Inge Höger ist Diplom-Betriebswirtin und seit vielen Jahren aktiv in Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der Frauenbewegung. Sie hat 2005 die WASG in NRW mit gegründet und ist seit Ende Juni 2005 auch Mitglied der Linkspartei.PDS.
FREITAG: Am Mittwoch vergangener Woche hat das Berliner Landgericht entschieden, dass die WASG-Berlin eigenständig zur Abgeordnetenhauswahl antreten darf. Die Absetzung des Landesvorstands und der Rückzug der Wahlanzeige durch den Bundesvorstand, sind damit nichtig. Sind Sie darüber enttäuscht oder erleichtert?
INGE HÖGER: Ich habe das Urteil so erwartet. Meine Position war immer, dass ich es wichtiger finde, sich inhaltlich mit der Regierungspolitik in Berlin auseinander zu setzen und die Programmdebatte für die neue linke Partei zu führen, anstatt mit Ordnungsmaßnahmen Differenzen ausräumen zu wollen.
Mit dem eigenständigen Antritt sind Risiken verbunden, einerseits für den Parteibildungsprozess, andererseits für die Bundestagsfraktion.
Dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen. Zur Bundestagswahl haben WASG-Mitglieder auf den offenen Listen der Linkspartei kandidiert - es hat kein Wahlbündnis gegeben. Wir haben uns klar an das Bundeswahlgesetz gehalten, das bestätigt übrigens auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Zwar sind Klagen anhängig, die das anzweifeln, aber ich denke nicht, dass die Fraktion dadurch gefährdet ist. Zum Thema Parteibildung hat mein Fraktionskollege Herbert Schui kürzlich geschrieben, es sei sicherlich ein Problem, dass heute noch die Parteien in Berlin gegeneinander antreten und nach der Wahl sprechen sie über die Fortsetzung eines Parteibildungsprozesses. Das verkompliziert alles. Aber es wird das Projekt einer neuen Linken nicht insgesamt gefährden.
Klaus Ernst hat zwar gesagt, es werde keine weiteren Schritte gegen die Berliner geben. Viele beklagen dennoch einen autoritären Stil der Führung. Haben sich die Fronten verhärtet?
Sicherlich hat der Verlauf des Konflikts die Fronten sowohl innerhalb der WASG als auch zwischen den Parteien verhärtet, das hätte sich anders abgespielt, wenn man vernünftig miteinander geredet hätte. Aber es wurde auch ein Lernprozess in Gang gesetzt. Auch ich habe dazugelernt. Die WASG hatte von Anfang an den Charakter einer Sammlungsbewegung. Für viele soll die neue Linke mehr sein als Linkspartei plus WASG. Eine wichtige Gründungsidee der WASG ist auch, aus der Entwicklung der Grünen zu lernen: Wir wollen nicht nach und nach unsere Grundsätze verwerfen und uns unbequemer Strömungen entledigen, sondern uns durch Pluralität, Demokratie und einen anderen Umgang miteinander auszeichnen. Ich halte an diesem Ziel weiter fest.
Blockiert ein konfrontativer Wahlkampf zwischen WASG und Linkspartei.PDS nicht die gemeinsame Arbeit?
Im Grunde wäre es gerade in einem Wahlkampf wichtiger, die Politik der wirklich neoliberalen Parteien anzugreifen. Aber viele in der WASG unterstützen durchaus die Entscheidung, in Berlin anzutreten. Es gehört zum Parteibildungsprozess, über das Programm einer gemeinsamen Linken zu sprechen, einschließlich der Frage, unter welchen Bedingungen man sich an einer Regierung beteiligen kann. Dieses Problem ist nicht geklärt und die Auseinandersetzung darüber müssen wir weiter führen.
Was kritisieren Sie an der Berliner Linkspartei?
Die Situation in der Hauptstadt ist zweifellos ungeheuer schwierig. Aber am Verhalten der Linkspartei war problematisch, dass sie ihre ganze Politik der Haushaltskonsolidierung untergeordnet hat. Sie hatte dadurch von Anfang an eine völlig verengte Sicht und hat sich von eigenen Zielen entfernt. Vergangene Woche haben die beiden Parteispitzen ein Manifest mit dem Titel "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" vorgestellt, in dem steht, Regierungsbeteiligung sollte man nur anstreben, wenn man wirklich etwas erreichen kann und wenn man keinen Sozialabbau betreiben muss. Wir müssen uns fragen: Was hat die Linkspartei in der Regierung erreicht? Stimmt das eigentlich noch mit ihren politischen Zielen überein? Ich war immer gegen den eigenständigen Antritt der Berliner WASG, hätte mir aber auch gewünscht, dass es gelungen wäre, über diese Fragen schon viel früher zu diskutieren.
Sind Sie der Ansicht, dass die Ergebnisse der Berliner Regierungsbeteiligung der Linkspartei nicht mehr mit ihren Grundsätzen übereinstimmen?
Ja, der Ansicht bin ich. Wenn man in Berlin mit der SPD noch mal verhandelt, muss man schon sehr genau ausloten, was möglich ist und was nicht. Als Linke müssen wir uns immer überlegen, ob wir in der Opposition oder in der Regierung mehr erreichen. Wenn sich abzeichnet, dass die Partei in der Regierung nur gefesselt ist, dann halte ich es für sinnvoller, eine klare Oppositionspolitik zu machen und sich mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen zusammenzutun. Schließlich haben wir an der rot-grünen Bundesregierung genau dies sehr scharf kritisiert: Sie hat eine Politik gegen die Menschen in Deutschland durchgesetzt, wie sie Schwarz-Gelb nie hätte durchsetzen können, weil sie den Protest großer Teile der Bevölkerung gegen sich gehabt hätte. Das ist Grund genug, eine Regierungsbeteiligung an unumstößliche Bedingungen zu knüpfen.
Abgesehen von der Frage der Regierungsbeteiligung, wo gibt es noch Differenzen mit der Linkspartei?
Wir müssen zum Beispiel diskutieren, in welchem Umfang wir die öffentliche Daseinsvorsorge ausbauen müssen. Ein weiterer Punkt ist die Anerkennung von Tarifverträgen und tariflichen Standards; wie kann versicherungspflichtige Beschäftigung ausgebaut werden? Auch beim Thema Zukunftsinvestitionsprogramm und dem Anspruch einer klaren Haltung gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr sehe ich noch Diskussionsbedarf mit der Linkspartei.
Eignet sich die jetzt beschlossene Kampagne gegen Privatisierung für mehr Gemeinsamkeit?
Es gibt in der Frage von Privatisierung große Schnittmengen. Darüber sollten wir in der nächsten Zeit intensiver diskutieren als über den eigenständigen Antritt in Berlin. Wir müssen die verhärteten Fronten wieder aufbrechen. Es gibt in beiden Parteien Strömungen, die dem Widerstände entgegensetzen und gerade ein bisschen die Oberhand bekommen haben. Es sollte jetzt aber gelingen, diese Auseinandersetzung zu überwinden zugunsten einer inhaltlichen Programmdebatte. Das Projekt einer gemeinsamen Linken dürfen wir nicht scheitern lassen, denn wir haben eine historische Verantwortung, dass es hierzulande wie in anderen europäischen Ländern eine starke linke Partei gibt.
Das Gespräch führte Connie Uschtrin
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