Das Präsidenten-Geschacher

Gauck Die Fraktionsspitzen wollten bei der Nachfolgesuche die Parteipolitik außen vor lassen - und haben das Gegenteil getan. Wir brauchen einen alternativen Findungsprozess

Dass Christian Wulff nicht nur sich selbst, sondern auch dem Amt des Bundespräsidenten geschadet hat, wird niemand ernsthaft bestreiten. Die Spitzen nahezu aller Parteien erklärten deshalb unmissverständlich, dass sie bei der Nachfolgesuche die Parteipolitik herraushalten. Welch große Worte, denen gegensätzliche Taten folgten. Eine Politposse.

Nach Wulffs Abgang wurde einiges versucht, aber die Vermeidung von Parteientaktik gehörte ganz sicher nicht dazu. Die Union war vor allem bemüht Joachim Gauck zu verhindern, obwohl er doch politisch keiner Partei näher steht, als den bürgerlich Konservativen und stetig mit der Nähe zu Unionspolitikern kokettiert. Aber Gauck zu unterstützen wäre das Eingeständnis bei der Wahl von Wulff einen Fehler gemacht zu haben. Bei einer für „alternativlos“ proklamierten Politik darf so etwas nicht vorkommen. Die FDP witterte dagegen die große Chance doch noch einmal parteipolitische Macht zu demonstrieren. Spiegel Online nennt das passend den „Aufstand der Erniedrigten“. Die Liberalen wollten deshalb vor allem respektable Unionspolitiker wie Norbert Lammert und Klaus Töpfer verhindern. Also lieber auf den Gauck-Zug aufspringen – denn gegen die seltene Koalition von FDP, SPD und Grünen wäre selbst die Kanzlerin machtlos.

Auch die Spitzen von SPD und Grünen folgten hauptsächlich einer Parteitaktik. Sie priesen erneut einen Kandidaten, der zwar hohe Wertschätzung genießt aber wenig mit den Wertvorstellungen der eigenen Parteimitglieder vereinbar ist. Nebensächlich, dass Gauck die von Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin gelobte Occupy-Bewegung als albern empfindet, dass er immer noch viel Sympathie für die Atomenergie aufbringt und sein vielgepriesener Freiheitsbegriff leider nicht die Freiheitseinschränkung der sozial Benachteiligten mit einbezieht. Auch seine Sympathiebekundungen für Sarrazin werden ignoriert. Gewichtiger ist die Tatsache, dass Gauck schon bei der ersten Kandidatur Unfrieden in das Regierungslager gebracht hat, empfanden doch auch damals schon viele Unions- und FDP-Politiker den konservativen Bürgerrechtler als guten Kandidaten. Doch die Kanzlerin setzte Wulff durch und die große Mehrheit folgte murrend dem Fraktionszwang. Die Granden von Rot und Grün wussten, dass Merkels erneute Absage an Gauck diesmal mehr Zwist erzeugen würde. Entweder gibt sie also nach oder es gibt Streit. In beiden Fällen profitiert scheinbar die Opposition.

Nur Sieger?

Politik, Medien, Öffentlichkeit feiern also das Ergebnis, spüren Erleichterung, klopfen sich auf die Schultern. Mitspielen durften nur die Linken nicht. Aber fühlen sie sich insgeheim nicht wohler in der Rolle der Fundamentalopposition? Das ist keine Rechtfertigung für die Ausgrenzung, aber die Vergangenheit zeigt, dass auch dort die Parteitaktik dominiert. Ein wenig Häme muss die Kanzlerin einstecken, doch das wird sie schnell wieder abschütteln, denn am Ende könnte sie sogar von Gaucks Wahl profitieren. Merkel und ihre Union werden viel häufiger die Meinung des kommenden Bundespräsidenten teilen, als Grüne und Sozialdemokraten – doch die müssen sich mit allen Bemerkungen zurückhalten, weil sie ihn doch unbedingt haben wollten. Mittelfristig entpuppt sich Gauck wohl eher als ein Pyrrhussieg. Töpfer oder Lammert hätten Merkel und Co deutlich mehr zusetzen können und Merkel wird immer noch unterschätzt, wenn man glaubt, dass sie dies wirklich angreift. Wirklich ausgegrenzt und die eigentlichen Verlierer sind die Parlamentarier, die ohne Einflussmöglichkeit das Ergebnis mitzutragen haben, das ihnen ihre Spitzen vorgeben.

Intransparent und undemokratisch

Statt drei haben nun fünf Spitzenpolitiker entschieden wer Bundespräsident werden soll. Sie haben weder ihre Parteien oder ihre Fraktionen gefragt, noch besitzt die Bundesversammlung nun eine echte Entscheidungsmöglichkeit. Die Parteispitzen, ihre Wasserträger und die meisten Medien stellen Gauck schon als Präsidenten dar, obwohl er von keinem legitimierten Parteigremium nominiert, geschweige denn in der Versammlung gewählt wurde. Keine Diskussion, keine Bewerberbefragung, keine transparente Kandidatenfindung. In den Kommentaren der Medien geht es ebenfalls meist darum welche Taktik sich nun durchgesetzt hat. Wird man damit dem Amt und seiner Wirkung gerecht? Was soll dann noch der pompöse und teure Auftritt der Bundesversammlung?

Fragen die nach der Einigung ungestellt bleiben. Auch wenn es auf meine Stimme in der Bundesversammlung nicht ankommt, gerate ich – ganz unabhängig vom Kandidaten – in einen Gewissenskonflikt. Natürlich, so läuft es eben, so war es schon immer. Diese Floskeln kenne ich gut, aber es widerstrebt mir immer mehr, mich dahinter zu verstecken. Man muss schon sehr ignorant sein, um nicht mitzubekommen, dass immer mehr Menschen sich genau wegen solcher Vorgänge von den Parteien abwenden. Die unerfüllte Behauptung „diesmal auf keinen Fall Parteitaktik zulassen“, hat es sicher nicht besser gemacht.

Eine Alternative

Wenn man nur wollte, könnte man es schon anders machen. Dazu müsste noch nicht einmal der Bundespräsident direkt gewählt werden, dazu reichen die bestehenden Gesetze aus. Was wäre denn, wenn wirklich alle Parteipolitik außen vor gelassen würde?

Die Bundestagsabgeordneten haben eigentlich das verbriefte Recht einen eigenen Kandidaten zu benennen. Würden sie das ganz ohne Vorgaben von ihren Chefetagen tun, dann könnte daraus ein wirklich demokratischer Wettbewerb entstehen. Es wäre dabei hilfreich, wenn sich die Fraktionen verpflichten würden, die Abstimmung freizugeben und keine Vorfestlegungen vorzunehmen. Die Abgeordneten könnten und sollten dabei selbst von den Bürgern in ihrem Wahlkreis bei ihrer Nominierung inspiriert werden. In der zweiten Phase müssen die Abgeordneten dann für Unterstützung bei ihren Kollegen – quer durch alle Fraktionen – werben. Man könnte sich darauf einigen, das am Ende die fünf oder sechs Bewerbungen bei der Bundesversammlung zur Wahl stehen, die bis zu einem Stichtag am meisten Abgeordneten als Unterstützer gesammelt haben. Dann entscheidet die Bundesversammlung – wobei man überlegen könnte ob der Pool der Stimmberechtigten zu Gunsten der Bürger noch ausgeweitet werden sollte – ganz nach den vorgegebenen Kriterien für eine solche Wahl. Am Ende würde dann wahrscheinlich im letzten Wahlgang zwischen zwei Bewerbern die Entscheidung fallen.

Das klingt unrealistisch, weil man dazu zementierte Rituale aufbrechen, Machtpositionen schwächen müsste, weil dieses Mal auch die Zeit zu knapp war. Aber was sollte Abgeordnete denn daran hindern, wenn sie die Angst vor der eigenen Courage mal überwinden würden? Bei der Verabschiedung von ethisch heiklen Gesetzen – wie beispielsweise der Präimplantationsdiagnostik – sind Abstimmungen und auch die Gesetzesvorschläge freigegeben worden. Dort haben sich über die Fraktionsgrenzen hinweg Vorschläge entwickelt, die in einem offenen Prozess am Ende abgestimmt wurden. Dies waren „Sternstunden“ des Parlaments, mit anspruchsvollen Debatten und einem Ergebnis fern von Chaos und Parteitaktik. Ich habe sicher nichts gegen Parteitaktik. Im Wahlkampf und der Durchsetzung des Kanzlers ist sie sicher gerechtfertigt. Aber es geht hier um den deutschen Bundespräsidenten, der wenig Macht besitzt und dessen höchstes Gut seine Glaubwürdigkeit ist. Die bewahrt er nur, wenn er unabhängig von Personen und Parteien sein Amt ausführen kann. Dies ist mit den heutigen Spielregeln sehr schwer, wenn auch nicht ausgeschlossen. Mehr Demokratie gerade bei einer solchen Frage würde dem Amt und uns allen nutzten. Es wäre ein Anfang, wenn dutzende Abgeordnete aller Fraktionen es beim nächsten Mal so oder so ähnlich angehen würden.

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