Das Öko-Shaming der Armen

Konsum Bürgerliche Grüne können sich Verzicht leisten – doch die Klimawende gelingt nur, wenn alle mitgenommen werden
Ausgabe 38/2021
Das Öko-Shaming der Armen

Grafik: der Freitag; Material: Adobe Stock, iStock

Was getan werden muss, ist bekannt. Keine neuen fossilen Energien, keine neuen Autobahnen. Plus das Ende der „vertikalen Expansion“ (Luisa Neubauer), „also von Flächenverbrauch, Massentierhaltung, Monokultivierung“, und nicht zuletzt: „weniger Auto, weniger Fliegen, weniger Fleisch“. Doch noch weiß niemand, wie eine solide Demokratie mit einer schnellen Krisenintervention zusammengeht. In den Wahlprogrammen von CDU, FDP und SPD reduziert man die Klimakrise auf einen „Bruchteil ihrer Gefährlichkeit“ (Neubauer), ihr stärkstes Argument scheinen diese Parteien in dem Versprechen zu sehen, dass sich mit ihnen an der Macht nichts ändert.

Einzig die Grünen fordern eine echte Klimawende ein. In gewisser Weise sind die Grünenwähler, die sich überwiegend aus der urban-akademischen Mittel- und Oberschicht rekrutieren, den anderen immer um eine Stufe voraus – ökologisch wie auch ökonomisch. Es gibt kein anderes Milieu, dessen Lebensstil sich besser an die nachhaltige Lebensweise anschmiegt als dieses: Sie denken an die Zukunft – weil sie und ihre Kinder eine haben. Sie sind bereit, Konsumverzicht zu leisten – obwohl sie viel Wohlstand erworben haben. Weil sie weniger, aber besser konsumieren wollen, bevorzugen sie Lebensmittel aus biologischem Anbau und Produkte aus fairem Handel. Im Alltag fahren sie am liebsten mit dem Fahrrad, was aufgrund der kurzen Wege in den Innenstädten eine ideale Alternative zum Auto darstellt. Oftmals bewohnen sie energieeffiziente Neubauwohnungen oder gut sanierte Altbauwohnungen. Die Besteuerung von CO₂-Emissionen, nachhaltiger Konsum und weniger Auto stellen für sie keine echte Bedrohung dar.

Doch wie sieht es mit der ökologischen Gerechtigkeit aus? Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Frage von Aufklärung und Bildung – die im Zuge der CO₂-Besteuerung herbeigeführte Verteuerung von Benzin und Diesel um wenige Cent hat für arme Menschen nicht die gleiche Bedeutung wie für die Wohlhabenden. Das sollte bekannt sein. Aber auch in anderen Bereichen zeigen sich Ungerechtigkeiten. In Großbritannien verbrauchen die zehn Prozent einkommensschwächsten Haushalte im Durchschnitt weniger als die Hälfte der Energie, die von den zehn Prozent einkommensstärksten Haushalten verbraucht wird. In Deutschland kann der Vermieter die Kosten für umweltfreundliche Modernisierungen an den Mieter weiterreichen, was zur Verdrängung von Menschen aus ihren Wohnungen geführt hat. Folgen wir Jennifer Puls vom Paritätischen Gesamtverband, dann sind es keineswegs nur arme Bevölkerungsschichten, deren Wohnungen den modernen Energieeffizienzkriterien nicht entsprechen und die höhere Energiekosten bestreiten müssen. Auch die untere Mittelschicht ist betroffen. Die damit verbundene Belastung kann oftmals nur in Form einer radikalen Einsparung von Heizkosten kompensiert werden.

Zudem ist Umweltbewusstsein keineswegs immer eine notwendige Voraussetzung für Umwelthandeln. Während die nachhaltigen Konsumpraktiken privilegierter Bevölkerungsgruppen als Pionierleistung medial gefeiert werden, obwohl der Lebensstil dieser Gruppen (viele Flugreisen, größere Wohnungen) deutlich ressourcenintensiver ist, wird der sparsame Lebensstil der Einkommensschwachen kaum gewürdigt. Im Gegenteil: Immer wieder werden Letztere als die vermeintlichen Hauptverursacher der Umweltprobleme herbeizitiert, weil sie im Discounter kaufen, angeblich zu viel Fleisch essen und auf ihr Auto nicht verzichten wollen.

Wie also kann die ökologische Wende gelingen? Ganz einfach: Die Regierung muss die Umsetzung eines sozial gerechten Klimaschutzes leisten. Es kann nicht sein, dass die ärmeren Haushalte, deren ökologischer Fußabdruck geringer ausfällt als der Fußabdruck der durchschnittlichen Grünenwähler, den Gürtel noch enger schnallen müssen und obendrein durch höhere Energiekosten bestraft werden.

Cornelia Koppetsch ist Soziologieprofessorin

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden