ist: Die meisten Frauen mögen andere Frauen nicht. Sie offensichtlich auch nicht. Vor allem, wenn sie eventuell durchsetzungsfähig wären. Was ist das bloß alles für ein Mist.
Das Gegenteil von einem Fehler ist wieder ein Fehler.
Außerdem können wir ja auch froh sein, wenn es Leute gibt, die unbedingt an die Spitze wollen, ...
Also, ich glaube ja, das hat die Autorin gar nicht Ernst gemeint. Entweder, es war bitterer Sarkasmus (was für eine tolle Deutsche Bahn könnten wir haben, wenn dort keiner mehr an die Spitze wollte), oder ihr wurde gesagt, solche Sprüche wie der eben zitierte seien total umstritten, weil frauen- oder männerfeindlich, und führten zu geilen Kontroversen.
Naja, how auch ever.
»Die Berlinale ist vorbei, schon ab heute nachmittag kräht vorerst kein Hahn mehr nach dieser Veranstaltung, (…)«
Ein paar zutreffende Sachen aufgespießt – wenn auch in einer weniger »analytischen« Form, als mir lieb wäre.
Punkt eins: Jurys werden chronisch überschätzt. In der Regel sind sie nicht mehr als (mehr oder weniger) kompetente Platzhalter, die einen oder mehrere aus ihren Reihen küren bzw. bepreisen. Das ist beim Oscar nicht anders; warum sollte das Spiel ausgerechnet auf der Berlinale anders laufen?
Punkt zwei: »NAU« ist ein Skandal. Dass da (bislang) nicht mehr auf die Barrikaden gegangen sind, ist bezeichnend für jene Form Sippenwirtschaft, die stets dann zustandekommt, wenn Politik- und Kulturklüngel untransparente Spezialagendas verfolgen – wie im Fall »Natasha« offensichtlich der Fall (man wollte sich den Hieb auf Paris, dass die Show – anders als Berlin – schlussendlich genommen hat, dann wohl doch nicht verkneifen, und den guten Herr Lederer, der 2018 diesbezüglich tief in die Toilette gegriffen hat, so quasi kulturell »rehabilitieren«).
Punkt drei: die deutsche Filmwirtschaft ist eine Mafia, siehe Punkt zwei. Das gängige Förderkonstrukt unter starker Beteiligung des Ö/R-Sektors (also der Politik) ist per se nicht geeignet, Innovation, Wagnis und Kreativität zu befördern. Summa summarum ist der deutschsprachige Filmnachwuchs so nichts weiter als ein Zulieferbetrieb für die domestizierten Spezialslots der Staatssender (der Rest ist Till Schweiger & Co.) – und kann in der derzeitigen Verfasstheit auch nichts anderes sein.
Punkt vier: Iron hat irgendwann vielleicht mal Blödes gesagt. Ich und vermutlich selbst die Autorin irgendwann sicher ebenso. Die Auswahl-Frage auf diese mit Identitätspolitik-Argumenten präsentierte Weise zu kritisieren, überschätzt die Rolle einzelner Beteiligter und geht an der strukturellen Grundmalaise (siehe Punkt drei) vorbei.
Punkt fünf: Nicht alle Film-Festivats sind per se be…scheiden – auch das Berliner nicht. Vielmehr sind sie – kritisierenswerte Einzelentscheidungen ausgenommen – das Gerüst, mittels dem sonst untergehende Independent-Produktionen noch den Hauch einer Chance öffentlicher Wahrnehmung haben.
So viel zum Berichterstattungfinale. Meine in Vorkommentaren zum Ausdruck gebrachte Einordnung Ihrer schlechten Laune überdenke ich gern nochmal – notfalls sogar selbstkritisch.