Ich würde Ihnen das auch unter meinem echten Namen erzählen, weil ich mittlerweile weiß, dass es nicht an mir ist, mich zu schämen. Und ich weiß heute, wie häufig es auch bei uns in Deutschland vorkommt, dass eine Frau von ihrem Partner geschlagen wird. Dass das in allen gesellschaftlichen Schichten passiert, dass auch starke, gebildete, emanzipierte Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sein können. Und dass niemand vorhersehen kann, ob der Partner, in den frau sich verliebt, irgendwann im Verlauf der Beziehung zum Täter wird. All das habe ich früher nicht gewusst. Mein Weltbild war ein einfaches: Wenn ein Mann eine Frau schlägt, dann verlässt sie ihn. Alles andere war für mich undenkbar.
Warum schreibt sie dann unter Pseudo
ter Pseudonym*?, werden Sie sich fragen. Damit sind wir schon mitten im Problem. Denn unser Rechtsstaat nimmt den Täterschutz sehr ernst. Und das nicht nur, solange nicht bewiesen ist, dass der Beschuldigte ein Täter ist, was bei sexualisierter Gewalt in der Ehe und sogenannten Familienstreitigkeiten sehr schwierig ist. Sogar wenn, wie in meiner Geschichte, der Vorfall, der zur Trennung führte, bei der Polizei aktenkundig ist und die schweren Verletzungen, die mein damaliger Mann mir zufügte, auf dem Dokumentationsbogen vom Vertrauensarzt festgehalten wurden. Auch, wenn der Täter die Tat nicht abgestritten hat und in der Gefährdungsansprache durch die Polizei verwarnt wurde. All das spielt keine Rolle, wenn es darum geht, ob ich erzählen darf, was mir passiert ist.Placeholder authorbio-1Die Persönlichkeitsrechte des Täters stehen über meinem Recht, mit meiner Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Mein Ex-Mann könnte mir eine Unterlassungsaufforderung zustellen lassen und diese Zeitung verklagen. Und das ist symptomatisch für unseren Umgang mit den Opfern von häuslicher und sexualisierter Gewalt. Wer das Trauma hat, soll auch noch den Mund halten.Mein Mann war kein Schläger. Er war feinsinnig, humorvoll und charismatisch. Ein Mann, der andere beeindruckte und genau wusste, was er wollte. Er wollte mich, und er bekam mich – sein Werben um mich war hartnäckig und charmant. Er war liebenswert, hatte eine sympathische Familie, wir heirateten und waren glücklich. Und doch mutierte genau dieser Mann im Verlauf unserer elfjährigen Beziehung zu einem gefährlichen Pulverfass.Es fing damit an, dass ihm nie irgendetwas gut genug sein konnte. Mangelnde Perfektion brachte ihn in Rage. Das verstand ich, auch ich habe einen Hang zum Perfektionismus. Allerdings gestand ich meinem Mann zu, nicht perfekt zu sein. Umgekehrt galt das nicht: Je länger wir ein Paar waren, desto perfekter sollte ich sein. Ich gab mir immer mehr Mühe, seinen Anforderungen zu entsprechen, damit er wieder so liebenswürdig wie am Anfang oder einfach nur normal sein würde. Ein vergebliches Unterfangen, wie ich heute weiß.Humorvoll und charismatischWir bekamen drei Kinder, wir arbeiteten viel, wir waren ein super Paar. Nach außen. Innen gärte es. Oft flogen Teller oder Gläser durch die Wohnung, wenn er wegen Nichtigkeiten „die Wut“ bekam. Ich nahm das nicht so ernst, auch wenn es mich störte. Der Mann hatte einen anstrengenden, fordernden Job, da war es doch klar, dass er gestresst war. Ich fing ihn auf, so gut ich das konnte, und oft gelang mir das auch. Ich fühlte mich stark, nicht als Opfer – mein Selbstbild sah nicht vor, dass ich mich in einer missbräuchlichen Beziehung befinden könnte. Opfer, das waren andere. Ich war eine Frau, die viel aushielt.Irgendwann, nach über acht Jahren Beziehung, fing ich mir erstmalig eine Ohrfeige ein – ich dachte, das sei ein Ausrutscher gewesen, es tat ihm ja auch leid. Weitere Jahre blieb es bei fliegendem Geschirr und Beleidigungen. Allerdings traten die Wutanfälle immer häufiger auf. Es flogen auch ganze Möbelstücke, er trat Scheiben ein – die Grenzen dessen, was ich für erträglich hielt, verschoben sich unmerklich.Und dann entschuldigte er sich stets reuig, wie das Klischee es will, mit üppigen Blumensträußen und erlesenen Geschenken. Er ließ mich auch sexuell für eine Weile in Ruhe. Das war mir sehr angenehm, denn der Mann begehrte mich im Prinzip von früh bis spät. Was mir zu Beginn der Beziehung als Kompliment und körperliche Freude erschienen war, hatte sich über die Jahre längst zur ehelichen Pflicht gewandelt. Unser Versöhnungssex bestand also quasi in einer Pause, auch dies ganz anders, als