Seit Januar versuchen Vertreter der namibischen Herero und Nama, in New York gegen Deutschland zu klagen. Sie wollen, dass man sie an den Verhandlungen zur Anerkennung des Genozids von 1904 – 1908 beteiligt – und Berlin Wiedergutmachung leistet. Eine Voranhörung verlief ergebnislos; die deutsche Regierung machte sich nicht einmal die Mühe, Vertreter zu entsenden. Bei einem neuen Termin sollen auch Repräsentanten Deutschlands erscheinen. Eigentlich.
Es ist aber unwahrscheinlich, dass dies geschieht, denn den Klägern gelingt es allem Anschein nach nicht, die Klage ordnungsgemäß zuzustellen – Voraussetzung eines Gerichtsverfahrens. Zur Schlüsselfigur wurde dabei der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), dem die Zustellung ausländischer Klageschriften an die Bundesregierung obliegt. Bei seiner Weigerung beruft er sich auf den Grundsatz des Völkerrechts, „dass Staaten vor ausländischen Gerichten nicht wegen ihrer hoheitlichen Tätigkeit, also zum Beispiel dem Handeln ihrer Soldaten verklagt werden können“. So erklärte er es. Prompt widersprach ihm der Klägeranwalt. Staatsimmunität nämlich gelte nicht für Fälle von Genozid. Wie der Fall juristisch zu bewerten sei, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Das Vorgehen offenbart jedoch dreierlei.
Erstens ist die deutsche Regierung nicht wirklich an einer einvernehmlichen Lösung der Frage nach Wiedergutmachung interessiert. Zweitens ist das Völkerrecht nur bedingt in der Lage, Opfern des Kolonialismus zu einer fairen Behandlung ihrer Ansprüche zu verhelfen. Und drittens leben Machtungleichheiten, welche den Kolonialismus ermöglichten, im internationalen System fort.
Man muss eine Wiedergutmachungszahlung an die Herero und Nama nicht befürworten – aber das Verfahren einfach ins Leere laufen lassen, ist unwürdig. Es passt ins Bild, dass die namibische Regierung offenbar seit letztem Jahr auf eine schriftliche Reaktion Berlins auf ihre übermittelten Vorstellungen und Vorschläge wartet.
Das Völkerrecht ist historisch gesehen auch das Recht derjenigen Staaten, die die Mehrheit der Kolonialmächte bildeten. Es sanktionierte Ausbeutung und Eroberung. Kolonisierte nahm es ausdrücklich vom entstehenden humanitären Völkerrecht aus. Kolonisierte Akteure waren überwiegend keine staatlichen Akteure und sie sind es oft bis heute nicht, da die postkolonialen Nationalstaaten nicht mit ihnen identisch sind. Unter anderem deshalb gibt es seit 2007 eine eigene UN-Konvention zum Schutz indigener Minderheiten, welche auch Deutschland unterzeichnet hat. Auf diese berufen sich die Herero- und Nama-Kläger in New York. Die Staatsimmunität nun bedeutet für den kolonialen Fall, dass nur die Gerichte der ehemaligen Kolonialmacht zuständig sein können – eine Fortschreibung kolonialer Muster.
Die moralische Frage historischer Gerechtigkeit ist oftmals eine Machtfrage. Gerade die ehemals Kolonisierten sind bis heute in einer Position der Schwäche. Ihnen steht die Phalanx der ehemaligen Kolonialmächte im Globalen Norden gegenüber. Die G20, deren Gipfel in Hamburg vor der Tür steht, symbolisiert auch eine Abkehr von der rein kolonialen Welt auf ökonomischer Basis, sitzen doch aus dem Kolonialismus hervorgegangene Staaten mit am Tisch, einige zunehmend tonangebend. Es wäre wichtig, dass sich nicht ausgerechnet der Gastgeber zeitgleich bei der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte auf Lücken des Systems zurückzieht.
Kommentare 2
Als Nachfolger eines Überlebenden des Genozids durch Karl dem Großen an den Sachsen in den Sachsenkriegen und dem großen Sachsenaufstand von 793 fordere ich eine Entschädigung vom Land NRW.
