... das Schelmische des Kanzlers

Kommentar Der Streit um den 3. Oktober ...

Nun haben wir den Schlamassel. Hätten wir nur ein paar Minuten alle miteinander nachgedacht, wäre uns ein Teelicht aufgegangen, was für einen genialen Plan die Sozialdemokratie bereit hielt, als sie den Einheitsgedenktag abschaffen wollte. Oder glaubt heute, eine Woche später, ernstlich jemand, dem Eichel ist es um die 0,1 Promille Dröhnung aus der Konjunkturpulle gegangen? Mit solchen Beträgen hält sich einer, der regelmäßig Milliardendefizite erwirtschaftet, nicht auf. Und Gerhard Schröder - der genialste Überflieger in der Geschichte der SPD seit Rudi Scharping -, würde der seine prometheischen Passionen an einen schnöden Feiertag verplempern, statt am Schicksal des Kontinents zu formen und zu kneten? Würde der etwa seine zweite gestalterische Legislatur damit krönen, den ost-westdeutschen Spießern Bockwurst und Sackhüpfen zum Lobe ihrer ewigen Blutsverwandtschaft zu vermiesen? Natürlich nicht!

Die beiden wissen nämlich exakt, was die Deutsche Einheit dem Vaterlande abverlangt und immer wieder abverlangt. Im Westen veröden die Einkaufspassagen und werden die Garagentore nicht mehr repariert. Vom Solidarbeitrag ausgesaugt, erlischt in den Westdeutschen die Lebensfreude, und sie stellen sukzessive die Körperpflege ein. Im Osten bleiben Trinker, Rentner und die aktiven Mittsechziger zurück, die in ihren Hobbykellern bei Laubsägearbeiten an einer Räterepublik mit Hans Modrow an der Spitze basteln. Täglich muss Geld ausgegeben werden, um den Ausbruch des Bürgerkriegs zu verhindern. Abermilliarden sind dem Traum geopfert worden, ein Volk von Brüdern zu sein. So viel darf kein Nationalgefühl kosten.

Man kann so kurz vor Weihnachten natürlich auch nicht einfach die BRD in den Grenzen von 1989 wieder herstellen, ein lebensfrohes, prosperierendes Gemeinwesen, in dem die Papierkörbe wieder regelmäßig geleert werden! Deshalb fassten Schröder/Eichel einen (allerdings vertraulichen) Zehn-Punkte-Plan zur Herstellung der deutschen Zweistaatlichkeit - sozusagen die Rückabwicklung jenes Zehn-Punkte-Plans, den Helmut Kohl einst im trüben November des Jahres ´89 auf seiner Reiseschreibmaschine herunter tippte. Der zehnte Punkt war bei Kohl die Ausrufung eines Wiedervereinigungstages, der - zum Zeichen dafür, dass man die Einheit aus der Portokasse bezahlen könne - auf einen Arbeitstag fallen sollte ...

Wir haben es nicht verstanden. Wir haben uns nicht mit dem Zaunspfahl winken lassen. Wir haben die Bürgerrechtler aus ihren Ein-Euro-Jobs auftauchen und "Verrat!" rufen lassen, statt sie bei Bier und Pizza ruhig zu stellen. Und Stoiber durfte "hirnrissig!" krähen. Wir haben das Schelmische im Kanzlerblick als dummes Grinsen missdeutet. Wir haben Schröder/Eichel innerhalb von 24 Stunden niedergelacht, anstatt sie zu ihrem Punkt zwei kommen zu lassen: Wiedereinführung der DDR-Nationalhymne. Nun müssen wir weiter mit dem Elend leben. Und es geschieht uns recht dabei.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden