Nehmen wir an, dass die Vereinigten Staaten - trotz internationalen Widerstands - ihrem Plan, den Irak anzugreifen, tatsächlich Gestalt geben: Welche Konsequenzen ergäben sich für die Weltwirtschaft? Angesichts der Nähe der augenblicklichen US-Regierung zur Öl- und Energiewirtschaft sind die Ölreserven sicherlich ein wesentliches Thema. Etwa zwei Drittel der weltweit bekannten Reserven liegen im Mittleren Osten, ein großer Teil davon in Saudi-Arabien. Der Anteil des Irak an den Weltreserven beträgt etwa elf Prozent und ist damit erheblich größer als der Anteil an der momentanen und prognostizierten Weltölförderung (s. Übersicht).
Auf jeden Fall hat Bagdad mehr Öl gebunkert als die Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko, die zusammen auf 5,4 Prozent der Weltölvorräte kommen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait vereinigen auf sich höhere Anteile - 9,5 beziehungsweise 9,4 Prozent.
Vom ökonomischen Standpunkt wäre also der wesentliche Gewinn einer Invasion die Kontrolle über das irakische Öl, dessen Produktion im Verbund mit dem Öl aus Kuwait und anderen Golfstaaten beherrscht werden könnte. Die langfristige Präsenz eines starken US-Truppenkontingents im Irak würde - zusammen mit neuen Häfen für die US-Flotte am Golf - die Förderung, Raffinierung und den Transport des Öls durch die Golfregion begünstigen. Auf diese Weise könnte eine regionale Union der kleinen Golfstaaten in Verbindung mit Kuwait und dem südlichen Irak entstehen - protegiert von den Vereinigten Staaten. Dieses Geflecht von Ölproduzenten am Golf wäre mit Amerika und dem Westen fest verbunden und ein wichtiger Puffer, falls das Regime in Saudi-Arabien zusammenbrechen und sein Öl unter die Kontrolle anti-westlicher Aktivisten fallen sollte. Wenn das nicht passiert und sich das Regime der Saudis hält, dann würde eine erfolgreiche Übernahme des Irak sicherstellen, dass die USA und der Westen etwa die Hälfte der Weltölreserven mit Hilfe ihrer Luft-, Land- und Seestützpunkte kontrollieren. Wenn das saudische Regime nicht standhält, hätte der Westen immer noch 30 Prozent des Öls dieser Erde und müsste sich nicht an Russland wenden, um eventuelle Energieprobleme zu lösen.
All diese Vorteile würden aber nur dann entstehen, sollten die irakischen Ölfelder intakt bleiben. Anlagen zur Ölförderung lassen sich leicht zerstören und Ölfelder kann man in Brand setzen, wie es die Irakis Anfang 1991 taten, als sie Kuwait verließen. Es kann danach Jahre dauern, bis die Produktion wieder regeneriert ist. Daher scheint es eher unwahrscheinlich, dass sich die Vorteile einer Invasion kurzfristig ergeben.
Auf der anderen Seite würde eine Invasion neue Spannungen heraufbeschwören und die existierenden Widersprüche innerhalb der arabischen und islamischen Welt zuspitzen - wie man annehmen darf, auch in vielen anderen Regionen. Ein Angriff könnte prowestliche Regime ernsthaft destabilisieren, besonders die feudalaristokratischen am Golf. Viele Öl produzierende Länder würden sich vermutlich einem Embargo anschließen, das gegen die USA und Großbritannien gerichtet wäre. Man kann außerdem von einem Ausbruch antiamerikanischer und antiwestlicher Ressentiments ausgehen. Auch terroristische Aktionen würden zweifelsfrei stimuliert.
Natürlich würden die Vereinigten Staaten ihren Einfluss und ihre Diplomatie nutzen, um ein solches Embargo zu verhindern. Sie könnten auch ihre strategischen Ölreserven, die in den vergangenen Jahren trotz allem vergrößert worden sind, verkaufen, um einen allzu schnellen Anstieg der Preise zu verhindern. Ob allerdings die Mittel der Diplomatie und die strategischen Ölreserven der USA reichen, um einem entschlossenen, antiwestlichen Embargo entgegenzuwirken, ist zweifelhaft. Auf jeden Fall wird es nicht leicht sein, die Preise unter Kontrolle zu halten, wenn das Ölangebot sinkt. Jede seriöse Analyse muss also davon ausgehen, dass die Ölpreise steigen. Möglicherweise weit über das derzeitige Niveau von knapp 30 Dollar pro Fass hinaus. Im Augenblick ist der Ölpreis bereits dabei, sich seinem historischen Höchststand zu nähern, der bisher bei 36 Dollar pro Fass lag.
