Mit einiger Verzögerung ist der Fall Gina-Lisa Lohfink nun auch in Österreichs Medien angekommen. Allerdings wird er hier keine große Debatte auslösen, denn Österreich hat im Gegensatz zu Deutschland bereits die europäische Istanbul-Konvention unterschrieben und Anfang dieses Jahres das Strafrecht um den sogenannten Po-Grabsch-Paragrafen erweitert, der entwürdigendes Berühren unter Strafe stellt. Zudem sieht man aus einiger Entfernung und mit etwas anders gelagerter Erregungsmentalität manche Dinge etwas anders.
Interessant ist aber, warum die Sache gerade jetzt so hochkocht: Eine gut aussehende Dame mit Potenzial zur Sexbombe prollt sich ein paar Jahre durchs sogenannte „Unterschichten“- und Werbefernsehen, lässt sich Lippen und Brüste aufspritzen, dreht einen eigenen Softporno, wechselt Liebhaber und auch mal eine Liebhaberin, bekommt einen Preis für „beste Selbstvermarktung“. Im Laufe dieser Karriere wird Lohfink im Jahr 2012 von zwei Typen mutmaßlich mit K.-o.-Tropfen bewusstlos gemacht und sie filmen den Sex mit dem wehrlosen C-Promi.
Der Rest ist sattsam bekannt. Lohfinks Anzeige der Vergewaltigung wird zurückgewiesen, im Gegenzug erhält sie einen Strafbefehl wegen falscher Beschuldigung und soll 24.000 Euro zahlen. Dieses Urteil ist schon länger bekannt, aber erst jetzt, da Lohfink dagegen in Berufung geht, beginnt die Aufregung und es solidarisiert sich unter #teamginalisa ein bürgerliches Publikum mit dem It-Girl. Klar, es geht um Vergewaltigung und die Frage, wer hier Täter und wer Opfer ist. Es geht um die Vermarktung von Sex und Sex-Appeal. Und es geht um die Selbstbestimmung von Frauen und ums Strafrecht. Aber welche Geschichte wird hier eigentlich erzählt?
Kreislauf der Erregung
Etwas abseits des Offensichtlichen erscheint der Fall als Paradebeispiel jener Gesellschaftsbeschreibung, die Paul B. Preciado in dem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch Testo Junkie gibt. Die These des Buches lautet, kurz gefasst, dass wir seit Mitte des 20. Jahrhunderts einem „pharmapornografischen Regime“ unterworfen seien, das die Körper durch und durch reguliere. Preciado wehrt sich gegen die derzeit gängigen soziologischen Analysen, die von „postmateriellem Kapitalismus“, von „immaterieller Arbeit“ oder auch von „Feminisierung der Arbeit“ sprechen. Sie alle, so meint Preciado, drückten sich um „den feuchten Kern“ der Wahrheit herum, dass der postfordistische Kapitalismus wesentlich auf Produktivmachung und Ausbeutung unserer Genussfähigkeit ziele, also auf Erregung beziehungsweise den ewigen Sucht-Kreislauf von Erregung-Frustration-Erregung. Pharmapornografisch nennt Preciado dieses System, weil pharmazeutisch-synthetische Stoffe und die intendierte Lustproduktion die Gesellschaft wie zwei Tentakel im Griff hätten. In dem den Körper durchdringenden Biokapitalismus wird alles zum Artefakt. Von der Botox-Behandlung bis zur Reproduktionsmedizin ist nichts mehr natürlich.
Man mag diese Thesen für überzogen halten, aber gut an ihnen ist, dass sie aus klassischen Denkmustern befreien und die bürgerlich-feministisch inspirierten Debatten hinter sich lassen. Mit Testo Junkie schaut man sozusagen aus zukünftiger Perspektive auf die Gegenwart. Preciado selbst nimmt – ohne medizinische Anleitung und ohne eine Umwandlung zum „Mann“ zu intendieren – Testosteron als Gel, das er/sie auf die Haut aufträgt. Er/sie beschreibt dies als erotischen Akt, als Drogenabhängigkeit und als politische Intervention. Denn die einzige Möglichkeit, dem pharmapornografischen Regime die Stirn zu bieten, liege darin, die pharmazeutischen und pornografischen Mittel selbst in die Hand zu nehmen, sie anarchistisch anzueignen. Der Körper müsse zu einer „biopolitischen Plattform“ des Experiments werden, zu einer Art Schnittwunde, meint Preciado.
