Das Volk ist den Slowenen ein Wolf

Heiliger Krach Im Berliner HAU vertonten Laibach Heiner Müllers Texte als Musical. Ein Gespräch mit Ivan Novak aka Ivo Saliger, dem „Vorarbeiter“ der Avantgarde-Truppe aus Ljubljana

In diesem Jahr feiern Laibach das 40. Jubiläum ihres Bestehens. Von den jungen Wilden, die im Untergrund von Ljubljana höllischen Industriallärm entfesselten und im staatlichen Fernsehen, in Uniformen gekleidet und mit starrem Blick, in die Kamera hinein provokante Parolen aufsagten, ist nunmehr nur noch der Kern aus Gründungsmitglied Ivan Novak als konzeptuellem Kopf der Gesamtkunstwerktruppe und dem Sänger Milan Fras als Frontmann übrig geblieben, während die wechselnden Musiker mittlerweile in die Dutzende gehen.

Zu finden ist Laibach mittlerweile vor allem in Philharmonien und auf Theaterbühnen. Im Berliner Hebbel am Ufer (HAU), Theater und Veranstaltungsort, vertonte man nun Texte von Heiner Müller als Musical unter dem Titel Wir sind das Volk. Das passte: Denn Volk und Nation, Pop und Faschismus sind seit jeher Kernthemen der Performancegruppe. Bereits 2006 veröffentlichte sie ein Konzeptalbum namens Volk, das überarbeitete Versionen der Nationalhymnen imperialistischer Nationen wie Großbritannien (Anglia), Russland (Rossiya), Deutschland (Germania), Israel (Yisra’el) oder der USA (America) enthält, während Heiner Müller zum Thema „Wir sind ein Volk“ die so süffisante wie überzeugende Einsicht „Zehn Deutsche sind dümmer als fünf Deutsche“ anzubieten hatte.

Wir haben Ivan Nowak alias Ivo Saliger im Vorfeld der Veranstaltung Fragen gestellt. Zum Volk, zu Heiner Müller, danach, wie man mit der Teutonenrockband Rammstein umgeht, die ihren brachialen Sound nicht zuletzt Laibach zu verdanken haben.

Der Freitag: Wie entstand die Idee zum Heiner Müller-Projekt?

Ivo Saliger: Wir wurden vor zwei Jahren von Anja Quickert von der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft kontaktiert, die uns fragte, ob wir uns ein Theaterprojekt auf der Basis von Heiner Müllers Texten vorstellen könnten. Wir schlugen dann eine Art Musical vor. Und nun ist die Premiere im Berliner HAU Theater.

War Heiner Müller in Slowenien bzw. dem ehemaligen Jugoslawien bekannt oder gar populär?

Nicht unbedingt wahnsinnig bekannt, aber Leute aus dem Theater, Intellektuelle, Philosophen, Künstler und Protagonisten der alternativen Kulturszene wussten Bescheid über ihn/kannten ihn. Er gehörte für uns quasi in eine Reihe mit Fassbinder, Beuys, Kraftwerk, Nena, Modern Talking und anderen.

Was reizte Laibach an Heiner Müller?

Wir haben in mancher Hinsicht ähnliche Arbeitsmethoden; er re-interpretierte bestehendes, historisch gewordenes Material aus dem Theater und der Literatur (wie Macbeth und Hamlet oder den Briefroman Les liaisons dangereuses von Choderlos de Laclos etc.) und macht so neue Werke aus ihnen, just das was wir mit einigen Popsongs gemacht haben (etwa Life is Live von Opus, One Vision von Queen oder dem Album Let it Be von den Beatles). Wir haben bereits 1984 die Bühnenmusik für eine Aufführung von Müllers Quartett am Slowenischen Nationaltheater in Ljubljana gemacht, bei der Eduard Miler Regie führte. Das war zu einer Zeit, als Laibach in Slowenien und ganz Jugoslawien verboten war, aber wir haben es trotzdem geschafft, die Musik für das Stück zu spielen. Durch Zufall trafen wir dann Heiner Müller 1985 in Berlin, dabei stellte sich heraus, dass er Laibach kannte, weshalb wir eine mögliche Kooperation mit ihm besprachen. Aber leider kam es nie dazu, bevor er starb.

Was war für Laibach das Bemerkenswerteste an Heiner Müller?

Der Umstand, dass er in aller Offenheit ein Künstler des Regimes war und nie vorgab etwas anderes zu sein. Wegen ihm schien die DDR ein besserer Ort zu sein, aber in Wahrheit tat er mehr für die Wiedervereinigung als ihm lieb gewesen wäre, zuzugeben.

War es schwierig mit Müllers Texten im deutschen Original zu arbeiten?

Die deutsche Sprache ist immer schwierig und dagegen anzukämpfen bringt eine ganz spezielle Form der Freude und des Vergnügens.

Wo stehen die Theater-Projekt von Laibach, etwa die Kollaboration mit Milo Rau für "The Dark Ages" im Münchner Residenztheater im Vergleich zu den regulären Studioalben?

Der ursprüngliche und eigentliche Zweck unserer Musik fürs Theater oder für Filmsoundtracks ist natürlich anders als bei den Musikalben, aber wir behandeln diese Musik als genauso wichtig wie unsere andere Musik (oder Nicht-Musik).

Wird die Heiner Müller-Produktion in einem Album resultieren? Oder werden Sie einzelne Stücke daraus bei Konzerten spielen?