Wer jetzt sagt, der spinnt ja, der möge mir doch bitte den qualitativen Unterschied zwischen meiner Forderung und der Forderung der Herero und Nama erklären. Ich erkenne keinen; alle Beteiligten sind tot und die handelnden Völkerrechtssubjekte existieren nicht mehr, maximal Rechtsnachfolger.
Das besondere ist, dass der Fall eben überhaupt nicht in die antikolonialen Klischees reinpasst und wenn man die Quellen studiert heute nicht niveauvoller diskutiert wird als schon vor hundert Jahren. Wir haben einen blutigen bewaffneten Aufstand einzelner Stämme, wir haben eine weitgehend autonom agierende Schutztruppe, die "Erfolge" nach Deutschland meldet, die damals den Skandal in der Sozialdemokratie auslösen. Später dann gibt es einen Bericht der Briten in den 20ern und eine DDR-Geschichtsschreibung der 60er die das Thema tradiert ohne jemals den Ort besucht zu haben. Die heutigen Namibianer sind wohl eher die Nachfahren der Opfer der Aufständischen. Ein Grund warum keiner mit den Vertretern der Herrero sprechen mag obwohl jeder antikolonial gedacht will das man mit den Herreros spricht, sind die bluttriefenden Pamphlete, die sie da heute verfassen, unter dem Motto, gebt was uns gehört oder wir legen wieder alles in Schutt und Asche. Die große Peinlichkeit ist, dass man gar nicht genau sagen kann, wie genau es den Genozid wirklich gegeben hat, man weiss nur, dass die Zeitgenossen die Erfolgsberichte v. Trottas als Genozid interpretiert haben. Ob das Treiben der Leute in die Wüste z.B. heißt, dass die Wüstennomaden da alle verreckt sind, ist auch Kopfkino der Deutschen. Schon die Opferzahlen der Schutztruppe zeigen, dass die Herrero wehrhafter waren als das nach hause telegraphiert wurde. Ich sage das nicht, weil ich mir wünsche, dass die deutsche Verantwortung im Herreroaufstand rein gewaschen würde, sondern weil der Fall so eine harte Blaupause ist für linke Erwartungen und Projektionen in die "edlen Wilden" und Opfernarrative. Historiker zeichnen mehr das differenzierte Bild einer überforderten und großspurigen Schutztruppe, eines Außenministeriums ohne jede Kontrolle, und einer desaströsen Sicherheitslage, in der die Herrero durchaus substanzielle Erfolge verzeichnen konnten, und die Schutztruppen blamierten, danach wohl ins britische Gebiet entkommen sind. Heißt, ich fände es ja meinen Wünschen und antikolonialen Interessen dienlich, wenn man von einem Genozid spricht, das AA wird sowieso dabei sein und die Politik, die Lage ist für Historiker aber weitaus komplexer.
Es wäre ja schon mal was anderes, wenn man die postkoloniale Opfergeste vermeidet, und die Herrero als blutrünstige Widerstandsgruppe ernst nimmt, die auf Augenhöhe mit der Schutztruppe gekämpft hat, statt im Genoziddiskurs einen rassistischen Opferstatus der Krieger zu perpetuieren. Wenn wir vom Burenkrieg sprechen, Buren sind weiss, sind das ja auch nicht als die Opfer der ungleichen Britischen Kolonial- und Machtpolitik beschrieben. Wenn man G20 kritisieren will, dann darf man dafür nicht die damaligen Kämpfe politisch instrumentalisieren. Ausserdem sollten wir nicht im antikolonialidentitären Überschwang vergessen, dass West-Berlin bis 1989 eine Kolonie der Allierten war, die nur so tat als gehöre sie zur Bundesrepublik. Deutscher Kolonialismus war vor allem eine Prestigefrage und ein gigantisches Verlustgeschäft für das Kaiserreich. Im Gegensatz etwa zum belgischen und englischen Kolonialismus gab es für das Reich gar nichts zu holen von Land und Leuten.