In gewisser Weise gehört Gina-Lisa Lohfink genau hierher: Mit ihrer nicht mehr nur „mikroprothetisch“ aufgeputschten Weiblichkeit ist sie die perfekte Verkörperung des pharmapornografischen Regimes, sie ist Unterworfene, aber genauso auch eine Agentin der Subversion, weil sie sich bewusst die Produktionsmittel Titten, Lippen, Arsch, hyperblonde Mähne aneignet und – so würde es die Soziologin Catherine Hakim sagen – „erotisches Kapital“ daraus schlägt. Dass sich die Medien über ihre angeblich missratenen, weil „unnatürlich“ wirkenden Schönheitsoperationen lustig machen, scheint Lohfink nicht weiter zu stören. Die haben nichts begriffen, es geht nicht um Natur, sondern um Kunst, um die Herstellung von „Supersignals“.
Also welche Geschichte wird in Deutschland gerade erzählt? Natürlich geht es ums Sexualstrafrecht, und „nach Köln“ liegen die Nerven sowieso blank: Ein Nein ist ein Nein. Teresa Bücker hat eine flammende Streitschrift für Lohfink und alle Frauen in dem Online-Magazin Edition F veröffentlich. Unglaublich sei, dass man angesichts des Vergewaltigungsvideos im Netz Lohfink nicht glaube, das Strafrecht schütze Frauen nicht. Sollte dieser und Lohfinks Protest Gehör finden, wird ein Pin-up-Girl zur Vorreiterin für die lang ausstehende Verschärfung des Sexualstrafrechts.
Mit einer Preciado-Brille auf der Nase sieht man aber auch, dass die Regeln umso strenger werden, je pornofizierter die Welt daherkommt: Ihr dürft schauen, aber es euch nicht nehmen. Das ist das Disziplinierungsprogramm eines ständig erregbaren Voyeurismus. „Nach Köln“ hatte ein Polizeivertreter gewagt vorzuschlagen, Frauen sollten sich, zu ihrer eigenen Sicherheit, nicht so aufreizend anziehen. Er wurde mit Häme überschüttet. Solche Statements sind heute ein No-Go. Warum aber? Ist es ein heiliges Recht der Frauen, visuell Nutte zu spielen, ohne real für eine gehalten zu werden? Ja, paradoxerweise ist es das.
Testo-Frauen und Cis-Männer
Es geht in der Debatte aber auch um die unsichere Wahrheit des Bildes. Eine Kommentatorin wirft Teresa Bücker Naivität vor. Bücker sehe nicht, dass Lohfink nur einen Vermarktungsgag lande, einen reinen „Promomove“. Selbst wenn das so sein sollte, würde es etwas ändern? Die Rechtsprechung und auch die Annahmen des bürgerlichen Feminismus beruhen auf einer Unterscheidung zwischen „wahr “ und „inszeniert“, Opfersein und Tätersein. Aber dies sind Kategorien einer alten Epoche. Die medial vermittelte Wirklichkeit ist theatral, sie geschieht, um Bilder zu inszenieren, um Gefühle und Erregung zu erzeugen. In diesem Fluidum ist die Differenz zwischen „Promomove“ und echtem Anliegen obsolet.
Die eigentliche Frage aber ist: Wieso dachten Sebastian C. und Pardis F. mit ihren Fliegenhirnen, dass sie viel Geld bekommen können für ein Video, das zeigt, wie sie eine ausgeknockte Gina-Lisa Lohfink vergewaltigen? Dieser Porno als Reality-TV bestätigt die alte These, dass sexuelle Gewalt nicht Befriedigung sexueller Triebe will, sondern Macht. Die Gina-Lisa-Subversionspower funktioniert, aber sie provoziert auch Gewalt und die verfickte männliche Freude darüber, eine Frau zu „schänden“, weil es offenbar nicht zu ertragen ist, Frauen nicht zu besitzen.
Was die Frage der Gewalt angeht, lässt uns Preciados Theorie-Universum im Stich. Es heroisiert Punk, Drogen, omnipräsenten Sex und die Selbst- und Fremdverletzung, die notwendig damit einhergeht, das pharmapornografische Regime mit eigenen Mitteln schlagen zu wollen. In diesem System narzisstischer Selbstüberschätzung werden Missbrauch, Gewalt, „Kollateralschäden“ nicht ausbleiben. Da möchte man doch einwerfen: Sind nicht ein paar bürgerliche Errungenschaften wie Rechtsprechung oder liberal-braver Feminismus manchmal auch ganz vernünftig?
