Das Tabu ist gebrochen

Literatur In „Das Elend der Verschickungskinder“ der Pädagogin Anja Röhl können die Opfer endlich offen vom Horror der Heime berichten
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 05/2021

Thomas Bernhard schilderte in seinen Jugenderinnerungen Ein Kind (1982), wie er vom Hausarzt zur Erholung in ein Thüringer Kinderheim „verschickt“ wurde. Seine alleinerziehende Mutter war überfordert, sie brauchte eine Auszeit. Im Heim war Bernhard „schon in der ersten Nacht als Bettnässer entlarvt“. Sein Leintuch wurde im Frühstückszimmer aufgespannt und er als Verursacher des Urinflecks bloßgestellt. „Der Bettnässer wurde aber nicht nur auf diese Weise bestraft, er bekam auch keine sogenannte süße Suppe wie die anderen, er bekam überhaupt kein Frühstück“, so der Schriftsteller.

Bernhards „Kur“ fand 1938 statt, und man könnte meinen, das seien damals eben noch altmodische Erzieh