Menschen, die aus eigener Erfahrung aus der Zeit des Nationalsozialismus berichten können, werden 70 Jahre nach Kriegsende immer weniger – vor allem jene, die in den 30er und 40er Jahren nicht erst Kind, sondern schon bewusste Akteure waren. Lebendige Erzählungen über das Leben zu jener Zeit werden damit selten. Was bleibt, sind Dokumente: Fotos, Briefe, Filmaufnahmen, Protokolle.
Vor allem beim Thema Widerstand ist dieser Umstand kritisch. Dokumente über aktive Gegner der Hitler-Diktatur stammen häufig von polizeilichen Ermittlungen und aus Gerichtsverfahren. Sie zeichnen die Wahrnehmung von NS-Apparaten nach, nicht aber die eigentlichen Beweggründe und Geschichten der Akteure. Um zu verhindern, dass das meiste, was die Nachwelt über die Gegenwehr e
egenwehr erfährt, aus Gestapo-Akten stammt, hatte die Filmemacherin Katrin Seybold schon vor 15 Jahren begonnen, die Aussagen von noch verbliebenen Widerständigen zu dokumentieren.Zwischen 2000 und 2004 zeichnete sie Gespräche mit Menschen auf, die sich dort gegen die Nazis engagierten, wo es die Geschwister Scholl, Christoph Probst und andere verhaftete Mitglieder der studentischen Gruppe Weiße Rose nicht mehr konnten. Die Widerständigen – also machen wir das weiter … ist der zweite Teil dieser dokumentarischen Arbeit. Im ersten, Die Widerständigen-Zeugen der Weißen Rose von 2008, erzählten Freunde, Angehörige und Weggefährten von Weiße-Rose-Mitgliedern, wie sie deren Aktivitäten, die Verhaftungen und Prozesse erlebten.Sittliche EinsichtIm neuen Film geht es um diejenigen, die nach dem Auffliegen der Scholls dafür sorgten, dass die Flugblätter in der Welt blieben. Dazu gehörten Studierende am damaligen Chemischen Staatslaboratorium an der Universität München. Sie sammelten die Texte, vervielfältigten sie und erhöhten die Reichweite, indem sie die Flugblätter in andere Städte brachten und dort an Gleichgesinnte weitergaben. Auch hier waren Verhaftungen und monatelange Gefängnisaufenthalte die Folge, einer von der Aktivisten, der Chemiestudent Hans Leipelt, wurde noch im Januar 1945 hingerichtet.Dabei machte das Schicksal der Mitglieder der Weißen Rose den jungen Leuten klar, was zu erwarten stand, würden auch sie erwischt werden. Den nüchternen Aussagen im Film nach wirkte diese Gefahr wenig abschreckend, schien es den Beteiligten fast selbstverständlich gewesen zu sein, das Werk fortzuführen. Kurt Huber, ein Akteur bei der Weißen Rose, sagte in dem Prozess, der gegen ihn geführt wurde, dass es ihm in seinem Widerstand nicht um „irgendeinen Akt der Gewalt“ gegangen sei. Stattdessen sei sittliche Einsicht in die Falschheit des nationalsozialistischen Regimes das Ziel gewesen. Vermutlich liegen darin die anhaltenden Aktionen in der Nachfolge von Hans und Sophie Scholl begründet: Wer die verbrecherischen Zustände im Dritten Reich einmal als das erkannt hatte, was sie waren, konnte sie kaum mehr ausblenden.Weil Katrin Seybold 2012 während der Arbeit an Die Widerständigen – also machen wir das weiter ... im Alter von 69 Jahren verstarb, wurde der Film von der befreundeten Kollegin Ula Stöckl fertiggestellt. Ästhetisch minimalistisch: Als einzige Illustration der historischen Umstände werden Zitate aus den Flugblättern der Weißen Rose herangezogen. Anders als im Guido-Knopp-Stil der Fernsehfeatures zur NS-Zeit, die auf emotionalisierende Interviews und dramatische Musik, historisches Bildmaterial und nachgespielte Szenen setzen, stehen bei Seybold und Stöckl allein die Berichte der Zeitzeugen im Mittelpunkt. Die wiederum wirken in ihrer Sachlichkeit oft distanziert – gegenüber sich selbst und gegenüber den Ereignissen. Einige der Interviewten mussten sich laut Seybold überwinden, um am Film mitzuwirken: aus Angst vor verdrängten Erinnerungen nach so langer Zeit oder weil sie ihre damalige Rolle selbst als unbedeutend wahrnahmen.Abstrakter TextSo kompiliert Die Widerständigen den Fortgang der aufklärerischen Rebellion der Weißen Rose mitunter als sture Auflistung von Abläufen. Wer hat wen getroffen? Wann gelangte ein Flugblatt von München nach Hamburg? Wer wurde wann verhaftet? Es liegt beim Zuschauer, sich aus den logistischen Details ein Bild von der Größe des Handelns der Interviewten zusammenzusetzen.Die gestalterische Zurückhaltung des Films öffnet einen Resonanzraum für eigenes Nachdenken, weil nicht jede Äußerung in ihrer Bedeutsamkeit erklärt wird. Das erfordert beim Schauen wiederum gewisse Kenntnisse der damaligen Situation – über Lebensbedingungen der Studierenden, Inhalte der Verhöre, Haftbedingungen, konkrete Abläufe während der Gerichtsverfahren gibt Die Widerständigen – also machen wir weiter … wenig Auskunft. Die lebendige Auskunft der Zeitzeugen wird von einem abstrakten Film aufbewahrt. Auf berührende Weise.Placeholder infobox-1