Preciado indes hat andere Ideen. Sein/ihr Vorschlag an die Frauen wäre: „Nehmt Testo!“ Das rät er/sie Sexarbeiterinnen, die auf der Straße nicht erkannt werden wollen, er/sie propagiert es als Mittel der Empfängnisverhütung (ja, Testosteron statt Östrogen!) und der „politischen Geschlechtsregulation“. Sich den Phallus aneignen, selbst ein bisschen Mann werden und Cis-Männer – pardon – in den Arsch ficken, das ist das transfeministische Programm. Vielleicht wäre das Problem des Feminismus ja wirklich gelöst, wenn alle Männer die Erfahrung des Penetriertwerdens durch Frauen machen, die hin und wieder Testo nehmen. Klingt queer. Ob das Gina-Lisa Lohfink gefallen würde?
Kommentare 21
Ein Nein ist ein Nein.
Zweifellos. Doch war das strafrechtlich schon immer so. Seit eh und je geht es im Strafprozess bei Vergewaltigung um die Frage, ob die Frau Ja oder Nein gesagt hat. Ich frage mich, was sich durch neue Gesetze daran ändern soll. In der Regel wird auch weiterhin Aussage gegen Aussage stehen und der Grundsatz in dubio pro reo zu beachten sein.
Es liest sich schon wie ein Selbst-Schuld-Argumentationsversuch, bei dem die Männer die Opfer einer pornofizierten Welt sind. Und da gilt "Ihr dürft schauen, aber es euch nicht nehmen" offenbar als strenge Regel?
Es geht bei dieser "Geschichte" grundsätzlich nicht um eine Frau, die Sex hatte, wie es stellenweise in dem Artikel klingt, obwohl das sicher nicht die Absicht war.
Aber ... "Ist es ein heiliges Recht der Frauen, visuell Nutte zu spielen, ohne real für eine gehalten zu werden?"
Wie sieht denn eine Nutte aus? Und wenn jemand visuell Nutte spielen sollte, sie verdienen ihr Geld eigentlich nicht dadurch, dass sie vergewaltigt werden. Also selbst wenn Sie Frau Lohfink als Nutte bezeichnen wollten, das hinkt.
Ich finde viel Überlegenswertes über die Kultur, in der sich das alles abspielt. Dabei wird aber in der Tat die Frage völlig in den Hintergrund gedrängt, um die es geht: Vergewaltigung oder nicht. Sicher gibt es da eine Unsicherheit des Bildes usw.. Es gibt aber auch einen anderem Umgang mit Gina Lisa Lohfink als mit anderen Frauen. Die Autorin macht sie zur Protagonistin einer Welt von Inszenierungen, die Gefahrenpotential enthalten, mit dem sie rechnen müsste - einschließlich Sex gegen ihren Willen.
Für mein Empfinden gibt es da vier Ebenen, die sich gegenseitig durchdringen.
Auf der juristischen Ebene müsste es völlig gleichgültig sein, wie eine Frau sich verhält, nichts was sie tut, gibt einem Mann das Recht, sie zu vergewaltigen. Entsprechend müssten die Urteile ausfallen.
Aus einer evolutionär-biologischen Sichtweise ist Sex zur Fortpflanzung da; eine mit sexualisierender Kleidung und sexualisierendem Gebaren agierende Frau signalisiert demzufolge Fortpflanzungsbereitschaft und appeliert damit an die korrespondierenden Instinkte bei Männern. Auf dieser Ebene ist die Frage der Freiwilligkeit gegenstandslos, wichtig ist nur, dass der Akt zustandekommt.
Auf einer kulturellen Ebene hat die Menschheit die Sexualität vom Fortpflanzungsaspekt abgelöst und in einen Vergnügensaspekt überführt, beides zumindest partiell und in Abhängigkeit von der vorherrschenden Kultur in höherem oder geringerem Maße. Auf dieser Ebene ist Sexualität Aspekt von Selbstbestimmung und geteilte Sexualität somit Verhandlungssache. Vergewaltigung ist ein NoGo, das von kulturellen Hintergrundparametern mehr oder weniger auf- oder abgewertet wird.
