Das papierne Doppel

Lückenfüller Eine kleine Geschichte der Identitätspapiere Reisepass und Personalausweis

Anseiim Chukwugozie Udezue, geboren am 3. Oktober 1967, kommt aus Britisch-Honduras. Das steht zumindest auf seinem Ausweis und der ist übersät mit Wasserzeichen, Stempeln, den Vermerken "secure" und "valid" und einer Unterschrift. Diese geballte Ladung an Sicherheitsmerkmalen hat die Beamten in Österreich, Deutschland und der Schweiz überzeugt: Sie stellten ihm 1998 jeweils ein dreimonatiges Touristenvisum aus. Erst bei der Weiterreise am Zürcher Flughafen traf er auf einen geographiekundigen Grenzbeamten. Britisch-Honduras findet sich auf keiner Landkarte.

Der Reisepass ist eine der wirkungsmächtigsten Erfindungen des Mittelalters, und Valentin Groebner, Historiker aus Luzern, hat ein spannendes Buch über den Schein der Person geschrieben. Seine noch heute aktuelle Leitfrage lautet: Wie wird die Kluft zwischen der Person und ihrem Ausweis geschlossen?

Groebner interessiert sich für die materielle Kultur der Ausstellung und Überprüfung von Ausweispapieren zwischen dem 13. und dem 17. Jahrhundert, jener Zeit also, in der sich die staatlichen Erfassungsmaschinerien mit ihren Registern und Aufschreibesystemen ausbildeten. Er rekonstruiert die Techniken der Identifizierung, die sich auf Kleider und dann zunehmend auf den Körper, die Farbe von Haut und Haar, die Narben und weitere "Besondere Kennzeichen" konzentrieren, eine Rubrik, die bereits 600 Jahre alt ist.

Groebner erzählt von mittels Brandzeichen stigmatisierten Sklaven auf dem Florentiner Markt und von Karl dem Kühnen, dessen Leiche nackt auf dem Schlachtfeld gefunden wurde und den seine Getreuen erst in fürstliche Kleider stecken mussten, um ihn zweifelsfrei zu identifizieren. Er verfolgt die Schicksale der Pilger, Söldner, Kaufleute und Spione, die sich durch das grenzenreiche Europa des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit schlagen, und ihre Papiere in Amtstuben und an Schlagbäumen vorweisen müssen.

Überzeugend arbeitet Groebner die Kluft zwischen dem Wunsch nach vollständiger Erfassung der Untertanen und dem oft kläglichen Alltag mangelnder oder fehlgeschlagener Kontrolle heraus. Falsche Namen und angeklebte Bärte, schlampig geführte Register, Bestechungsgelder und Personalmangel eröffneten den Andersgläubigen, Kriminellen, Deserteuren und frühneuzeitlichen sans papiers so manches Schlupfloch. Mit dem Aufkommen der allgemeinen Ausweispflicht vor etwa 400 Jahren begann auch die Hochzeit der Fälscher und der angenommenen Identitäten.

Folgenlos blieb der Wille zur Erfassung freilich keineswegs, wie Groebner klarstellt. Die Macht der Identifizierung ist vor allem ein Mittel des Ausschlusses ganzer Gruppen von Personen gewesen. Bezeichnend ist eine kaiserliche Anordnung von 1551, die Papiere von "Zigeunern" gar nicht erst zu kontrollieren, sondern gleich zu vernichten, weil diese nur falsch sein können. "Kurz, die Obrigkeit weigerte sich, ihre eigenen Zeichen in diesen Papieren wiederzuerkennen."

Groebner schreibt pointiert und witzig und hält eine gute Balance zwischen Fallbeispielen und Analyse, das Buch liest sich wie aus einem Guss. Der Autor bringt uns das Mittelalter im besten Sinne nahe und zeigt dabei angenehm wenig Respekt für Epochengrenzen.

So unternimmt der Mediävist am Ende einen Abstecher in unsere von maschinenlesbaren Kreditkarten und Ausweisen geprägte Gegenwart. Mit den biometrischen Merkmalen, die bald in unseren Pässen vermerkt und in Datenbanken gespeichert werden, soll die Lücke zwischen Dokument und Person endgültig geschlossen werden. Aber keine Panik, Orwells Big Brother bleibt bis auf weiteres ein Phantasma: Bisher sind alle Probeläufe mehr oder weniger gescheitert. Die neuesten Kontrollsysteme ließen sich von einem Fingerabdruck auf einem Gummibärchen und einem Irisfoto täuschen.

Valentin Groebner: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Mittelalter. C.H. Beck, München 2004, 230 S., 23,60 EUR


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