Vielleicht ist es eine besondere Form des Stockholm-Syndroms, das Geiseln nach langer Zeit mit ihren Geiselnehmern sympathisieren lässt. Vielleicht steckt in deutschen Verlegern aber auch einfach ein wenig vom Kaliber Vespansian. „Pecunia non olet“ – Geld stinkt nicht. So soll der römische Kaiser die Einführung einer Steuer für öffentliche Toiletten begründet haben. Und es ist viel Geld, das der Internetriese Google im Rahmen seiner Google-News-Initiative seit 2016 an europäische Unternehmen, Start-ups und Einzelpersonen verteilt, die technische Innovationen im Journalismus voranbringen wollen.
Bis zum kommenden Jahr sollen insgesamt 150 Millionen Euro unter die Medienmacher gebracht werden. Knapp zwei Drittel des Geldes sind schon geflossen, davon 15 Millionen nach Deutschland. Wiederum davon geschätzt zwei Drittel haben sich etablierte Verlagshäuser gesichert: Die Anschubfinanzierung für die zwölf wöchentlichen Newsletter für die Berliner Bezirke des Tagesspiegels stammt ebenso von Google wie das Geld für Unicorn, mit dem die Funke Mediengruppe Videos mit regionalen Inhalten besser für die eigenen Redaktionen zugänglich machen möchte. Auch Frankfurter Allgemeine Zeitung, Handelsblatt, Spiegel Online, taz und Wirtschaftswoche erhielten bis zu 550.000 Euro pro Projekt. Diese Ergebnisse einer aufwendigen Recherche machte in der vergangenen Woche Netzpolitik.org öffentlich.
Damit lassen sich deutsche Verlage ihre Experimente im Online-Journalismus genau von dem Unternehmen bezahlen, das sie sonst als größten Feind ihrer akut bedrohten ökonomischen Zukunft verteufeln.
Mit dem auf Zeitungsartikel spezialisierten Angebot Google News verdiene Google dank Werbeeinblendungen viel Geld mit redaktionellen Inhalten, deren Erstellung sie selbst teuer bezahlten, lautet ein zentraler Vorwurf. Unter massivem Lobbyeinsatz schafften es die Verlage sogar, mit dem Leistungsschutzrecht gesetzlich gegen diese Praxis vorzugehen. Demnach darf Google nur noch sehr kurze Textausschnitte anzeigen. Seit 2013 gilt das Recht in Deutschland. Vor einigen Wochen wurde es im Rahmen einer Urheberrechtsreform auf die ganze EU ausgeweitet.
Die Verlage weinen also, aber sie nehmen, wenn man ihnen gibt. Was angesichts der Krisenlage ja verständlich ist. Dennoch: Solche Haltungslosigkeit schadet dem eh schon angeknacksten Ruf deutscher Medien. Indem die Etablierten alle Förderungen abgreifen, nehmen sie zudem Neugründungen die Chance, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen. „Ohne die Anschubfinanzierung von Google würde es uns in dieser Form heute wohl nicht geben“, zitiert Netzpolitik.org Sebastian Esser. Er ist Gründer von Steady – einer Plattform, die Blogger und Podcaster dabei unterstützt, ihre Angebote über Abonnements zu refinanzieren. Erst die Zusage von Google habe weitere Geldgeber überzeugt, so Esser. Ähnliches berichtet Max Koziolek von Spectrm, das Chatbots für Redaktionen entwickelt.
Zu den größten Kritikern von Google gehört Mathias Döpfner. Er ist nicht nur Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sondern auch Chef von Axel Springer. Deren Publikationen haben bislang auf Geld von Google verzichtet, ebenso wie die Zeitschriften aus dem Burda-Verlag, die Süddeutsche Zeitung sowie Der Freitag. Ein Journalismus ohne Förderung aus den USA ist also möglich, den anderen Verlagen aber offensichtlich nicht dringlich genug.
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