Das Vakuum rechts der Mitte

Rattenfänger Bekommt Deutschland eine weitere Partei am rechten Rand? Ein Berliner Ex-CDU-Mann will auf der Sarrazin-Welle reiten – doch die Chancen sind nicht groß

Glaubt man einer Umfrage, die das Forsa-Institut für den Stern durchgeführt hat, ist Thilo Sarrazins These von der „Überfremdung der Deutschen im eigenen Land“ vor allem bei zwei Bevölkerungsgruppen sehr beliebt - den FDP-Wählern und den Hauptschulabsolventen. Wenn letztere ahnen würden, was der „Märtyrer“ Sarrazin ansonsten von ihnen, den Angehörigen der unteren Bildungsschicht hält, würde sich wohl ihre Begeisterung für den selbsternannten Tabubrecher in Grenzen halten. Es grenzt schon an Ironie, dass der eitle Geck Sarrazin nun vor allem von denjenigen Applaus bekommt, die er ansonsten verachtet. Viele Deutsche transportieren ihre über die Zeit angestaute Unzufriedenheit mit der real existierenden Parteiendemokratie nun auf den verstoßenen Sohn des politischen Establishments. Je nach Umfrage könnten sich 16 (hier) oder 18 Prozent der Bevölkerung (hier) sogar vorstellen, eine neue „Sarrazin-Partei“ zu wählen. Es scheint fast so, als hätten die Mahner Recht behalten und Deutschland wartet nur auf einen Rattenfänger, der das bislang weitestgehend ignorierte Wählerpotential am rechten Rand einsammelt.

Die Diskussion über eine sechste Partei im politischen System der Bundesrepublik ist nicht eben neu. Konnten CDU und CSU über Jahrzehnte noch das konservative Kleinbürgertum und die Unzufriedenen am rechten Rand mit reaktionären Sprüchen an sich binden, so hat die Union diese Funktion heute weitestgehend eingebüßt. Spätestens seit der Ära Merkel treibt es die Union in die Mitte, Ecken und Kanten wurden abgeschliffen. Noch vor wenigen Jahren hätte es gar keinen Sarrazin geben können, da Unionsgranden wie Franz Josef Strauß, Alfred Dregger oder Roland Koch diese Lücke gefüllt hätten. Strauß und Dregger sind tot, Koch hat keine Lust mehr und die Union gefällt sich als Hüter der Political Correctness. Je mehr die beiden Volksparteien in die Mitte streben, desto größer wird allerdings das politische Vakuum, das sich an den Rändern bildet. Das Vakuum links der Mitte konnte erfolgreich von den Grünen und der Linken ausgefüllt werden. Trotz zahlreicher Versuche gelang es jedoch keiner Partei, sich rechts der Union zu etablieren.

Was müsste eine erfolgreiche Rechtspartei mitbringen? Da rechte Parteien traditionell nicht durch ihre Programmatik, sondern durch populistische Haudegen hervorstechen, spielt es eine überragende Rolle, mit welchem Personal eine solche Partei antritt. Einerseits bräuchte sie den Haider-Faktor - einen charismatischen Frontmann, der sich nicht nur unfallfrei artikulieren kann, sondern auch talkshowkompatibel ist und „etwas hermacht“. Andererseits müsste ein solcher Frontmann allerdings auch seriös sein und von den Medien akzeptiert und respektiert werden. Ohne Bild, BamS und Glotze würde eine neue Rechtspartei ein politisches Schmuddelkind bleiben und allenfalls eine Rolle als „Protestpartei“ wahrnehmen können.

Weder René Stadtkewitz noch Hobby-Genforscher Thilo Sarrazin verfügen allerdings über ein solches Haider-Gen: Stadtkewitz steht auf der Charisma-Skala irgendwo zwischen Versicherungsvertreter und Gerichtsvollzieher und kann sich nur mühevoll unfallfrei artikulieren, Sarrazin wirkt in seiner ganzen Bräsigkeit wie ein Mischung aus Kaiser Wilhelm II. und Ekel Alfred. Wenn Stadtkewitz, der wegen Meinungsverschiedenheiten 2009 aus der CDU austrat und gestern mit klarer Mehrheit aus der Unions-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ausgeschlossen wurde, nun vollmundig ankündigt, Thilo Sarrazin für seine neue Partei gewinnen zu wollen, so dürfte hier der Wunsch Vater des Gedankens sein.

Sarrazin hat bereits mehrfach angekündigt, dass er sich nicht in einer neuen Partei engagieren will, da sich in jungen Parteien erfahrungsgemäß „Spinner und Verwirrte“ jeglicher Couleur ansammeln würden. Auch vom Stadtkewitz-Intimus Geert Wilders distanzierte sich Sarrazin bereits mehrfach. Der ehemalige Bundesbanker ist ein Salon-Rassist und es kostet schon sehr viel Phantasie, sich Sarrazin in einem Bierzelt voller rechter Schreihälse vorzustellen. Genau das ist ja die bittere Ironie - Sarrazin würde gerne bei den Brunello-Freunden punkten, wird aber stattdessen von der Dosenbier-Fraktion gefeiert, während das Establishment die Nase rümpft. Wie ernst man die 16 bis 20 Prozent auch nehmen mag, die laut Umfragen eine Rechtspartei wählen würden – Stadtkewitz kann dieses Potential nicht ausschöpfen und Sarrazin kann und will dies erst gar nicht.

Wie man erfolgreich auch in Deutschland am rechten Rand fischen kann, bewies vor wenigen Jahren Roland Schill. Er bediente mit seinem Charisma Stammtisch und Bild, holte bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen 19,4 Prozent und stand sich mit seinem übergroßen Ego schlussendlich selbst im Weg. Zuletzt sah man „Richter Gnadenlos“ in einem Amateurvideo, das ihn beim Kokain-Schnupfen in Rio de Janeiro zeigt. Doch der deutsche Wähler ist nicht unbedingt für sein Langzeitgedächtnis bekannt. Ein zweiter Schill könnte das Fünf-Parteiensystem sprengen - zum Glück spielen aber weder Sarrazin noch Stadtkewitz in dieser Liga.

Gute Argumente sind das beste Geschenk

Legen Sie einen Gutschein vom digitalen Freitag ins Osternest – für 1, 2 oder 5 Monate.

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden