Das Recht auf einen Ort

Besiedelung Enrique Ortiz, Koordinator der »Habitat International Coalition« (HIC) in Lateinamerika, über ein elementares Menschenrecht und die Hilfe für Vertriebene in Santo Domingo

Auf der I. Weltsiedlungskonferenz der Vereinten Nationen in Vancouver wurde 1976 die Habitat International Coalition gegründet. Vier Jahre später, im »Internationalen Jahr der Wohnungslosen«, traten vor allem Gruppen und Initiativen aus der Dritten Welt der Koalition bei. Die HIC hat zur Zeit 350 Mitgliedsorganisationen in 80 Ländern.

FREITAG: Als Hauptforderung von HIC nennen Sie das »Recht auf Habitat«. Was ist darunter zu verstehen? ENRIQUE ORTIZ: Das Recht eines jeden auf einen Ort, an dem sich in Frieden und Würde leben lässt. Dieses Menschenrecht schließt viele andere Grundrechte ein - wie eben das Recht auf Wohnung, das auch von der UNO anerkannt ist. Wohnung ist für uns aber viel mehr als nur das Dach über dem Kopf. Die Wohnung ist der Ort, an dem Menschen oft ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Er ist für ihre menschlichen Beziehungen wichtig. Ein Ort, an dem sie solidarisch sein können - man kann sagen, das Konzept des Ortes ist fundamental für unsere Arbeit.

Aber die von Ihnen angeführten Rechte sind kaum durchsetzbar. Sicher, deshalb treten wir zuerst einmal dafür ein, dass dieses Menschenrecht auf Habitat anerkannt und ernstgenommen wird. Es muss für alle zugängliche Instrumente geben, um dieses Recht zu erstreiten, unabhängig von Einkünften, Rasse, Geschlecht und Herkunft, ohne Diskriminierung. Hinzu kommt die Verteidigung bestehender Rechte zum Beispiel gegen Vertreibungen, sei es aus finanziellen Gründen, sei es durch Kriege oder die Zerstörung der Umwelt. Schließlich geht es darum, dieses Rechts wahrzunehmen, das heißt, es geht konkret um die Wohnung, die ein menschenwürdiges Obdach sein muss.

Können Sie einen Fall nennen, bei dem es gelungen ist, dieses Recht zu verteidigen? Ja, einen aus der Dominikanischen Republik. In diesem Fall hat die UNO offiziell anerkannt, dass die Behörden dort das Recht auf eine Wohnung verletzt hatten. Anlässlich der Feierlichkeiten zur 500-jährigen Wiederkehr der Entdeckung Amerikas durch Columbus Anfang der neunziger Jahre wurden von der damaligen Regierung Balaguer Teile der Bevölkerung aus bestimmten Gegenden vertrieben, um der Welt ein sauberes Santo Domingo vorführen zu können. Diese Schikanen nahmen die Menschen aber nicht so einfach hin. Die HIC konnte das in die internationale Öffentlichkeit tragen und viel Unterstützung auslösen. Daraus wiederum erwuchs ein Engagement, um für die Betroffenen eine neue soziale Struktur aufzubauen.

Die entstand dank der Hilfe der HIC? Ja, wir ermutigten zur Selbstorganisation, gaben einen gewissen finanziellen Schub, entsandten Fachkräfte und so weiter. Aber viel wichtiger war: Durch den Rückhalt der HIC konnten die Betroffenen ihren Fall selbst vor der Menschenrechtskommission in Genf präsentieren. Was also die HIC vorrangig tut, sie unterstützt die Menschen, damit sie sich international Gehör verschaffen und nicht nur über sie gesprochen wird. Wir haben wie gesagt auch dafür gesorgt, dass dieser Fall vor die UNO kam und dort als Verletzung des Menschenrechts auf Habitat anerkannt wurde.

Sie betreiben viel politische Lobbyarbeit auf internationalem Parkett. Was nützt Ihnen da das Weltsozialforum? Es ist ein Ereignis von unschätzbarem Wert. Es ist fantastisch, was in so wenigen Jahren hier entstanden ist. Niemand hätte sich das vorgestellt, es ist ja auch sehr, sehr teuer, das alles zu organisieren. Diese Freude, sich der Leere zu widersetzen, die das neoliberale Wirtschaftsmodell und dessen Politiker hervorrufen! In der Ökologie-Debatte wird gesagt, man soll Global Denken und Lokal Handeln. Bezogen auf die sozialen und wirtschaftlichen Konflikte sagen wir aber, man muss Lokal Denken und Global Handeln. Wir können die internationalen Wirtschaftsmächte, die doch so oft von unterwürfigen Regierungen hofiert werden, nicht bezwingen oder ihnen machtvoll gegenübertreten, wenn wir nicht auch international handeln - das Globale Handeln ist für uns fundamental.

Was halten Sie von der Entscheidung, das Weltsozialforum 2004 in Indien zu veranstalten? Um der Internationalisierung des Forums zu dienen, scheint es mir ein sehr guter Entschluss. In Asien gibt es viele, viele Probleme, man denke nur an Indien, Pakistan oder Korea oder auch Vietnam. Es ist teilweise unbeschreiblich. Allerdings fürchte ich, dass viele von uns vermutlich nicht dorthin fahren werden, weil die Reise zu teuer ist. Aber das war ja jetzt auch für viele aus Afrika und Asien der Fall.

Das Gespräch führte Stefan Thimmel in Porto Alegre

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