Das Ur, das ich in der Petite Camargue Alsacienne fotografieren wollte, kaute Gras. Es war ein gewaltiges Tier, etwa eins siebzig hoch, drei Meter lang, ein kapitaler Brocken. Seine Hörner, eine weiße Gabel mit schwarzen Spitzen, waren kräftig und weit ausladend. Doch seine Frisur war wunderschön, hatte etwas zart Verträumtes, seine Stirnfransen fielen ihm in einem dichten, märchenhaften Vorhang über beide Augen herab. Durch diesen Vorhang konnte es nichts sehen, und doch schaute es mich an. Es war unheimlich, wie ein Röntgenblick. Ruhig und unendlich gleichmütig stand es da, als ob es sich nie mehr bewegen wolle. Als meine Nikon Coolpix piepste, scharrte es plötzlich mit dem einen Vorderhuf. Dann schnaubte es. Erst leise, dann lauter. Leichtfüßig setzte es sich schließlich in Bewegung, so dass das Brackwasser aufspritzte. Als ich wieder zu mir kam, fraß es neben mir friedlich Brennnesseln. Zwei Meter weiter lagen die Reste meiner Nikon. Scheiße, dachte ich. Als ich aus dem Spital entlassen wurde, ließ ich mir meine Stirnfransen bis über beide Augen herab wachsen. Ich muss gestehen, dass ich seither nahezu blind bin, und doch habe ich auf diese Weise einen gänzlich neuen Blick, ein fantastisch neues Lebensgefühl. Das Ur in mir weidet sich an dieser neuen, immer haarigeren Sicht der Dinge, während der Mensch, der noch an der Coolpix kaut, mehr und mehr ins Gras beißt.
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