Das soll nicht so sein

Literatur Michael Kleeberg webt von Clapton bis Dante alles mit ein. Man kann sein üppiges Buch kaum zu Ende lesen
Ausgabe 50/2018

Michael Kleeberg ist mit seinem neuen Buch ein Milchbruder von Mathias Énard. In dessen grandiosem Roman Kompass (deutsch 2016) zeigt dieser die entgegengesetzte Himmelsrichtung an. Kleebergs Idiot ist ähnlich „unverfügbar“ und verweist auf Dostojewskis Fürsten Myschkin, einen Verwandten von Madschnun, den arabisch-persischen Romeo. Hermann heeßt der zwar in Kleebergs Buch, dafür seine iranische Geliebte Maryam.

Zu den Webkünsten Michael Kleebergs gehört, dass er die beiden gleich anfangs mit dem berühmten Layla von Eric Clapton ins schöne und auch so schwere Spiel bringt. In Madschnun und Leila, dem bedeutendsten morgenländischen Liebesbuch um 1180, heißt es: „Folge dem Beispiel von Nizami: Verbrenne nur stets wie die Kerze deinen eigenen Schatz. Dann wird einst die Herrscherin ,Welt‘ dir als Sklave dienen.“

Palimpsest und Kryptozitat

Mit Hermann und Maryam, aber auch mit den anderen Liebespaaren erweist Kleeberg hier nicht nur seine Referenz an Nizami und schrieb eine heutige Scheherazade, sondern tritt auch in den Kreis der Fedeli d‘Amore seit Dante, Boccaccio, Petrarca, Hafis, Dschami, Nizami oder Goethe bis hin zu Énard oder, um nur ein jüngstes Beispiel mit west-östlicher Ausrichtung zu nennen, Lisa Hallidays Debütroman Asymmetrie.

Statt der Pest als Liebesbedrohung wie bei Boccaccio werden heutige Kriegs- und Flüchtlingserzählungen eingewebt, darunter auch deutsche bis in die jüngste Berliner-Mauer-Vergangenheit, weiterhin Terroristenstimmen und die ihrer Opfer und sogar eine Art Libanonthriller à la Graham Greene oder eine arabisch-deutsche Paraphrase von Gogols Groteske Der Mantel. Kleeberg muss wie Énard gar kein ausgebildeter Orientwissenschaftler sein, wenn er mit der Thomas-Mann’schen „Brunnentiefe“ der Josephstrilogie seinen souveränen Umgang hat. Als großer Romanrealist, als „konsequenter Archäologe der Nah-Zeit“, wie ihn Johannes Birgfeld wegen seiner Karlmann-Romane bezeichnete, als bekennender Liberaler im Sinne Judith Shklars, als Verfasser des Libanontagebuchs Das Tier, das weint und des Romans Das amerikanische Hospital ist Kleeberg darüber hinaus gegen Ideologien, gegen Zuckerguss-Orientalismus und gegen in sich selbst kreiselnden Mystizismus gefeit.

Michael Kleeberg widmet sein großes Liebes- und Weltbuch nur den „happy few“. Zu denen würden allerdings fast alle, und zwar liebend gern, gehören. Selbst in der Widmung ist schon eines der Konstrukte für diesen hundertfältigen Scheherazade-Roman zu erkennen, das des Palimpsestes und der Kryptozitate selbst noch in den quasi literaturheiligen Passagen, die gerade dort jedoch einen Heidenspaß machen. Sie ist stark mit Goethe grundiert, der in einem Brief von 1831 an seine „Suleika“ Marianne von Willemer seine west-östliche Diwan-Lebens-und-Liebeshaltung erweist.

Kleeberg sucht nicht nur für die Geflüchteten, sondern gerade auch für die Bleibenden eine Heimat. Deshalb wohl auch hebt der Roman mit einigen Worten in hessischem Dialekt an. Eine Form der Beheimatung ist die kommunitaristische Praxis einer Dorfgemeinschaft, eigene Opernaufführungen zu realisieren. Darüber hat er schon vor Jahren einen Essay geschrieben.

Dies war anscheinend ein Anlass für die nahezu arkadischen und dennoch ganz gegenwarts-, also konfliktnahen Passagen seines Buches, die den großen finsteren Themen unserer Zeit ihren „Optimismus mit Trauerrand“ entgegensetzen, gerade weil der Autor sich hütet, eine verallgemeinerungsfähige Lebenspraxis daraus abzuleiten, und eher einen Mentalitätswechsel ersehnt.

Ein Vorschein von Möglichkeiten einer etwas besseren Welt in einer schlechten ist bereits in einigen auch deutschen Büchern wahrzunehmen, zum Beispiel im Gedichtband Kolonien und Manschettenknöpfe von Thomas Kunst (Suhrkamp 2017), wo ganze tatkräftig verspielte und wandernde Freundschaftstempel wie aus der Sturm-und-Drang-Zeit sich einen „eigenen Vierseitenhof“ am Ararat in einer schon zum Teil verheerten Welt wünschen.

„Mit einem Mal denke ich“, so Michael Kleeberg schon in seinem Libanonbuch über die großen Gebrechen und Verbrechen in dieser Welt, „daß der ganze Grund für mein Schriftstellern in diesem Wort liegt, das Kinder trotzig der Realität entgegenschleudern: Aber das soll nicht so sein!“ Es gibt wohl wieder Bücher, die man nicht ausliest. Und das sind die wirklich wichtigen.

Info

Der Idiot des 21. Jahrhunderts. Ein Divan Michael Kleeberg Galiani Berlin 2018, 464 S., 24 €

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