Auf einer pragmatischen Ebene wäre es wünschenswert, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Durchdringung der biologisch-evolutionären und der kulturellen Ebene nicht eben das trivialste aller Probleme darstellt. Selbstverständlich muss ich als Frau mir in jedem Augenblick sicher sein können, dass mein Wille nicht gebrochen wird. Die Klugheit gebietet aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Sicherheit nicht gegeben ist. Es gibt Versuche, diese Sachlage zu entschärfen, die Sicherheit von Frauen zu gewährleisten, aber diese Versuche sind bislang nicht von Erfolg gekrönt.
Wenn ich das als Frau zur Kenntnis nehme - es nicht zu tun wäre wirklich dumm - ist die Einsicht eigentlich banal, dass meine Sicherheit als Frau sehr wohl mit meinem Verhalten und meiner Aufmachung zusammenhängt. Recht und Gesetz kann keine völlige Sicherheit erzwingen, aber ich kann Unsicherheit minimieren (nicht: aufheben). Die Frage, der ich mich als Frau alos gegenüber sehe, lautet, ob mir mein aufreizendes Gebahren so wichtig ist, dass eine mögliche, aber nicht sichere Verurteilung meiner Vergewaltiger mich zufriedenstellt. Oder ob der Aspekt, dass ich selbst im Fall einer erfolgten und vollzogenen Verurteilung dann eben trotzdem vergewaltig worden bin.
Ich nenne das die pragmatische Ebene, weil eben die juristische Ebene davon nicht beeinflusst werden darf. Juristisch muss eineindeutig klar bleiben, dass Vergewaltigung in jedem Fall strafbewehrt ist.
Die pragmatische Ebene weiß einfach nur darum, dass die juristische Ebene an der alltägliche Gefährdung nichts bis wenig ändert. Was einerseits etwas mit Problemen der juristischen Ebene zu tun hat, andererseits aber mit dem schlichten Umstand, dass Sexualität etwas mit sexueller Gier zu tun hat, und dass alle Weichspülung nichts daran ändert.
am Ende des drittletzten Absatzes fehlt "nicht doch ein Problem darstellt und mich möglicherweise in meinen Grundfesten erschüttert".
Dann gibt es da noch eine weitere Ebene, die der Betäubungsmittel.
Wer ein Opfer betäubt, tut das vorsätzlich und heimtückisch. Die Gesetzeslage gegen Vorsatz einer Straftat und Heimtücke ist eindeutig.
Dazu ein Fall aus unseren leiben Golfstaaten.
Die Gesetzeslage gegen Vorsatz einer Straftat und Heimtücke ist eindeutig.
In der Tat. Aber auch diese eindeutige Gesetzeslage ändert nichts daran, dass die Straftaten begangen werden, so dass sich die Frage ergibt, ob ich als Frau lieber versuche, die Wahrscheinlichkeit zu minimieren, Opfer einer solchen Straftat zu werden, oder ob es mich tröstet, die Täter hinterher bestraft zu sehen.
Gelegenheit macht Diebe.
Das Dilemma ist die anonyme Gesellschaft, in deren Deckung solche Straftaten erst möglich werden. Da ist die Rache der Gesellschaft, die Strafe, kein Ersatz.
In kleinen und dörflichen Gesellschaften oder in Wohnquartieren, wo sich alle kennen, ist das eher nicht möglich. Die scheinbar offene Gesellschaft wird hier zur Falle und bietet keinerlei Sicherheit - für niemand.
Harald Martenstein ist sicher unverdächtig, hier seine Geschichte:
Martenstein über eine Falle am Hauptbahnhof
ich argumentiere nicht gegen gesetzliche Regelungen - ob die bestehenden Regeln schon ausreichen würden, wenn es nicht die ... sagen wir mal ... Auslegungsprobleme der Justiz gäbe, kann ich nicht beurteilen. Mein Argument lautet, dass kein noch so scharfes Gesetz der Welt die Verbrechen verhindert, gegen die es sich wendet. Damit stellt sich für eine Frau die Frage, ob sie es neben Kampfsportkursen und militanten Selbstschutzgruppen bei einem "tu, tu, tu, das ist gegen das Gesetz" belassen will, oder ob sie gefahrenangemessen agieren will, inklusive ihrer Kleidung und ihres Verhaltens. Es laufen da draußen ziemlich viele beschissene Männer rum. Man kann das vorher wissen und sich darauf einstellen. Man kann natürlich auch darauf bestehen, dass die gesamte Gesellschaft sich ändern muss, damit ich mich als Frau so aufreizend zeigen kann wie ich will, ohne dass mir etwas passiert.
