Das Superwahljahr und Jothams Fabel

Krise Die Wirtschaftskrise beschwört Erinnerungen an 1929 herauf. Im Wahljahr kommt es deshalb auf die Bürger an, sich mehr als bisher einzubringen. Zum Schutz der Demokratie

Die Gedenkjahre 1919, 1939, 1949, 1989 im Super-Wahljahr 2009 werden überschattet, wenn nicht gar verdüstert durch das Superkrisenjahr 2009, das böse Erinnerungen an das Jahr 1929 heraufbeschwört. Der von den Aposteln des Neoliberalismus weltweit deregulierte Weltfinanzmarkt mit seiner gigantischen „Finanzindustrie“ hat nicht nur menschlicher Gier alle Scheunentore geöffnet. Er hat auch politische (Macht-)Strukturen geschaffen, die es erlauben, dass sich riesige Finanzblasen bilden, plötzlich platzen und Megakrater in der Weltökonomie hinterlassen, von denen kein Experte auf den vornehm hohen Hügeln von Davos etwas geahnt haben will.

Schamlos wechseln Experten die Fronten

Es stellt sich heraus, dass Banken, die schwindelerregende Dividenden gemacht hatten, plötzlich so notleidend sind, dass der von ihnen bisher geschmähte Staat einspringen muss. Sowohl in den USA wie auch in Deutschland und anderen EU-Staaten verschlingen ins Schleudern gekommene Banken Milliarden an Steuergeldern, ohne dass irgendein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen würde. Man traut seinen Augen nicht – Verstaatlichungen von Banken stehen an! Der Staat übernimmt Schulden, die jedes Vorstellungsvermögen sprengen, obwohl er schon viel zu viel davon hat. Bietet die Krise auch die Chance, das Kapital demokratischer Kontrolle zu unterwerfen? Wird der Staat zum Retter, nachdem er so oft als ökonomische Niete verschrieen wurde? Man lese nur die Wirtschaftsseiten aller größeren deutschen Zeitungen der vergangenen Jahre nach! Gänzlich schamlos wechseln Experten nun die Fronten.

Bei den 2009 anstehenden Wahlen brauchen solche Parteien und Personen unsere Stimme, die glaubwürdig, kompetent und durchsetzungsfähig sind. Denen wir ein national und international nachhaltiges Wirtschaften zutrauen. Von denen wir erwarten können, dass sie ein seismographisches Gespür für Konflikte und Entschlusskraft zu deren Lösung besitzen.

Fabel von Jotham

Im Alten Testament wird eine Fabel von Jotham erzählt, einem jungen Mann, der als einziger das Massaker an seiner Familie überstanden hat. Dieser Jotham erzählt, wie die Bäume aufgefordert werden, einen König zu wählen. Der Ölbaum lehnt es aber ab, politische Verantwortung zu übernehmen, weil er lieber Öl produziert, das für die Speisen wie für die Schönheit unentbehrlich ist. Der Feigenbaum verweigert sich, weil er nicht darauf verzichten will, die Süße seiner Feigen anzubieten. Auch der Weinstock weist solches Ansinnen ab, will er doch lieber den Wein reifen lassen, der des Menschen Herz erfreut. Als letzter wird der Dornbusch gefragt, der zustimmt, aber sofort droht: „Wenn ihr mich wählt, bergt euch in meinem Schatten und wenn nicht, so gehe Feuer vom Dornbusch aus und verzehre die Zedern Libanons“. Alle können also wissen, was geschieht, wenn sie ihm Machbefugnisse übertragen!

Es wird in diesem Jahr darauf ankommen, dass wir Bürger uns auf allen Ebenen viel mehr politisch zu Wort melden. Und dass besonders all jene, die etwas Sinnvolles zu tun vermögen, sich nicht zu schade sind, politische Verantwortung oder gar Führung zu übernehmen. Natürlich auf Zeit, denn Macht braucht Grenzen ebenso wie Kontrolle und Selbstkontrolle sowie eine kritische Distanz zu sich selbst. Bei allem Selbstbewusstsein, das Menschen brauchen, wenn sie Führungspositionen einnehmen, haben sie doch Rat anzunehmen, notfalls Unpopuläres zu vertreten und lernbereit auf ungewohnte Herausforderungen einzugehen. Demokratie lebt von der Überzeugung ihrer Bürger, dass sie immer noch die beste Staatsform und es wert ist, wegen ihres menschenrechtlichen Fundaments wachsam verteidigt zu werden. Demokratie ist ein stets gefährdetes Projekt, weil Mehrheiten immer wieder allzu gern den Schatten eines „Dornbuschs“ suchen und sich der Mühsal eigenen Mitwirkens wie riskanter Verantwortung entziehen.

Friedrich Schorlemmer ist Freitag-Herausgeber, Theologe und Publizist.

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