Angesichts des Zustands der US-Ökonomie würde ein steiler Anstieg der Energiepreise das Konsumentenvertrauen weiter untergraben. Während des Golfkriegs von 1991 sank das Konsumentenvertrauen in den USA auffallend stark und führte zu einer schweren Rezession wie der anschließenden Wahlniederlage von Bush senior. Man kann prophezeien, dass kurzfristig in den USA angelegtes internationales Kapital ein solches Szenario vorausahnen und entsprechend auf eine Irak-Invasion reagieren wird. Die Kapitalströme dürften dann nach Europa und Japan fließen. Sinkende Kurse an der Wall Street und ein fallender Dollarkurs wären die Folge. Ergo ist zu erwarten, dass mit den Vermögensverlusten der Druck auf die Konsumenten wächst und mit dem Fall des Dollars der auf die Geldwertstabilität zunimmt. Beides zusammen wird die Rezession in den USA vertiefen und in der Konsequenz den Abfluss von Kapital beschleunigen. Es käme also zu einer sich selbst verstärkenden Abwärtsbewegung.
Während der Rezession 1991/1992, die seinerzeit dem Krieg gegen den Irak folgte, konnte die US-Notenbank intervenieren, indem sie die Zinssätze sehr stark von sieben bis acht auf nur noch 3,5 Prozent senkte. Heute jedoch haben die Zentralbanken angesichts der aktuellen Zinssätze von 1,75 in den USA und 3,25 Prozent in der Euro-Zone kaum noch Spielraum, um die Wirtschaft zu stimulieren. Der Zins kann schließlich nicht unter Null sinken. Es ist daher nicht auszuschließen, dass wir uns schon bald in einer sogenannten Liquiditätsfalle wiederfinden mit all den gefährlichen Folgen, die sich bereits im vergangenen Jahrzehnt in der japanischen Wirtschaft gezeigt haben. Dort liegen die Zinssätze schon seit langem fast bei Null - dennoch ist keine Erholung in Sicht.
Mit anderen Worten: Eine Invasion dürfte mit ziemlicher Sicherheit die anhaltende Rezession in den USA anfachen und gleichzeitig einen Inflationsschub auslösen. Was danach passiert, hängt vom Erfolg der Militärintervention ab. Im Falle eines schnellen Zusammenbruchs des irakischen Widerstandes, sofern die Ölfelder unbeschadet übernommen werden können und unter der Bedingung, dass es nicht zu Raketenangriffen auf Israel oder US-Stützpunkte kommt, könnte kurzfristig abgewandertes Kapital allmählich wieder in die USA zurückfließen und damit den Dollar stärken. Diese Variante dürfte um so sicherer sein, je eher am Golf eine neue, stabile und prowestliche Konstellation zustande kommt. Ein sehr optimistisches Szenario.
Wahrscheinlicher ist, dass die Ölfelder erheblichen Schaden nehmen und es zumindest teilweise zu einem Embargo kommt. Dann würden die Ölpreise vermutlich auf einem hohen Niveau verharren. Zusätzlich könnten Angriffe von Terroristen weltweit den Tourismus zum Erliegen bringen.
Ein solches Negativszenario wird womöglich eine kontraproduktive Politik der US-Notenbank heraufbeschwören. Um die Inflation in Schach zu halten, könnten sich die Zentralbanker gezwungen sehen, die Zinssätze zu erhöhen. Eine solches Vorgehen würde jedoch weder inflationsdämpfend wirken, noch den Dollar stärken, wäre aber mit anderen gravierenden Konsequenzen verbunden, vorzugsweise für die Grundstücks- und Wohnungswirtschaft. Die Preise auf diesen Märkten haben ohnehin ihren Höhepunkt längst überschritten und könnten - weit über die notwendige Korrektur hinaus - abstürzen. Sollte es zu einem derartigen Crash der Grundstückspreise kommen, werden die Amerikaner erfahrungsgemäß ihren Konsum stark einschränken. Langfristig kann es unter diesen Umständen nur einen Ausgleichsfaktor geben - den Krieg selbst. Wenn er länger dauert und zu hohen Rüstungsausgaben führt, werden die Konzerne in den USA - besonders der militärisch-industrielle Komplex - klar profitieren. Sowohl die Auslastungen als auch die Gewinne würden steigen. Allerdings dürften diese Effekte kaum reichen, um das Vertrauen von Konsumenten und Investoren nachhaltig wieder herzustellen. Erst recht sind erhöhte Rüstungsausgaben kein Mittel gegen die Inflation - im Gegenteil.
Angesichts eines Wirtschaftswachstums, das sowohl in den USA als auch in der Euro-Zone momentan zwischen 0,5 und einem Prozent liegt, ist der Zustand der Weltwirtschaft zu brüchig, um einen schweren Schock kompensieren zu können. Ein solcher Schock würde aber mit einer Invasion unweigerlich einhergehen. Macht man sich außerdem die Tatsache bewusst, dass die Notenbanken kaum Mittel in der Hand haben, um auf negative Szenarien zu reagieren, dann ist klar, dass wir es heute mit einer ganz anderen weltökonomischen Situation zu tun haben als während des Golfkrieges vor mehr als zehn Jahren.
Tabelle:
Edward Nell ist Professor für Ökonomie an der New York University. Willi Semmler lehrt ebenfalls an der New York University und ist zugleich Professor am Zentrum für Europäische Makroökonomie in Bielefeld.
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