Das Problem ist nur, dass dies nur mit dem Teil der nännlichen Bevölkerung funktioniert, der ohnehin keine Frauen vergewaltigt.
Über den Punkt debattiere ich gar nicht, da sind wir einer Meinung. Selbst, wenn eine Frau nackt über den Bahnhofsplatz läuft, hat sie niemand zu belästigen.
Mein Hinweis war auf die Betäubung durch KO-Mittel gerichtet, das allein ist strafbar und reicht für eine Entlastung der Frau, wie im Fall Katar.
Offenbar reicht in Deutschland noch nicht einmal ein Video von der Tat. Also ist dieses Video entweder uneindeutiger, als es die Propaganda zu wissen glaubt, oder die Richter sind Scheißkerle. Keine Ahnung, hast du das Video gesehen?
Nein, ich fürchte, ein Video hat vor Gericht wenig Beweiskraft, weil jedes Video gefälscht werden kann, da sind die Richter konsequent, ob Scheißkerle oder nicht. Auch bei Aussagen, die nicht beweisbar sind oder sich gegenseitig widersprechen, müssen Richter auch schon mal Strolche laufen lassen.
Sehe ich auch so. Ich habe michgefragt, ob die Urteilsbegründung resp. der Richter deshalb außen vor bleibt.
Nichtsdestotrotz sind Roedigs Einlassungen gedanklich inspirierend, dagegen nehmen sich die Einwände Flaßpöhlers bei einer juristischen Verschärfung könne „zu einem Fehlurteil“ kommen ärgerlich „dämlich“ aus. Zu Recht wird der Kommentar als “bizarr“ bezeichnet, denn was Faßpöhler da (psychoanalytisch verschwurbelt) rüberbringt, ist ja die Behauptung, dass eine ,ob durch K.o.-Tropfen, Komasaufen oder physische Gewalt, ausgeknockte Frau/Person noch über ihre Entscheidungsmacht verfüge. Mal abgesehen davon, dass unter dem Deckmäntelchen von „Feminismus“ die krude Message steckt "zieh Dich anständig an, sauf nicht", ist doch genau das Gegenteil der Fall.
>>Bizarres 3sat-"Kulturzeit"-Gespräch über G.-L. Lohfink. Sexualstrafrecht trifft Rousseau<<
Der Rückgriff auf Rousseau hat schon was Bizarres in der Tat. Vor allem, wenn sie das "Nein" nun in die Kategorie genereller "Verneinung" packt. So ein Quatsch.
Zunächst mal ist es ja so, dass Hinweise auf KO-Tropfen von Sachverständigen nicht gefunden wurden. Heißt nicht, dass keine verabreicht wurden, aber es gibt keinen Beweis dafür.
Das Video zeigt die Beteiligten beim Sex und an verschiedenen Stellen sagt Frau Lohfink wohl "Hör auf", "Nein" und Ähnliches, außerdem wirkt sie wohl ziemlich weggetreten.
Dies nehmen viele Kommentatorinnen zum Anlass, sich selbst zum Richter aufzuschwingen und eine Vergewaltigung zu unterstellen. Freilich ohne Kenntnis der Prozessakten: Zeugenaussagen, Gutachten etc etc etc...
Gleichzeitig wird damit freilich der Richterin unterstellt, den Fall völlig falsch zu beurteilen, bzw. dass die Rechtslage nicht ausreiche, also die viel beschrieene vermeintliche "Schutzlücke".
Es wird weiterhin auch unterstellt, dass die Staatsanwaltschaft ohne besonderen Anlaß, Not und Grund, das jetzt laufende Verfahren gegen Frau Lohfink wegen Falschbeschuldigung eingeleitet hat, was allerdings ziemlich merkwürdig wäre.
Kurz: die Kommentatoren wissen es alles besser als professionelle Juristen.