man sich das bei Beziehungen, in denen Gewalt eine Rolle spielt, vorstellt.Ich verzieh ihm immer wieder. Nicht der Geschenke wegen, sondern weil er so geknickt war, weil er sich selbst anklagte, es sei besser, er wäre tot, er sei ein schlechter Mensch. Nein, das war er nicht, davon war ich überzeugt. Auch, weil wir mittlerweile drei Kinder hatten. Die brauchten ihn doch, ich konnte ihn nicht verlassen. Wie sollte das denn gehen?Dabei dachte ich oft daran, ihn zu verlassen. Wirklich getan habe ich es aber erst, als ich verstand, dass er mich eines Tages aus Versehen töten würde, wenn ich bliebe. Da lag ich rücklings mit einem Messer am Hals auf dem Ceranfeld unseres Herdes, der Mann hielt mich im Würgegriff. Vorher hatte er mich schon an den Haaren durch die Wohnung gezerrt und mit dem Hinterkopf gegen eine Wand geknallt. Meine Brille war zerknüllt, ich war völlig ausgeliefert. Zum Glück haben die Kinder das nicht gesehen. Ich will mir nicht vorstellen, wie sich diese Bilder in ihren Seelen festgebrannt hätten.Es war das zweite Mal, dass er so austickte. Der letzte Vorfall lag zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr zurück, und ich war sicher gewesen, dass das nie wieder vorkommen würde. Heute weiß ich, dass wer ein Mal schlägt und die Grenze zur körperlichen Gewalt überschreitet, das wieder tun wird. Und es wird jedes Mal schlimmer werden. Gewaltspirale nennt man das. Es ist ein fataler Zyklus, aus dem der Ausstieg nicht nur schwierig, sondern auch gefährlich ist.Wie besessenDer gefährlichste Moment in einer Beziehung mit einem gewaltbereiten Mann ist die Trennung, sagen Fachleute. Und so war es auch bei mir an jenem Abend. Ich hatte ihm gesagt, dass ich mich trennen wolle, in aller Fairness. Dann ging alles ganz schnell. Das Gesicht des Mannes, den ich geliebt hatte, verzog sich zu einer dunklen Fratze. Seine Augen wurden schwarz, er war wie ein Fremder im vertrauten Körper des Mannes. Wie besessen, anders kann man das wirklich nicht sagen. Als sei er nicht die Person, mit der man seit vielen Jahren das Leben und das Bett teilt. Ich schrie nicht, ich wehrte mich nicht, ich war starr vor Schock. Das aber, sagten mir hinterher die Polizei und auch meine Therapeutin, habe mir in der Situation vielleicht das Leben gerettet. Oder mich vor Schlimmerem bewahrt. Denn wer sich wehrt, wird oft weiter angegriffen. Auch das ein symptomatischer Schwachpunkt bei unseren Gewaltschutzgesetzen, speziell im Fall von Vergewaltigungen, wo ein Nein nicht ausreicht und der Gesetzgeber findet, die Frau müsse sich aktiv wehren. Als ob das einfach so auf Knopfdruck ginge, wenn die Reflexe einsetzen und man erstarrt.Ich habe ihn nicht angezeigt, sondern nur verwarnen lassen. Ich wusste, dass eine Anzeige wenig bringt. Maximal wäre eine Vorstrafe auf Bewährung dabei herausgekommen. Schneller und sicherer losgeworden wäre ich ihn durch eine Anzeige nicht. Ich wusste auch, dass er in der Zeit nach der polizeilichen Vorladung akut selbstmordgefährdet war.Aber zur Polizei zu gehen war gut, ebenso wie zur Gewaltberatungsstelle und zur Therapeutin. Die Aufarbeitung dauerte Jahre. Albträume, in denen ich vom Ex-Mann verfolgt und ermordet wurde, plagten mich bis zu drei Jahre nach unserer Trennung. Ich hatte Angst vor Männern, wachte nachts mit Panikattacken auf, fühlte mich nur noch in der Öffentlichkeit sicher, weil mein Zuhause „verbrannt“ war. Und gleichzeitig musste ich mich um die Kinder kümmern, die er nach der Trennung kaum noch sehen wollte.Für meinen Ex-Mann ist die Welt schon lange wieder in Ordnung. Es war ja meine Schuld, dass er so ausrastete. Ich hätte das verhindern müssen – so sah er das. Und so sehen es viele Leute, die sich mit häuslicher Gewalt nicht auskennen: „Zum Streiten gehören immer zwei“, „Ich wäre sofort gegangen!“ und: „Was hast du denn getan, dass er so wütend wurde?“ Das sind die gängigsten Reaktionen, wenn ich vom Ende meiner Ehe erzähle. „Es war nicht meine Schuld. Er war es ganz allein“, sage ich dann. Und füge hinzu, dass es fast jeder Frau passieren kann, weil der Täter nicht als Täter erkennbar ist. Man kann es nicht sehen. Behalten Sie das bitte im Kopf, falls Ihnen jemand von hässlichen Szenen aus seiner Ehe erzählt. Was nach außen aussieht wie das perfekte Paar, kann in den eigenen vier Wänden die Hölle sein. Glauben Sie nicht nur, was Sie sehen. Der Schein trügt.
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