Das wissen wir noch nicht, wir hoffen es aber. Wir wollen schon ein Album mit diesem Material machen. Und einzelne Songs dürften tatsächlich Teil unseres Standardkonzertrepertoires werden.

Müllers Texte sind bereits von anderen Musikgruppen vertont wurden, insbesondere den Einstürzenden Neubauten. Hat das eine Rolle für Laibach gespielt?

Nein, aber natürlich beneiden wir die Einstürzenden Neubauten um ihre Zusammenarbeit mit Heiner Müller, als er noch lebte.

Wie würden Sie Ihre Rolle im Gefüge der Gruppe beschrieben? Sie treten nicht auf der Bühne auf, sind Sie der„künstlerische Direktor“? Oder so was wie ein „vibes manager”?

Der Ausbildung nach bin ich ein Ingenieur der menschlichen Seele , manchmal bin ich der Dirigent des „Laibach-Orchesters“, aber die meiste Zeit bin ich lediglich eine Art „Vorarbeiter“ oder „Verkehrsbetreiber“.

Von Heiner Müller ist ein Kommentar zu einem Foto überliefert, auf dem ein junger Mann inmitten von Massen mit „Wir sind das Volk“-Transparenten ein Schild hochhält: „Ich bin Volker“. Müller gefiehl das sehr gut, man bräuchte in dieser Wendezeit mehr Menschen wie Volker, sagte er.

Mehr Leute wie Volker würden letztendlich auch mehr Volk hervorbringen. Heiner Müller hatten einen großartigen Humor aber hat sich nichtsdestotrotz während seiner gesamten Autorenkarriere sehr viel mit dem Konzept und der Definition von Volk auseinandergesetzt, meistens in Form der Negation. Es ist unmöglich den unterschiedlichen Bedeutungen, Verwendungen und Implikationen des Begriffs zu entkommen, insbesondere wenn man mit deutschem Zeitgeist, deutscher Geschichte und deutscher Metaphysik zu tun hat.

Volk, oder slowenisch narod, taucht seit Jahrzehnten als Thema und Stichwort in Laibachs Werk auf. Wie hat sie die Bedeutung dieses Konzepts für die Gruppe verändert, gerade jetzt wo es eine politische Renaissance der Idee von „Volk“ bzw. völkischen Ideen in vielen europäischen Ländern gibt?

Es hat sich nicht viel verändert, es ist nur relevanter für uns geworden. Das Wörterbuch sagt, dass das Konzept des „Volks“ (Menschen, Nationen oder Rassen/ethnische Bevölkerungsgruppen) eine grundlegende Idee in der deutschen Geschichte seit dem frühen 19. Jahrhundert ist. Darin enthalten war ein Bewusstsein der Überlegenheit der deutschen Kultur und die Idee einer universalen Mission der Deutschen. Im heutigen Deutschland ist dieses Konzept nicht verschwunden, insbesondere wenn man sich auf die Nazi-Ideologie bezieht, und in Südafrika in Bezug auf die schwarze Bevölkerung. Aber in Wirklichkeit wird das Konzept in ganz Europa und Nordamerika benutzt, wo die dominierende soziale Klasse ihre konservativen Werte und Positionen zu redefinieren und verteidigen sucht in Abgrenzung von globalisierenden und multikulturellen Tendenzen. In der slowenischen Sprache bedeutet das Wort „volk“ übrigens „Wolf“, was natürlich eine schöne Doppelbedeutung ist im Hinblick auf das, was ein Volk oder eine Nation ist, oder sein kann – ein Rudel Wölfe.

„Pop music is for sheep, and we are wolves disguised as shepards“ ist schließlich auch ein Credo von Laibach. Apropos Schafe: Was denken Sie über den kommerziellen Erfolg von Rammstein, die Laibachs Strategie der subversiven Überaffirmation kopiert haben, wobei von der subversiven Komponente nicht mehr viel übrig ist?

Wir können und wollen Rammstein nicht verurteilen, wir sind kein Gericht, wir können sie höchstens um ihren Erfolg beneiden – aber das tun wir nicht. Sie sind zum Teil deswegen so kommerziell erfolgreich, weil sie Deutsche sind, dem deutschen Volksstamm angehören. Wir hingegen – Laibach – sind Eindringlinge in Deutschland und in die deutsche Kultur. Nichtsdestotrotz sind Rammstein sehr gut in dem was sie tun und wir würden wohl dasselbe machen, wenn wir an ihrer Stelle wären. Aber glücklicherweise sind wir das nicht.

Was werden Laibach als nächstes machen?

Wir werden unseren Pfad in viele verschiedene Richtungen weitergehen. Gerade haben wir eine Dreifachalbum-Box veröffentlicht, Laibach Revisited, und wir haben nun das neue Material aus dem Heiner Müller-Projekt. Dann kommt eine Blu-ray-Doku über das erste Laibach-Album mit viel Bonusmaterial. Außerdem wird es zwei neue Filmsoundtracks geben, die dieses oder nächstes Jahr rauskommen. Und es gibt noch zwei Doppelalben mit Aufnahmen unserer Kollaborationen mir Symphonie- und Philharmonieorchestern, die mehr oder weniger fertig sind. Außerdem haben wir schon mit der Arbeit an einem neuen Studioalbum begonnen, das hoffentlich zu Anfang 2021 erscheinen wird. Plus die Veranstaltungen anlässlich des 40. Jubiläum unserer Bandgründung (Konzerte und Ausstellungen) in Ljubljana und in unserer Heimatstadt Trbovlje gegen Ende des Jahres.

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