Nun ist es aber Grundsatz der Rechtstaatlichkeit, dass eine Straftat zweifelsfrei bewiesen werden muss. Das impliziert, dass nicht alle Straftaten verurteilt werden können, ist aber immer noch besser als andersherum. In diesem Fall konnte die Richterin nicht zweifelsfrei erkennen, ob sich Frau Lohfinks "Nein" etc. auf den Geschlechtsverkehr insgesamt bezogen, auf das Filmen, auf eine bestimmte Handlung (z.B. Versuch des Oralverkehrs). Dass Frau Lohfink weggetreten wirkt ist auch nachvollziehbar, da sie an dem Abend reichlich Alkohol und Drogen zu sich genommen haben. Frau Lohfink hatte am Vorabend einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit einem der Beteiligten und ist offenbar auch nach der "Tat" mit einem der Beteiligten ausgegangen. Der Vorwurf der Vergewaltigung wurde erst nach dem Streit über die Veröffentlichung des Videos erhoben... Langer Rede kurzer Sinn, es gibt viele Fragezeichen. Es ist meiner Meinung nach offensichtlich, dass die Typen sich wie absolute "A***löcher" verhalten haben, trotzdem macht sie das nicht automatisch zu Straftätern. Es gibt immer noch das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und insofern sollten sich Kommentator*Innen hinsichtlich Vorverurteilungen zurückhalten. Das gilt insbesondere feministischen Kommentator*Innen, die der Verlockung besser widerstanden hätten, ihre politische Agenda mit diesem Fall stützen zu wollen, weil die realistische Gefahr besteht, dass es -einmal mehr - auf sie zurückfallen wird.
Wir werden sehen, wie das Berufungsverfahren ausgeht. Ich denke, etwas, was die Bewertung des Falles wirklich schwierig macht, ist die unrühmliche Bekanntheit von Frau Lohfink. Die darf keine Rolle spielen, aber ich merke an mir selbst, dass es mich Mühe kostet, neutral zu bleiben. Ich hoffe, dem Gericht gelingt das auch.
Endlich mal wieder ein richtig schöner Artikel aus dem Gender-Elfenbeintum.
Harald Martenstein ist sicher unverdächtig, hier seine Geschichte:
Weshalb sollte Martenstein sicher unverdächtig sein? Martenstein hat eine klare Agenda, die sich durch all seine Kolumnen zieht: Er mag keine Gutmenschen, hat ein etwas robustes Verhältnis zu Frauen und macht einen auf "gesunden" Menschenverstand, grobe Vereinfachungen inclusive.
In seiner Hauptbahnhof-Geschichte erzählt er, dass er nach der Hand der Frau gegriffen habe. Das ist für mich schon buchstäblich übergriffig, oder würden Sie das bei einer fremden Frau machen?
Kommt drauf an, was du unter "unverdächtig" verstehst.
Ich verstehe darunter, daß Martenstein kein Anhänger irgend einer Weltanschauung ist, sondern Journalist, der ein Problem in seinen Geschichten sehr genau auf den Punkt bringt.
In diesem Fall hatte er dargestellt, wie bivalent das Problem ist und wie leicht OttoNormalBürger darin verwickelt werden kann.
"Ist es ein heiliges Recht der Frauen, visuell Nutte zu spielen, ohne real für eine gehalten zu werden? Ja, paradoxerweise ist es das."
Kurz glaubte ich, mich verlesen zu haben. Doch beim zweiten Lesen wird mir klar: leider steht dies jedoch tatsächlich so in Ihrem Artikel, und sofort überstürzen sich in meinem Kopf Gedankengänge dazu, was an dieser Äußerung alles sexistisch und frauenfeindlich ist sowie Sexarbeiterinnen auf gefährliche Weise stigmatisiert:
Jeder Mensch hat das Recht, sich so zu kleiden, wie sie oder er möchte, ohne dafür diskriminiert, verachtet oder wie im vorliegenden Fall vergewaltigt (!) zu werden. Sexarbeit ist nicht, wie Ihr Text impliziert, ein gekauftes Recht auf Vergewaltigung – diese Perspektive verstellt jeden Blick auf die Arbeit, die Sexarbeit eben ist und der freiwillig nachgegangen wird. Erst, wenn wir von Unfreiwilligkeit sprechen, können wir auch von Vergewaltigung sprechen, denn dann handelt es sich um Nötigung oder Körperverletzung, aber eben nicht mehr um Sexarbeit. In diesem Fall sollten alle Menschen das Recht auf Schutz und Strafverfolgung der Täter haben, unabhängig davon, wie sie vor und während der Tat gekleidet waren oder sich verhalten haben.
In Kurzform: Sexarbeit ≠ Vergewaltigung; Auftreten, Verhalten & Kleidung ≠ Einladung zur Vergewaltigung
Ich wünsche mir in Zukunft differenziertere und reflektierte Artikel, insbesondere auf der Genderseite des Freitag!